Exposé
In der Erzählung, rund um die Burg Forchtenstein im Burgenland angesiedelt, dreht sich –fast- alles um eine Leiche aus den Wirren nach dem Ungarnaufstand, die nun, in der Jetztzeit, in der Nähe der Rosalien-Kapelle aufgefunden wird. Auch als Parabel zum momentanen Flüchtlingsdrama zu deuten.
Zusammenfassend vielleicht als ›psychologisch – historisch – medizinisch unterlegter Beziehungsroman mit Rückgriffen zum Ungarnaufstand 1956‹ zu bezeichnen.
Zum Inhalt:
Der Roman beginnt in einem Operationssaal in Wien, der Chirurg Josef Schubert ist ausgelaugt nach einer nächtlichen Operation. Im kurzen Schlaf danach überfällt ihn wieder ein Alptraum aus seiner Kindheit, die er in einem städtischen Kinderheim in Wien verbracht hatte.
Tage später, in der Nähe von Forchtenstein urlaubend, finden er, begleitet von einem schon pensionierter Kriminalkommissar aus Eisenstadt, zuerst ein altes Ketterl am Heuberg, nahe der Rosalienkapelle.
Als Josef auf einen jungen Mann trifft, der mit einer Moto-Cross-Maschine stürzt und dann querschnittsgelähmt ist, wird dieser mit dem Rettungshubschrauber abtransportiert. Die Notärztin weckt in Josef Erinnerungen an seine vor drei Jahren an Leukämie verstorbene, innig geliebte Lebensgefährtin. Aus der sich anbahnenden Bekanntschaft entwickelt sich Liebe. Bei einer Wanderung wird Wastl, der wie alle Hunde gerne gräbt, fündig: in dem schmalen Spalt in der Tiefe unter dem Felsen legt er eine mumifizierte Frauenhand frei.
Die sich anschließenden polizeilichen und gerichtsmedizinischen Untersuchungen weisen auf eine Leiche hin, die in den Wirren nach dem missglückten Ungarnaufstand dort verscharrt worden war.
Und der alte Kriminalkommissar Franz und der Chirurg Josef begeben sich nun auf Spurensuche.
Ein junger Mann hat, nur wenige Tage vor dem schicksalsträchtigem Unfall, ein Mädchen im Drogenrausch vergewaltigt. Der Chirurg Josef lernt das Mädchen kennen, gemeinsam mit seiner Bekannten, der Flugärztin, kann er ihr Vertrauen erlangen und Einblick ins Dorfleben bekommen. Das Mädchen wird durch die Vergewaltigung schwanger und baut trotzdem, oder gar gerade deswegen, schrittweise eine Beziehung zu dem nun gelähmten Peiniger auf.
Die gerichtsmedizinische Untersuchungen der Leiche, in den Medien schon als ‚Rosalia’ bezeichnet, insbesondere die genetische Untersuchungen, führen zu neuen Erkenntnissen. Als dann das Mädchen ihre neugeborene Tochter und den Gelähmten einer DNA-Abgleichung zum Beweis der Vaterschaft unterzieht, zeigt sich bei beiden eine enge genetische Verwandtschaft: zur Leiche ‚Rosalia’.
Franka, die Notärztin, kann nun den alten, dementen Großvater des Gelähmten zu einem Geständnis bringen: Da das eigene Neugeborene verstorben war, hatte er das ungarische Kind 1956 als sein eigenes erklärt. Und beging dabei aber einen Mord an einem der in Sold der Sowjetarmee stehenden Häschern. Ein nach seinem Ableben aufgefundener Brief seiner Frau schildert mit bewegenden Worten die Zeit von circa zwei Jahren, in denen sie das ihr unterschobene, ungarisch-jüdische Kind versorgt hatte. Und warum sie seelisch daran zerbrechen musste.
Damit wurde zwar die Abstammung fast geklärt, nicht aber der Mord an der Leiche ‚Rosalia’. Weitere Nachforschungen bringen nun die Wahrheit ans Tageslicht: Die Ungarin Hannah war von nach Unterdrückung des Aufstandes eingeschleusten KP-Agenten erschlagen worden, sie und der jüdische Kindesvater Dániel waren an führender Stelle beim Aufstand in Budapest gewesen, was zur Racheaktion der Roten Armee geführt hat: über 700 russische Soldaten waren beim Aufstand getötet worden! Sie wurde, eigentlich ungewollt, erschlagen, er, Dániel, nach Ungarn verschleppt und hingerichtet. Und das Kind: überlebte nun als Österreicher und avancierte zum Bürgermeister des Ortes.
Im Roman wird auch auf den Ungarnaufstand und die Vorgeschichten von Hannah und Dániel, den aufständischen Studenten, eingegangen. Und auch Franka, die Flugärztin und Josef , der Wiener Chirurg, schildern, meist in Ich-Gesprächen, von sich, was bei Josef besonders wichtig erscheint. Ihn holt auch die Zeit ein, die er als Chirurg in Israel verbracht hatte. Der Sohn seines besten Freundes und damaligen Lehrers wird durch eine Bombe in Tel Aviv in die Luft gesprengt.
Der ‚kriminalistische’ Bereich des Romans, schon wichtig, verbirgt sich aber doch hinter der feinen, psychologisch aufgebauten Schilderungen der sich entwickelnden Beziehungen zwischen dem Chirurgen Josef und der Anästhesistin Franka, des weiteren der des jungen Paares, Maria und des verunglückten Herbert. Und auch der Kriminalkommissar aus Eisenstadt findet sein spätes Glück. Und dies alles verwebt mit den Ungarnaufstand 1956.
mit Literatur, all dies runden seinen Kulturhunger ab, der auch von seiner Frau mit Freude mitgetragen wird.
In dem vorgestellten Roman wird, wenn auch nur am Rande, auf Musik und Medizin eingegangen.
Leseprobe
Die Operation
Ausgepowert verlässt er den Operationssaal. Was die moderne Chirurgie ihm zur Verfügung stellen kann, alles hat er über vier Stunden eingesetzt. Auf der schmalen Bank der Schleuse draußen hingehockt, an eine Spindtüre angelehnt, streckt er die im Moment als so schwer empfundene Beine von sich. Der Kopf sinkt immer mehr ab, bis das Kinn an die Brust ankommt. Er ist geschafft. Er fühlt sich ausgelaugt.
Wie im Film läuft die Operation vor ihm ab. Zweifel schleichen sich ein. Hab ich alles richtig gemacht? Da, als ich die Bauchschlagader abklemmen musste, war das zu früh? Hab ich da auf Rafi gehört? Hab ich später zu rasch den Blutstrom wiedergeöffnet? Bin ich unkonzentriert bei der Naht gewesen? Ist die Anastomose hundertprozentig dicht? Hält sie, die Verbindung zur Bauchschlagader, dem Druck stand? Lief aber lange nicht so dramatisch wie damals in Tel Aviv ab, der Bursche mit dem Messer im Bauch, mit der Spitze in der Aorta. Werd das nie vergessen können.‹
Wie erschlagen sitzt er minutenlang da, der vorher so hohe Adrenalinspiegel hinterlässt eine gähnende Leere in ihm.
›Will doch wegfahren. Übermorgen. Freu mich doch, aber die Sorge um den Mann da auf der Intensivstation? Na, die Burschen werden es schon gut machen. Und Rafi ist ein toller Intensivmediziner!‹
Träge zieht der große Mann die Op-Kluft aus. ›Hab gar nicht geschwitzt! Kühl ist es im Op. Mein Gott, was hat sich nicht alles geändert, seit Rafael bei uns ist! Ist ein toller Bursche, unser Neuer! Hat ganz schön umgerührt! Ist aber auch schon Zeit gewesen, dass sich was ändert. Erik war nicht unqualifiziert gewesen, aber so zögerlich! Was soll`s, habe ihn schon mögen. Werd nie vergessen, wie er sich in der Finsternis neben das OP-Stockerl gesetzt hat! Wär was für YouTube!‹
»Josef, schlaf nicht ein beim Umziehen! War es recht anstrengend, ja?« Rafi schießt bei der Tür herein, immer ›in action‹, der Mann. »Wann fährst Du weg?«
»Übermorgen wollte ich, nun«, Josef blickt auf die Uhr, die in seinem weißen Mantel gesteckt hatte, »na, schon morgen. Haben wir wirklich so lange gebraucht? Ist es zwei Uhr morgens!«
»Du warst eh super schnell, macht dir keiner so geschwind nach! Hat auch alles gepasst. Um sieben akuter Rupturschmerz der Bauchschlagader, um halb acht im Krankenhaus, CT, Vorbereitung, um zehn Uhr am Tisch! War ganz schön was an Blut im Bauch!«
»Mit dir hinter der ›Blut-Hirnschranke‹, weißt schon, der Abdeckung zwischen dir oben beim Kopf und mir am OP-Tisch, hat wirklich alles gepasst!« Kein besserer Scherz als diese alte Klamotte ist ihm eingefallen, Generationen von Chirurgen haben diese verwendet, wenn sie den Narkosearzt ärgern wollen. Nach einer Pause, wie wenn er es sich überlegt hätte, »Mir ist das Hirn so leer«, sagt Josef, »dummer Scherz, nicht wahr?«
Josef geht mit Rafael aus der Schleuse hinaus, »Hör mir gut zu«, sagt er und hält eine Pause ein, um seiner Rede Feierlichkeit zu verleihen, »du machst einen Superjob. Bei dir hat man das Gefühl, man kann sich hundertprozentig verlassen.«
»Muss dir gestehen, Josef, es war meine erste Aortenruptur. Du weißt, in meinem früheren Haus gab es keine namhafte Gefäßchirugie.«
Sie sind auf dem Gang vor dem OP angelangt, der Frisch-operierte wird von Rafi`s Leuten, noch beatmet, zur Intensivstation geschoben. Er geht rasch vor, identifiziert sich, schlägt mit dem Ellenbogen gegen den übergroßen Schalter, das Tor öffnet und schluckt die Anästhesie-Mannschaft mit dem Patienten.
Josef fühlt, wie müde er ist. Die Spannung ist weg, das Adrenalin wieder auf einem normalen Level. Verpufft! Langsam geht er mit den zu ihm aufschließenden Kollegen bis zum Lift. »Ihr seid Superassistenzen, muss ich ehrlich sagen! Danke!«
Gemeinsam, still, ohne ein Wort zu verlieren, fahren sie mit dem Lift zum Sekretariat. Schubert ist keiner, der viel herumpalavert. Heute, um halb drei in der Früh, sagt er aber nochmals: »Danke!«
Später, in seinem Dienstzimmerchen, kaum so groß wie eine Gemeindebauküche, fällt er wie tot auf das Bett. Er fühlt es, er weiß es, es wird wieder kommen, jetzt, gerade jetzt in dieser Nacht des absoluten Ermüdens. Seit drei Jahren lässt es ihn nicht aus. Solange Angela da war, früher, kam es nicht. Wie wenn es auf diese günstige Gelegenheit gewartet hätten, ihm die paar Stunden der Ruhe zu missgönnen. Wieder sieht er sich, einsam an der Hand einer Zugbegleiterin. Josef mit vier Jahren. Heimatlos, es nicht begreifen könnend, warum er hierher musste. Zum Westbahnhof, 1982. Willenloser, kleiner Bub, was wird dies? Er verstand kaum etwas, er, der englische Knabe. Die Frau, von deren Hand er mehr gezogen als geführt wird. Es war so heiß, dies ist in seinen Erinnerungen nicht mehr auslöschbar, wie auch die kurzen Hosen und der kleine Rucksack, am Rücken hin und herbaumelnd.
Die Tante sollte ihn abholen, sagte die Frau immer wieder, die, die ihn, seit Oostende, begleitet hatte. Das Erlebnis ›Schiff‹ ist verblast, nur dass ihm so übel war, bei dem endlosen Stampfen auf der Fähre, rauf und runter, rauf, runter, pausenlos. Die Frau sagte immer wieder, ständig das gleiche, wo ist deine Tante, wo ist sie, where, your aunt, where, es hallt unauslöschlich in den Ohren, immer wieder, aunt, where, aunt, where. Und dann dieses Heim. Ein Städtisches, hörte er später oft, durch Zusammenpressen der Lippen nur einen Ton so unsäglicher Geringschätzung hervorbringend, dass ihn zu schildern verpönt ist.
Deine Tante ist im Krankenhaus, sagte man ihm, ohne dass er wusste, wer diese Tante hätte sein sollen und ohne dass er verstand, was überhaupt ein Krankenhaus sei. Wo war Mami, wo der Papa, das konnte er nicht begreifen, jeden Abend im Schlafsaal quält ihn dieser Gedanke. Wo waren sie? Wo nur?
In der vierten Klasse in der Volksschule in der Brigittenau geht dann die Erzieherin, das weiß er noch, eine furchtbar dicke aber mütterliche Frau, mit ihm an der Hand zu einem älteren Herren, soviel konnte er doch verstehen, die Tante sei damals nach einem Schlaganfall im Krankenhaus verstorben. Und nun war der Augenblick gekommen, der Heimleiter erzählte ihm alles, ein Psychologe hätte ihm gesagt, der Zeitpunkt wäre nun richtig, ihm alles zu berichten, dem Buben. Stumm steht er vor ihm, Unbegreifbares hört er von dem Mann: Mama und Papa tot, klingt es zu ihm herüber, und die Tante, die er nicht kannte. Auch tot. Immer wieder hallen diese Worte, laufen ihm nach, Mami – Papi – Mami – Papi, immer schneller, wie in einem Strudel drehen sich die Laute der unverständlichen Worte, die Silben, die Buchstaben, die so endlos durch den Raum gellen, ihm nachpurzeln, stolpernd sich mischen. Mama und Papa sind tot, deren Gesichter schon verblassten, in dieses Loch aus hallenden Klangteilchen fällt der schmale, hoch aufschießende Bub herab, immer weiter und weiter und weiter.
Schweißüberströmt wacht er im engen Dienstzimmer auf. Es ist drei Uhr morgens. Und heiß, wie damals am Bahnhof.
In der Früh, noch vor der Morgenbesprechung, ist er auf die Intensivstation hinauf, der grünen Übermantel anlegt, Händedesinfektion, »Servus! Na, wie geht`s ihm?«
Rafi, müder als er: »Hast wenigstens du ein paar Stunden geschlafen?«
»Ja, drei, die aber komplett tot, tief und fest. Du aber schaust aus wie bei deiner eigene Grablegung.«
»Na du weißt ja, wie aufwendig so eine Intensivstation ist. Und in der Nacht muss man mit reduziertem Personal auskommen. Hat, wie immer«, da verziehen sich seine um den Mund tief eingegrabenen Falten zu dem für ihn so typischen schelmischen Lächeln, »alles sehr gut geklappt. Und, das ist das Wichtigste, es geht ihm, den Umständen entsprechend, recht gut.«
Noch am Beatmungsapparat angeschlossen, etwas blass, atmet der Mann aber schon mit. »Ihr seid ja Künstler, wie ihr ihn hinbekommt. Ist das alles, was bis jetzt aus dem Drain gekommen ist?«
Martina, gut ausgeschlafen gerade erst zum Dienst erschienen, montiert bereits eine vierte Medikamentenspritze über den drei haarscharf übereinander angebrachten, schon laufenden, tippt mit ihrem Fuß zum Drainagesackerl hin, »Wenn sonst keine Schwierigkeiten auftreten, Herr Oberarzt, wird`s schon gut werden. Der Mann ist stark«, Frohsinn verbreitend, »und alle Brünnlein fließen normal. Und kein bisschen Blut im Harn! Auch kein Harn im Wundsekret, Gott bewahre uns vor dem Gottseibeiuns!«
»Wie geht`s deinem Mann«, fragt Josef, wie immer durch die Schwester Martina, eine der Tüchtigsten auf der Station, aufgeheitert, »ist er noch am Golan und schaut sich die Augen nach Assad aus?«
Sie ist immer guter Laune, besonders wenn ihr Mann wieder zurückkommt, »Unser Minister ist so klug und hat alle situationselastisch in die Heimat abkommandiert«, kommetiert sie lachend den Gottöbersten ihres Mannes. »Sag mir Bescheid«, spielt Josef auf seine eigenen Israelerlebnisse an, »wenn ich nach dem Urlaub wieder da bin. Gehn wir zusammen wieder zum Figlmüller? Er hat sicher viel zu erzählen!«
Der schlanke, hochgewachsen Rafi geht vorgebeugt, als wollte er sich den kleineren Mitmenschen womöglich annähern. Ein befreundeter Orthopäde äußerte den Verdacht eines begin-nenden Bechterew. Angelas älterer Bruder leidet daran, Josef kennt das, ist rheumatisch, meinte er damals. Er wendet sich zu Rafi, der sein Gespräch mit Martina über seine Brillenränder hinweg beobachtet hatte, »Du weißt doch, ich möchte übermorgen wegfahren.«
»Du sagtest morgen!«
»Das war heute Nacht um zwei. Aber ich hab es mir überlegt: Ich bleib noch zumindest einen Tag.«
»Gut so.«
»Ist ja gleichgültig, wann ich fahre. Bin mein eigener Herr, allein unterwegs, fahr auch nicht weit weg. Also, alles im grünen Bereich?«
»Ja.«
2 Die Fahrt
Was konnte er mehr erwarten: Der Mann war extubiert, weg von der Beatmungsmaschine, atmet ruhig, er konnte gut kontak-tiert werden, der Darm funktioniert und er war fieberfrei. Das erste Wort, das er zu Dr.Schubert leise flüsterte: Ein ehrlich gemeintes »Danke«!
Tage später sucht er nach dem geräumigen Rucksack, ›wo hab ich diesen nur verstaut? Wann habe ich ihn verwendet?‹, brummt er, ›Ja, damals in Istrien! Mit Angela die Parenzaner Bahnstrecke abwandern.‹ In der hinteren rechten Tasche findet er ein Säckchen mit völlig vertrockneten Pfefferminz-Drops, die Angela dort noch deponiert hatte. Sie hatte ihn eingebremst, das Sackerl aus der Tasche seines Rucksackes genommen, ein Drops zwischen ihre Lippen geklemmt, sich auf die Zehenspitzen gestellt, und es mit der Zunge in seinen Mund bugsiert. Wie klammheimlich.
Josef wandert gerne, um mit sich und seinen Gedanken alleine sein zu können. Monate freut er sich doch. Diesmal ins süd-östliche Niederösterreich aufzubrechen, so an die Grenze zum Burgenland. Schon, schon, er war oftmals im Burgenland gewesen, der wunderbare See hatte ihn immer fasziniert. Angela segelte auch gerne, sie hatten da unten, in Rust, ein kleines Boot. Ein Wochenende mit ihr am See, abends zum Schandl-Heurigen essen gehen, das hat was. Seit drei Jahren ist das Boot untergestellt. Kann nicht, es rieche so nach ihr, meint er, mehr als nach See.
Vor Wochen hatte er von einer ›Kapelle‹ gelesen, er war davon gefesselt, dass diese, nur wenige Meter von der ehemaligen Grenzlinie, zwischen dem Kaiserreich Österreich und dem Königreich Ungarn entfernt steht. Vor gut hundert Jahre war dies noch so. Ein Stück dieser Grenzziehung, die es nicht mehr gibt, abzugehen hatte er im Sinn. Die aber noch die Landesgrenze darstellt, zwischen Niederösterreich und dem Burgenland. ›Also, eine schwarz-rot-blaue Grenze‹, lächelt er, ohne politisch motivierte Gedanken aufkommen zu lassen. Zur ›Rosalia‹ solle die Reise gehen.
Keine spektakuläre Gegend, keine schroffen Felsen, keine tiefen Täler mit noch tieferen Seen. Keine Almen. Keine ruhmreich zu erklimmenden Gipfelkreuze, dafür viel sanfte Bergrücken, bedeckende Wälder, Wiesen, und einige kleine Orte. Von Schwarzenbach weg. Oder einem anderen Dorf. Forchtenstein? Bis nach Neudörfl. Gar nicht so weit, laut Plan, maximal zwei, drei Tage. ›und wenn ich nicht faul bin, geht es auch in zwei. Und wenn ich Google folge, dann keine zehn, elf Stunden. Die in Google fliegen ja, schmunzelt er. Elf Stunden! Wahnsinn!‹
Und für die restlichen der drei Wochen? ›Werde ich dann schon sehen. Mauritius? Nein, ist zu weit. Jesolo? Schon gar nicht, denkt sich Josef auf dem Weg zum brandneuen Haupt-bahnhof, ›oder Tel Aviv zu meinem Freund Ariel? Sami und Sara wieder sehen?‹ Kaum sitzt er im Zugabteil, der Zwang wieder anzurufen überkommt ihn, wie es dem Mann ginge. Rafi sagte nur, »Das geht dich jetzt nichts mehr an! Du bist auf Urlaub, hast ihn dir verdient! Basta!«
»Ja, bin eh schon in der Bahn, nur eine kleine Andeutung«, ruft er aufgekratzt ins Telefon. Er freut sich auf die freien Tage. »Alles bestens. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Fahr endlich los und wirf das Handy aus dem Fenster!« Rafael kann so direkt sein. Hat ja recht, der Mann! Ist doch gut, jemanden zu Hause, im Spital zu haben. War lange in Birmingham, erzählte er einmal. Hat dort gearbeitet. Und ich? Kent, Canterbury. Kann mich an nichts mehr erinnern. Zweimal war ich dort gewesen. Seither. Alles so fremd. Hab gar nicht nach Verwandten gesucht. Nur das Grab hab ich gefunden. Schubert, Richard and Anne. War ein komisches Gefühl gewesen. Vater und Mutter, hier in einem Grab. Seit zweiunddreissig Jahren. Soll ich wieder hin-fahren? Angela war damals mitgewesen. Sind damals viel herumgefahren. Mit einem kleinen Auto, aber das erste Mal, noch als Student, mit Rucksack per Autostopp. War eigentlich schon fein gewesen. Meinen Pass habe ich noch. Hab ihn immer verlängern lassen. Soll ich hin, Zeit hätte ich doch. Josef on tour, alone? Vielleicht später einmal wieder. Bin mir nicht so sicher, ob ich es nochmals will. Zu Vater und Mutter, ans Grab. In Boughton-under-Blean. Nur wenige Meilen bis Canterbury. Nächstes Jahr wieder? Vielleicht.
Irgendwo, wo genau?, ist doch egal!, steigt er aus. Schultert den Rucksack, dem Postautobus möchte er gerne entkommen, was aber an einem fehlenden Taxi scheitert. Richtung Schwarzenbach, bitte, fragt er den Postchauffeur.
Langsam zuckelt der Bus die kurvige Straße entlang, ›der bleibt ja bei jedem Misthaufen stehn‹, mokiert er sich halb-laut, eine Frau und er sind die einzigen Fahrgäste.
»Sie wollen bis nach S., da wird der Bus noch an vielen Misthaufen Halt machen«, lächelt sie ihn an. Eine Frau mit Kopftuch, in einer traditionellen, fast zu elegant wirkenden ländlichen Kleidung, hat sich umgedreht und blickt ihn an, kaum sechzig Jahre. »War ich wohl zu laut gewesen«, grinst Josef. Und fügt ein verspätetes »Grüß Gott« hinzu.
»Na ja, das mit den Misthaufen hat mir gefallen. Was wollen Sie dort, in dem Dorf ist doch nichts zu sehen!«
»Mit Verlaub, will nur übernachten und dann morgen weiter-wandern. Kennen Sie den Ort?«
»Jawohl, wohn` doch dort.«
»Und wo kann ich da in der Gegend nächtigen, können Sie mir das verraten? Bin nicht sehr anspruchsvoll!«
»Viel gibt`s ja nicht bei uns. Zwei Wirtshäuser halt. Eines davon hat auch Zimmer, das andere hat nur am Wochenende offen, und der obligate Chinese. Und eine kleine Pension, mit Frühstück.«
»Die Pension, ist die weit abgelegen?«
Das Postauto fährt um eine scharfe Kurve, Josefs Rucksack fällt vom Sitz neben ihm.
»Na, über solche Kurven geht`s auch zu der Pension«, lacht die Frau schelmisch.
Josef hebt, nachdem er sich mühsam festgehalten hatte, den Rucksack hoch, sich mit den Traggurten ungeschickt verheddernd, und setzt dann sich gleich zu ihr. »Ich darf doch«, fragt er und strahlt sie an.
»Jo glei besser zum Reden.«
»Und die Pension?«, fragt Josef.
»San nur zwoa Zimmer halt.«
»Ich brauch nur eines.«
»Hob eh nur mehr ans frei!«
»Also ist das Ihre Pension?«
»Ja, und die Zimmer hat noch mein Mann herrichten lassen, Gott hab ihn selig!«
»Und könnte ich das zweite Zimmer haben, liebe Frau?«
»I bin ka liebe Frau. Ich bin die Reisner Anni.«
»Also, Frau Reisner, kann ich das Zimmer haben?«
»Für wie lang denn dann?«
»Weiß es nicht, ein, zwei oder auch drei Tage halt«, antwortet Josef.
»Na also gut. Sonst mach ich des nur wochenweise.«
Ist doch schon etwas komisch, denkt er sich, zuerst hat sie doch Hochdeutsch gesprochen. Aber nett ist sie doch.
Endlich ist die Fahrt zu einem guten Ende gekommen. Der Bus ist in eine kleine Seitengasse eingebogen. »Hier müss ma aussteigen«, sagt Frau Reisner.
Einen geflochteten Korb, den sie die ganze Fahrt wie einen Schatz auf ihrem Schoss gehütet hatte, hat sie mit. »Darf ich Ihnen helfen«, fragt Josef, nachdem er seinen Rucksack geschultert hatte. »Na, den Korb da trag i mir scho selbern«, kommt zur Antwort.
Diesig ist es geworden, »Schaut nach Regen aus«, sagt Josef.
»Ja mei, bei uns regnet es immer viel. Da auffi müss ma gehen«, gibt sie die Richtung vor, »Ist schön gelegen, glaubens mir!«
»Ja, Frau Reisner, das kann ich jetzt schon sehen.«
»Was wett ma, des Haus könnens no ned sehen!« Glucksend lacht sie in sich hinein, »erst nach der Kurven stehts!«
»Ich hab einen Mordshunger. Hab in der Früh noch im Spital etwas gegessen und bin dann gleich los.«
»San Sie a Dokter?«, kommt es nach ein paar Sekunden Kunstpause von ihr.
»Jetzt hab ich mich noch gar nicht vorgestellt und geh schon mit Ihnen mit«, schmunzelt Josef, »Doktor Schubert, Josef Schubert.«
Da lacht sie schallend, »Da kann uns ja die nächsten Tage nichts passieren!«
»Wie meinen Sie dass?«
»Der, im anderen Zimmer, ist ein Kriminalkommissar!«
»Auch aus Wien?«
»Aus Eisenstadt!«
Josef Schubert lächelt in sich hinein, oft war er mit Angela in Eisenstadt gewesen! Dann doch praktisch denkend, fragt er nach einer Pause, »Frau Reisner, wohin soll ich denn zum Abendessen gehen? Den Chinesen will ich aber nicht. Welches Wirtshaus können Sie…«
Da unterbricht sie ihn, »Heute essen Sie bei mir! Ich habe alles im Korb hier!«
»Danke. Kann ich das überhaupt annehmen?«
»Der Kommissar hat es sich gewünscht, er hat heute doch Geburtstag!«
»Na, dann muss ich ihn fragen?«
»Herr Dokter, daheim bin ich die Chefin!«
»Gut, gut, Frau Reisner.«
»Und für meine Gäste bin ich die Frau Anni!«
So ruhig und schön liegt das Haus, etwas von der schmalen kurvigen Straße abgerückt. »Sehn Sie doch, da fährt kein Auto, der Weg da geht nur zum Bauernhof oben. Sonne scheint ja keine mehr, gegen die Bucklige Welt, da im Westen, ziehen tiefschwarze Wolken auf«, meint sie, »und das ist wirklich nicht politisch gemeint! Der Kommissar scheint auch noch nicht da zu sein.«
Sie bleiben vor dem Haus stehen, sie zeigt zum rechten Teil des Balkons, »Das da oben ist Ihr Zimmer.«
»Ist doch schön hier, Ihr Haus und der Ausblick!«
»Er kann nicht sehr weit sein, ein wenig in den Wald wollte er«, sagt Frau Anni. Besorgt wirkt sie, die gute Frau.
Sie sind ins Haus hineingegangen, als ein guter Siebziger die Wiese herunter kommt und auf der Terrasse stehen bleibt. »Hab alles mit«, ruft Frau Anni, »Sie werden Ihre Freude haben! Der Fleischhauer im Ort hier hat doch kein gutes, frisches Kalbfleisch, da bin ich in die Stadt hinausgefahren!«
Sie dreht sich zu Josef um, und sagt: »Herr Franz, dies ist ein Arzt aus Wien, er wird ein paar Tage bei uns bleiben!«
Josef stellt seinen Rucksack ab, grüßt den älteren Herrn höflich, »Josef Schubert, ich bin der Doktor, und Sie sind der Kommissar. Jetzt kann uns, wie Frau Anni sagte, nichts mehr passieren!«
Der freundlich wirkende Herr deutet zur nun schon Blitz und Donner herabschickenden Wetterfront im Westen, »Dagegen hilft weder Arzt noch Kommissar. Ich freu mich, nun einen Kompagnon im ›Haus Anni‹ zu bekommen. Das feinste Haus in dieser einsamen Gegend hier!«
Frau Anni ist schon in die Küche abgezogen, Topfgeklapper ist zu hören. Durch die offene Küchentür ruft sie heraus, »Herr Franz, bitte, zeigen Sie dem Dokter das Zimmer? Und zum Festessen habe ich ihn auch eingeladen!«
»Das freut mich aber, Sie müssen wissen, dass…« da unterbricht Josef mit einem Lächeln im Gesicht, »…dass Sie heute Geburtstag haben! Gratulation!«
Die zwei Herren steigen die Treppe hoch. Fünf Zimmertüren empfangen sie, »das ist mein Zimmer, das daneben nun Ihres, beide mit Balkon. Dann da links das Badezimmer. Und hier das Zimmer von Frau Anni. Sie sagt immer, sie habe die Schlüssel verlegt. Eine Seele von einer Frau!«
»Und die Türe da hinten, neben der von Frau Anni?«
»Die ist versperrt. Immer.«
Vom ersten Augenblick hat sich Josef in das Zimmer verliebt. Geräumiger, als er es von unten vermutete, ein Fenster und dann noch die Tür zum Balkon. Alles aus Holz, viel Schnitzarbeit, ein angenehmer, zum Ruhen und Lesen ein-ladender, weinroter Ohrensessel, davor ein ebenso ge-polsterter Fußschemel, ein kleines Tischchen, mit einem blitzweißen Tischtuch, mit passend dunkelrotem Kreuz-stichmuster geschmückt. Der mit Schnitzereien verzierte Kasten, ein kleiner Schreibtisch. Behaglich, meint Josef.
»In einer halben Stunde unten im Wohnzimmer, ist das recht?«, sagt Hermann noch.
Erfrischt und in einem strahlend weißen Hemd betritt Josef das große Zimmer. Durch die nur angelehnte Türe in die benachbarte Küche ziehen Düfte, allerlei schon versprechend.
Franz Hermann sitzt längst ungeduldig am Sofa, voll Erwar-tung des von Frau Anni angekündigten Festessens und des ihm sympathisch anmutenden, noch unbekannten Gastes. Die kühle Feuchte der Waldluft strömt durch die weit geöffnete Terrassentür herein.
»War ein heißer Tag heute, Herr Doktor«, da fällt ihm Josef in seine Rede, »ich heiße Josef, Josef Schubert. Und bitte bleiben wir dabei.«
»Ich denke, wir werden uns vorzüglich verstehen! Ich bin Franz Herrmann, ich komm, seitdem meine Frau verstorben ist, so acht Jahre zu Frau Anni. Im Frühsommer und im Herbst. Und auch sonst so zwischendurch. Und«, er nimmt sich im Ton leicht zurück, »ich habe es nie bereut!«
»Und ich bin noch keine Stunde hier, bin fast euphorisch über dieses Haus. Ich habe nun drei Wochen Zeit und weiß schon jetzt, ich werde jeden Tag genießen. Im Zug überlegte ich mir noch, was ich nach den paar Tagen hier im Rosalien-gebirge machen solle. Sogar Mauritius schwebte mir vor. Nun aber, ich könnte mir denken, dass ich bleibe, solange Frau Anni Platz für mich hat.«
»So, so!«
»Ich dachte sogar, nach irgendwohin ans Meer zu fahren. Will ich gar nicht! Immer am Strand liegen? Das ist nichts für mich.«
»So, so.« Herr Franz blickt den Neuankömmling an, ein Mann ohne jegliche Allüren, denkt er sich.
»Und, wenn ich fragen darf, Sie sind Arzt?«
»Ja, muss aber Keiner im Dorf Bescheid wissen. Frau Anni und Sie als Mitwisser sind genug«, lacht Josef, »sonst kommen alle mit Krücken und Kopfweh zu mir.«
»Ich hoffe, Sie gehören aber nicht zu den Ärzten, die strikte Abstinenzler sind und alles dem Menschengeschlecht ausreden, damit sie vor Enthaltsamkeit hinfällig werden?«, er steht auf und geht Richtung Schrank mit den geschliffenen und nur dezent ausgemalten Glasscheiben. Erwartungsvoll dreht er sich zu Josef um, der höflich ebenfalls aufgestanden ist und nur andeutet: »Ein Aperitif? Das wäre schon etwas Feines!«
»Na, dann sind wir froh. Wenn ich ›wir‹ sage, meine ich auch Frau Anni!«
Er nimmt drei Gläser aus dem Schrank, elegant hoch gestielte mit einem mundgeblasenen Kelch. Einen alten, tiefroten Wermut aus einer schweren, mit einem kunstvoll geschliffenen Glasstöpsel versehenen Karaffe gießt er mit besonderer Sorg-falt ein. Voll Vorfreude leuchten seine Augen, mit der lapidar wirkenden Anmerkung, »Für den geziemt sich nur ein angemessenes Riedel-Glas, gut 20 Jahre alt ist er, der Wein«! Eines stellt er gleich hinter die Türe in die Küche, kaum hörbar die Worte murmelnd, »Für dich, Anni«. Die Herren nippen im Stehen an ihren Gläsern, durch die noch weit offene Türe zur Terrasse und dem weiter hinten gelegenen Gemüsegarten blickend.
„Schwarz ist es geworden! Aber morgen ist wieder der schönste Tag, ich hoff es! Eine Frage«, wieder seine Stimme drosselnd, »hat die Frau Anni im Dialekt mit Ihnen ge-sprochen und ein Kopftüchel aufgehabt?«
»Ja. Warum fragen Sie? Hab es nett empfunden.«
Der alte Kommissar lächelt still vor sich hin, steht in der Terrassentür und, nach einer Pause, meint er, »Ihr übliches Verhalten gegen Leute aus der Stadt. Frau Anni war Professorin, hat Englisch und alte Sprachen unterrichtet!«, »Hier im Dorf doch nicht«, fragt der Doktor, »Nein, in Wien. Bis ihr Mann verstarb.« Die ersten Tropfen klatschen schwer auf den Natursteinboden der Terrasse.
»Auch ich habe meine Partnerin verloren«, sagt Josef langsam, fast behutsam, und fährt fort, »vor drei Jahren. Leukämie. War sehr schwer für mich, sie als Frau und auch als Kollegin zu verlieren. Sie war die beste Anästhesistin. Naja, wir hatten gerade übers Heiraten gesprochen. Sollt` halt nicht sein!«
»Sind Sie religiös?«
»So wie die meisten halt, ja und nein. Ich habe damals sehr mit Gott gehadert, oder dem der das sein könnte. Habe ihm die Schuld gegeben! Dass er mir Angela geraubt hat!«
»Lassen wir das Thema. Das ist was für einen ganzen Regen-tag! Wissen Sie, was Frau Anni zubereitet?«
»Nein, aber sie hat was in ihren Korb gehabt, die ganze Autobusfahrt hierher. Wie wenn es ein Heiligtum wäre, hat sie es heraufgetragen! Sie hat partout keine Hilfe angenommen.«
»Dauert noch dreißig Minuten«, erklingt es aus der Küche, »da geht sich doch noch ein Gläschen aus?«
Herr Franz geht mit der Karaffe zur Küchentür, »Nicht hereingucken«, sagt die Stimme aus der Küche.
»Wissen Sie«, und gießt auch in ihre Gläser nach, »sie ist eine Herzensgute! Und hier aus der Gegend stammt sie. Sie hat einen gesunden Menschenverstand. Sie müssen Anni sehr imponiert haben, dass sie Sie so einfach mitgenommen hat.«
Da muss Josef doch etwas grinsen, »So wie ich schon sagte, das Bedürfnis, behütet zu werden, war sehr groß: Kommissar und Doktor im Haus, ist doch optimal!«
»Ich bin seit drei Jahren im Ruhestand, einmal musste ja Schluss sein. Keine Minute reut mich, die ich im Beruf verbracht hatte. War eine schöne Zeit. Und spannend war es. Naja, nicht jeder Tag brachte einen Mord«, sagte er. »War auch viel Routinearbeit zu machen.«
»Zündet bitte die Kerzen an«, ruft sie aus der Küche. »Gleich kommt die Vorspeise.«
Anni trägt einen herrlich frischen grünen Salat auf, vorzüglich zubereitet. »Aus dem eigenen Garten«, sagt sie, »garantiert Bio!«, schmunzelt sie.
Dann überrascht sie mit einer göttlichen Rindsuppe mit den sichtlich vom ›Oberkriminalrat‹ so geliebten Kaspressknödel. Die zwei Herren sind voll des Lobes. Und nun kommt etwas auf den Tisch, was für beide die Spezialität schlechthin dar-stellt: Kalbsgulasch mit Nockerl! Hausgemachte, mit Eier und Milch, wohl gemerkt.
Frau Anni und Herr Josef trinken dem Jubilar zu, wünschen ihm alles Gute, aber dann nimmt die Sehnsucht nach der herrlichen Speise überhand und sie beginnen. Es schmeckt hervorragend, der Saft so sämig, das Fleisch zart. Beide Herren, notgedrungen fast ausschließlich ›Auswärtsesser‹, empfinden ähnlich. Umso mehr genießen sie diesen Abend! Franz Herrmann blickt Frau Anni so eigentümlich an, stolz ist er. Josef fühlt diese Spannung, irgendein Geheimnis umgibt diese Zwei.
Das Frühstück nehmen sie alle miteinander ein. Wie Herr Hermann gehofft hatte: Ein traumhaft grandioser Tag hat begonnen. Zum Wald hin sehen sie, da wo Obstbäume stehen, die Kirschen, gerade hier so prächtig, sind gegessen, eingelegt, zu Marmelade verarbeitet. Anni, Frau Anni hatte dafür gesorgt. Diese göttlichen Früchte, von altersher hier beheimatet, vor hundertfünfzig Jahren von Bäuerinnen müh-selig in Butten zu Fuß nach Wiener Neustadt zum Wochenmarkt, getragen. Hin und zurück eine Tagreise! Zu Mittag sich dann einen Hering zum Obstwein gönnend, diesen Luxus dann ge-wöhnlich nach Hause mitgenommen. Eier, Butter und Gemüse gingen so auf den Weg, aus den Dörfern Hochwolkersdorf, Bromberg, Schwarzenbach. Vor hundertfünfzig Jahren.