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Für alle die nicht mehr suchen möchten
Sport hasst er und tolerierte es auch bei uns Kindern nicht. Sein Hobby ist die Blechblasmusik, das einzige Hobby, das er bei uns Kindern akzeptierte. Meinen Perfektionismus habe ich wohl ihm zu verdanken. Nie konnte eine Arbeit auf dem Bauernhof gut genug sein, entweder musste sie wiederholt werden, oder, falls sie vermutlich gut war, gab es keinen Kommentar. In der Abgeschiedenheit habe ich nicht realisiert, dass eine schlechte Arbeit von mir für Andere immer noch völlig ausreichend war. Ohne mein Wissen wurde ich zu einem Perfektionisten erzogen.
Irgendwo hatte mein Vater meine Mutter kennengelernt, ich weiß nicht wo, wir haben nie darüber geredet. Sie ist ebenfalls recht unauffällig, aber litt vermutlich stark unter der Kommunikationskargheit meines Vaters. Sie führt ständig Selbstgespräche. Sie ist weder dünn noch dick, normal halt. Lange hat sie einzelne graue Haare ausgerissen, bis sie auf die Idee kam, sie zu färben. Auch sie hat eine markante Nase, sonst ist sie völlig unauffällig. Unter keinen Umständen will sie gegen Gesellschaftsnormen verstoßen. Dazu fehlt ihr das nötige Selbstwertgefühl. Deshalb fährt sie heute immer noch genauso Auto, wie sie vor 30 Jahren in den Fahrstunden instruiert wurde. An eine Scheidung ist nicht mal zu denken. Was würden denn die Nachbarn denken?
Der dritte Song, Beyond time, geht zu Ende. Mit Schrecken muss er feststellen, dass die zwei Weiber immer noch leben.
´Scheiß Weiber, kratzt auf der Stelle ab!´, denkt er.
Aber nichts passiert.
Tadam, tadam, die Wagenräder erzeugen ein monotones Geräusch auf den Schienen. Er stellt sich vor, wie er den Weibern abwechslungsweise zum Takt des Geräusches in die Beine schießt.
´Von Basel aus sechs Stunden Zugfahrt, alle zwei Sekunden ein Schuss, das gäbe dann so ca. … 12.000 Schüsse. Annahme: Ein Schuss ist 3 Gramm, gäbe also 36 kg Munition. Das wäre ganz schön viel zu schleppen gewesen´, denkt er.
Endlich, die akustische Rettung. Sein Lieblingssong auf der CD: Love comes quickly von den Pet Shop Boys.
Die Häuser vor dem Zugfenster stehen zunehmend dichter.
´Wir sind wohl schon in den traurigen Vororten von Paris. Menschliche Zuchtplantagen, die Menschen zu arm, auf der Warteliste für die City. Oder gar schwarz und im dritten Jahrtausend immer noch nicht erwünscht im Zentrum. Da wo einen wenigstens die Touristen von der Sinnlosigkeit des Lebens ablenken würden´, denkt er.
Als Kind brachte jede Jahreszeit auf dem Bauernhof ihre speziellen Arbeitsrituale mit sich. Im Frühling mussten wir Kinder die abgesägten Zweige unter den Obstbäumen zusammensammeln. Im Sommer waren die Kirschen reif, das Pflücken raubte uns einen Monat der Sommerferien. In der Hochsaison halfen uns externe Arbeiter. Das Heu und Stroh als Vorrat für den Winter musste ebenfalls von den Feldern in die Scheune. Im Herbst kamen die Birnen und Äpfel an die Reihe. Sie mussten von den Bäumen geschüttelt, gepflückt oder vom Boden aufgelesen werden. Und im Winter gingen wir in den Wald, um die kranken Tannen zu fällen. Meine Schwestern hatten Glück, sie waren nicht erwünscht, das war eine reine Männerarbeit. Nach der Kirsch- und Obstsaison bekam ich ein wahrscheinlich wohlgemeintes Salär. Als zehnjähriger rund 50 Franken für die ganze Saison. Heute ist mein Lohn als Wissenschaftler recht bescheiden, aber immerhin rund 100mal größer als damals.
Diese Arbeitsrituale waren ein kleines Familientreffen. Daneben gab es Arbeiten, die das ganze Jahr andauerten. Beispielsweise die Milch am frühen Sonntagmorgen in die Käserei bringen. Mein Bruder und ich mussten untereinander ausmachen, wer aufstehen muss. Weiter mussten die Kühe gemolken werden, wenn der Vater einen Auftritt mit der Brass Band hatte. Als mein Bruder und ich noch zu klein waren, hat das oft ein Nachbar von uns gemacht. Er hat sich dann aber später im Obstgarten erhängt.
Am Abend saßen wir meist zusammen vor dem Fernseher, bis wir dann ins Bett mussten. Äußerst unangenehm waren unerwartete Sex- oder Kussszenen auf dem Bildschirm. Dies war immer eine äußerst peinliche Situation, am peinlichsten wohl für den Vater. Mit der gekonnten Ablenkung: „Ha, ha, glaubt ihr diese Märchen, die hier erzählt werden etwa?“, wechselte er auf den anderen Kanal, den wir noch hatten. Leider hatten wir nur…
´Ach du Scheiße, die verdammten Batterien sind leer´, denkt er.
„Du musst aber noch etwas Rahmsoße dazu geben“, sagt das Muttermal.
„Ja, ich weiß, das hat meine Mutter immer so gemacht“, erwidern die Hängetitten.
„Oder, was auch ganz lecker ist, ein Schuss Zitrone oben drauf. Dann muss man natürlich zuerst nachfragen, ob das jeder gerne hat“, wieder die Erste, als ob sie den Knüller der Woche offenbart.
´Nein, ihr verdammten Small-Talk-Tussis. Wieso kommuniziert ihr? Mit fünfzig immer noch nicht realisiert, dass ihr euer ganzes Leben alleine seid? Wörter sind doch völlig ungeeignet um Gefühle weiterzugeben, nur ein Hauch von dem, was man möchte, kommt an, vielleicht auch was völlig anderes. Wie soll man da bloß Glücksgefühle wie Faszination weitergeben? Das ist wohl zwecklose Zeitverschwendung, vor allem mit eurem Small Talk. Bleibt besser still und … ja, schlagt euch besser die Fressen ein oder pisst in den Aschenbecher´, denkt er.
Genervt wickelt er die Kopfhörer um den Discman und legt ihn auf das am Sitz montierte Tablar vor ihm.
„Beim letzten Mal wollten sie alle noch mehr haben, außer Katrin, sie war auf Diät. Und dann hatte ich nicht mal genug …“
Klatsch!
Er schlägt sich mit der rechten Hand ins Gesicht.
´Hi hi, das tut ganz schön weh, dafür war es unüberhörbar´, denkt er.
Die zwei Weiber starren sich schockiert an und unterbrechen ihre tiefgründige Unterhaltung. Er verzieht keine Miene und schaut zum Fenster raus. Innerlich triumphierend genießt er die