Die Vision
Alles begann mit einem Zittern, welches durch die Magie fuhr und an seinen Sinnen zupfte, wie ein Insekt das panisch versucht sich aus einem Spinnennetz zu befreien, in dem es sich verfangen hat. Doch er hatte die Nase voll von den fortwährenden und sinnlosen Kriegen. Es gab nichts was er sich sehnlicher wünschte, als endlich seinen Frieden zu finden. So ließ er seine Gedanken schweifen in der Hoffnung in Ruhe gelassen zu werden. Jedoch wurde seine Stille immer wieder durch ein erneutes Ziehen an seinen Sinnen unterbrochen, welches von Mal zu Mal an Intensität zunahm. Haltet mich aus eurem Streit heraus. Formte er seine Gedanken und sandte sie in Richtung der Vibrationen aus. Die Antwort war eine heftige Machterschütterung welche ihn wissen ließ, dass er seinen Schlaf nicht fortsetzen würde können.
Widerwillig sammelte er Magie in mitten des Beschwörungskreises um seine Gestalt anzunehmen. Dabei verspürte er Zorn darüber, dass seine Ruhe gestört wurde. Als er seinen Atem, den er für einen Moment angehalten hatte um sich zu beruhigen, schließlich wieder ausstieß, konnte er ihn tief und bedrohlich aus seinem Rachen steigen hören. An diesem stillen Ort an dem er sich befand, wirkte es beinahe wie ein Gebrüll einer Bestie. Doch sein Groll verlor an Kraft und nach einem weiteren Momenterlosch er gänzlich.
Erst jetzt wagte er seine Augen zu öffnen, um seine Umgebung zu mustern.
Um ihn herum standen, in einem Achteck angeordnet, aus Stein geschlagene Statuen, die seinem Ebenbild glichen. Sie waren ihm zu Ehren von den Menschen errichtet worden um seine Gnade zu erlangen. Auch der Beschwörungskreis der sich genau in der Mitte des Achteckes befand und auf dem er stand, war sorgfältig verziert mit verschiedensten Pflastersteinen und zeugte von der Ehrfrucht, die die Menschen vor ihm haben mussten. Sein Symbol der Flammen war dabei besonders deutlich hervorgehoben worden.
Das alles und der Umstand, dass sein Denkmal auf dem höchsten Berg errichtet wurde, den es weit und breit gab, machten ihm jedes Mal aufs Neue bewusst, welch große Furcht die Menschen angetrieben haben musste damit sie dies ohne jeglicher Hilfe und mit bloßen Händen schufen.
Obwohl er keinen Beschwörungskreis benötigte um Gestalt anzunehmen, kam er jedoch jedes Mal seit es sein Denkmal gab an diesen Ort zurück wenn er sich manifestierte. Er fühlte sich mit dem Denkmal auf eine Weise verbunden, die er nicht erklären konnte und er bewunderte jeden Menschen, der sich den steilen Weg herauf kämpfte um zu ihm zu beten oder ihm ein Opfer zu bringen.
Denn die Klippen fielen schon wenige Meter hinter den Steinfiguren steil ab wodurch er einen atemberaubenden Ausblick auf die Welt zu seinen Füßen hatte. Selbst die Tiere hielten sich von dieser Höhe fern.
Nur durch seine von Magie durchfluteten Ohren, konnte er hören wie die Vögel in weiter Ferne ihre Lieder sangen. Für einen kurzen Moment beneidete er sie, wie sie frei und schwerelos durch die Luft segelten und dabei so unberührt von aller Gewalt wirkten. Sie blieben von dem Krieg und dem Sterben verschont und er wünschte ihnen, dass es für sie immer so bleiben würde.
Die nächste Stadt war zwei Tagesmärsche entfernt und nur schemenhaft am Horizont zu erkennen und doch kamen beinahe täglich Menschen zu seinem Denkmal um zu beten.
Die einen wollten das Ende des Krieges, andere beteten für ihre geliebten Menschen, die in den Krieg gezogen waren und wieder andere flehten darum, dass er ihnen ihre Verstorbenen wieder geben sollte.
Wenn sie wüssten, dass ich Mitschuld daran habe, dass der Krieg überhaupt ausgebrochen ist, dann würden sie mich nicht mehr anbeten. Er schob den Gedanken zur Seite und versuchte sich stattdessen daran zu erinnern, wie es dazugekommen war, dass die Menschen begannen ihn anzubeten.
Obwohl er anfangs für den Krieg war und mithalf die Menschen gegen die Magier aufzubringen so hatte er nicht damit gerechnet, dass der Kampf so blutig werden würde.
Schon zu Beginn des Krieges kam es zu einem Zusammenstoß zwischen einem Magier und einer wehrlosen Frau. Er hatte nicht dabei zusehen können wie der Zauberer die Frau vergewaltigt und anschließend getötet hätte, selbst wegsehen war für ihn keine Option gewesen. So hielt er, vor den Augen der Frau, den Mann davon ab ihr ein Leid zuzufügen und sorgte gleichzeitig dafür, dass dieser nie wieder Freude mit einer Frau empfinden können würde.
Es hätte eine Strafe sein sollen, die für den Magier schmerzvoller war als ihn zu töten. Doch genau diese Handlung war es, die ihn für beide zu einer Art Gott werden ließ. Denn er legte dem Mann damit eine Strafe auf, mit der er gleichzeitig seine Gnade bewies indem er ihn am Leben gelassen hatte.
Niemals hätte er gedacht, dass sein Einschreiten solch eine Reaktion auslösen würde. Die Geschehnisse hatten sich wie ein Lauffeuer verbreitet, das nicht aufzuhalten war. Es war als ob die Menschen nur auf ein Zeichen gewartet hätten, um an einen Gott glauben zu können.
Noch gut konnte er sich an die Zeit erinnern, in der er selbst noch ein Mensch war. Schon damals war er ein mächtiger Magier gewesen und von der Gier nach mehr Macht beherrscht, sodass er, kaum als er das Geheimnis des ewigen Lebens gelüftet hatte, ohne zu zögern sein altes Leben hinter sich gelassen hatte.
Da er allein jedoch nicht mächtig genug gewesen war, weihte er seinen Bruder und drei seiner engsten Magierfreunde ein, mit denen er gemeinsam den Weg der Unsterblichkeit beschritt.
Seit dieser Zeit, welche bereits hunderte von Jahren zurück lag, waren sie stets bemüht, andere Magier daran zu hindern die Lösung zu finden es ihnen gleich zu tun. Nicht um ihnen die quälende Langeweile der Ewigkeit zu ersparen, als vielmehr die Angst, dass es noch mehr von ihnen geben könnte.
Obwohl sie in ihrer neuen Form mächtiger waren als alle Menschen auf Erden zusammen und ihnen alle Wege und Möglichkeiten offen standen, hatten sie sich selbst doch niemals als Götter bezeichnet. Es waren die Menschen gewesen, die ihn als Gott betitelten und es gefiel ihm. Doch so sehr er es genoss angebetet zu werden, sosehr hatte er sich dadurch das Missfallen seiner ehemaligen Freunde zugezogen.
Mit all ihrer Macht versuchten sie die Menschen zu verängstigen und zu unterwerfen, nur um von ihnen genauso angebetet zu werden wie sie es auch bei ihm taten. Doch all ihre Bemühungen verfehlten ihr Ziel, denn damit brachten sie die Menschen nur dazu ihn noch mehr anzuflehen und zu ihm zu beten, dass er die bösen Dämonen besiegen solle, um sie von ihrem Leid zu befreien.
Es war ein Teufelskreis, der nicht zu durchbrechen war, denn je mehr er angebetet wurde umso heftiger fiel der Zorn seiner Gleichgesinnten aus, welchen sie auf die Menschen nieder gehen ließen.
Hätte er eine Idee wie er seine ehemaligen Menschenfreunde aufhalten konnte, hätte er es schon lange versucht. Doch die Anfangszeit als sie gerade erst ihre neue Form angenommen hatten, war noch sehr deutlich in seinem Gedächtnis.
Obwohl sie in ihrem früheren Leben so eng befreundet waren, begannen sie sich plötzlich zu bekämpfen. Selbst sein Bruder war zu einem Feind geworden, denn ein jeder von ihnen wollte der einzige Unsterbliche sein.
Doch so sehr sie sich auch versuchten mit all ihren Mächten zu bekriegen, es gelang ihnen nicht auch nur einen ihres Gleichen zu töten.
Die Erkenntnis, die sie damals traf, dass ihr neues Leben sie nicht nur die Zeit trotzen ließ, sondern sie auch wahrhaftig und für alle Ewigkeit unauslöschlich machte, schweißte die fünf Magierfreunde von neuen zusammen. Denn sie wussten nun, dass sie untereinander nichts mehr zu befürchten brauchten. Das war die Zeit als sie begannen ihre Aufmerksamkeit den normal sterblichen Magiern zuzuwenden.
Aus Furcht, sie würden sofort hinter ihr Geheimnis kommen, wenn sie sich gegenüberstanden, hetzten sie die Menschen gegen die Zauberer auf und der nie enden wollende Krieg begann.
Damals hatte er sich noch gewundert, wie einfach es war die Menschen gegen die Magier aufzubringen, doch inzwischen hatte er gelernt, dass die Menschen immer jenes fürchteten, das sie nicht verstanden und jene beneideten, die mächtiger waren als sie selbst. Es war ihre Furcht vor der Magie welches sie bis dahin noch zurück gehalten hatte. Doch als er und seine Freunde mit Täuschungen den Zorn zum Überkochen gebracht hatten, hätte niemand mehr den Aufstand bremsen können.
Mit furchtbarer Brutalität begannen sie mit der Hexenjagd und verbrannten jeden Menschen mit magischen Fähigkeiten beim lebendigen Leib während die Menge zusah und jubelte. Den verbleibenden Zauberern blieb nichts anderes übrig als sich zu formieren und mit gleicher Brutalität zurück zu schlagen. Das sie deutlich in der Unterzahl waren machten sie mit Magie wett.
Niemals hätte er zulassen sollen, dass dieser Krieg ausbrach und ein solches Maß an Wut gewann. Es gab keine Hoffnung auf Frieden. Der Hass saß in allen Fronten zu tief und es gab nur eine Möglichkeit, wie dieser Krieg enden konnte und das war die absolute Auslöschung einer Seite.
Doch weder sein Bruder noch seine ehemaligen Freunde konnten sehen was er schon lange erkannt hatte. Sie warfen nur weiter Brennholz in das bereits unkontrollierbare Feuer. Sie sahen es inzwischen sogar als Spiel und schoben die Menschen auf der Erde wie Schachfiguren über ein Brett.
Während Erlak und Gandu darauf achteten, dass die Mystiker nicht zu Vernunft kamen und sie fortwährend manipulierten, konzentrierten sich sein Bruder Rasu und Malek darauf, dass der Angriff der normalen Menschen nicht an Schwung verlor und der Zorn hinter dem Leid und den Rückschlägen welche sie täglich erleben mussten nicht verblasste.
Die Welt wie auch deren Lebewesen litt bereits unter dem endlosen Krieg. Offensichtlich war er der Einzige, der zu Vernunft gekommen war, doch er konnte die anderen nicht aufhalten.
Ein Hoffnungsschimmer war eine neue Art der Magie, die er entdeckt hatte. Es war die Kraft des Lebens. Mit deren Hilfe hatte er eine Frau nach seinen Wünschen geformt und ihr anschließend Leben eingehaucht. Erst seitdem er sie geschaffen hatte fühlte er sich wirklich wie ein Gott. Doch die anderen kümmerte es nicht was er geschaffen und welch eine neue Magie er entdeckt hatte.
Sie bemerkten nur, dass er ihr besonders viel Aufmerksamkeit schenkte, doch es interessierte sie nicht wie er sie erschaffen hatte. Dabei hatte er erwartet, wenn sie erst sehen würden wie gottähnlich er nun wirklich war, dass sie alle wissen wollten wie er Menschen erschaffen konnte und statt Leben zu nehmen hätten sie gemeinsam Leben schenken können.
Vergebens war seine Hoffnung. Das einzige Interesse seiner Schicksalsgefährten bestand ausschließlich daran, ihre Schachpartie zu führen und unzählige Menschen in den Tod zu schicken. Sie würden wohl erst damit aufhören wenn es keine Menschen mehr gab die sie manipulieren konnten.
Damit wollte er wahrlich nichts mehr zu tun haben. Sollten sie nur jedes Lebewesen vernichten, wenn sie nur ihn und sein von ihm erschaffenes Wunder in Ruhe lassen würden. Wie es jedoch schien wurde ihm nicht einmal dieser Wunsch gewährt.
Eine Erschütterung der Macht ging um die Welt und hinterließ eine kaum wahrnehmbare Narbe in seinem Geiste wodurch er unbewusst aufhorchte.
Seine flügelartigen Arme breiteten sich reflexartig aus, damit er mehr Magie in sich aufnehmen konnte und bevor er darüber nach denken konnte was er tat streckte er bereits seine Sinne nach der Ursache der Erschütterung aus.
Obwohl er am anderen Ende der Welt stand, sah er den tobenden Kampf als würde er sich mitten im Gefecht befinden. Die Bilder die sich ihm boten zeugten von qualvollen Schmerzen und Leid. Abermals mussten Menschen ihr Leben lassen für ein Ziel, das ihnen selbst nicht klar war.
Angewidert zog er seine Flügeln wieder an um nicht länger diesen Zerrbildern ausgesetzt sein zu müssen und um nicht versehentlich die Aufmerksamkeit der Anderen auf sich zu ziehen. Sofort riss der Magiefaden ab wodurch sein Weitblick verschwamm bis er gänzlich alleine auf den Pflastersteinen des Beschwörungskreises stand und die Stille genoss. Auf keinen Fall wollte er sich einmischen.
Dass ihm jedoch nichts anderes übrig zu bleiben schien stand sofort fest, als sich ein Portal hinter ihm öffnete, welches er war nahm ohne sich danach umdrehen zu müssen. Selbst als jemand geräuschlos aus der Pforte stieg und hinter ihm stehen blieb wand er sich nicht um und starrte stattdessen in die weite Ferne.
Er blieb einfach mit dem Rücken zu dem Eindringling stehen, denn er wusste bereits wer dort stand. Er konnte es fühlen in dem Moment als sich das Portal geöffnet hatte. Zu viele Jahre waren sie bereits aneinander gebunden, dass er hätte tot sein müssen, um nicht zu fühlen, dass der Zauber von seinem Bruder gewirkt worden war.
„Was willst du?“, forderte er mit einer so tiefen und drohenden Stimme, dass selbst der Boden erzitterte. Der Zorn und der Hass der darin mitschwang hätten einen jeden Menschen und ein jedes Lebewesen sofort zu Tode erschreckt. Er wollte dem Eindringling nicht verbergen, dass er hier unerwünscht war.
„Auf welcher Seite stehst du, Bruder?“, wollte Rasu unbeeindruckt von ihm wissen.
„Auf keiner. Ich habe eure Spielchen satt!“, fuhr er seinen Verwandten an und wand sich drohend um. Dabei brodelte in seinen Augen Feuer und seine Flügel waren bedrohlich ausgebreitet um Magie in sich aufnehmen zu können.
Für einen kurzen Moment schien Rasu von seinem Anblick verunsichert, doch er fing sich schnell wieder und lächelte vorsichtig. „Was willst du tun Zyral? Du weißt so gut wie ich, dass wir unsterblich sind.“
Dessen Worte ignorierend, saugte er weiter Magie auf. Inzwischen trug er so viel Macht in sich, dass es ausreichen würde um mit einem Streich einen ganzen Kontinent zu vernichten. Und selbst als die Magie um ihn herum dünner wurde hörte Zyral nicht damit auf sie in sich auf zu nehmen. Er beschwor sie nur von noch weiter her.
Rasus Augen wurden dabei immer unsicherer, denn auch er konnte fühlen wie viel Macht sein Bruder inzwischen in sich aufgenommen hatte.
„Du wirst noch den ganzen Planeten zerstören, ich will nicht gegen dich kämpfen. Ich bin hier um dich für meine Seite zu gewinnen“, erklärte er seinem Blutsverwandten vorsichtiger als zuvor.
Langsam ließ Zyral seine Flügel sinken und stoppte damit die Magiezufuhr. Er hatte genug für den Moment und die Magie, die er bereits in sich trug, hatte bestimmt schon genug Schäden dort angerichtet, von wo er sie gestohlen hatte.
„Ich kämpfe weder für, noch gegen dich. Halte mich aus euren Schlachten heraus, dann gibst du mir auch keinen Grund dazu, einen Weg zu finden dich zu töten!“, zischte Zyral seinem Bruder an.
Rasu schien seine Worte sorgfältig zu wählen bevor er seine Verhandlung aufnahm: „Ich glaube nicht, dass es einen Weg gibt um mich oder dich auszulöschen. Du kannst auch nicht einfach scheinheilig hier herumsitzen und so tun als wäre es nicht auch dein Krieg! Wir wollten ihn alle und ich glaube mich erinnern zu können, dass du das erste Schwert in dem Kampf geführt hast. Was ist mit dir passiert? Ist es dieses Menschenweib, welches du geschaffen hast, was dich so verweichlicht? Der Krieg wird früher oder später auch hierher kommen und wenn es soweit ist wirst du dich für eine Seite entscheiden müssen.“
Zyral hatte geduldig zugehört und abgewartet, denn er hasste es jemanden zu unterbrechen. Doch kaum war sein Bruder fertig breitete sich das Feuer in seinen Augen auf seinen restlichen Körper aus. Seine Haut begann zu glühen, als wäre es ein heißes Metall in einer Schmiede, das erst in Form gebracht werden musste und sein gesamter Körper stand plötzlich in Flammen.
„Ich schwöre dir Rasu, dass ich einen Weg finden werde dich zu töten, wenn du sie in diesen Krieg hinein ziehst oder sie auch nur noch einmal erwähnst. Und jetzt geh, bevor ich meine Beherrschung verliere.“, versprach er seinem Bruder mit einer Stimme die tief und bedrohlich aus seinem flammenden Maul heraus dampfte wie ein loderndes Feuer in einem Inferno.
„Hat es dir denn noch niemand gesagt? Ich hatte gedacht du hättest sowieso immer ein Auge auf sie gerichtet…“, fing Rasu an zu erklären, hielt für einen Moment inne und sprach mitfühlend weiter, „Dein Menschenweib ist tot. Erlak hat sie töten lassen, mit vielen anderen unschuldigen Menschen, nur weil sie zu dir gebetet hatten.“
Zyral stieß einen Schmerzensschrei aus, der so qualvoll war, dass er die Erde beben ließ als würde sie vor ihm erzittern. Sein Schrei konnte überall auf dem Kontinent, auf dem sie sich befanden, vernommen werden, doch die Erschütterungen ließ den gesamten Planeten vor Ehrfurcht erbeben. Kilometerlange Risse entstanden überall in der Erdkruste und rissen Tier und Mensch in den Tod. Die berghohe Wellen, die auf die Küste zurasten, würden jedoch noch viel mehr Leben nehmen.
„Du lügst!“, spie Zyral Rasu entgegen, doch sofort war er sich der kleinen Narbe in seiner Seele bewusst, die er schon zuvor gespürt ihr jedoch keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Rasu schüttelte nur traurig seinen Kopf und betrachtete durch seine magischen Augen die Schäden, die Zyral angerichtet hatte.
„Ich werde eine neue Frau schaffen und euch beide dafür jagen!“, schrie er zornentbrannt und formte mit seiner gesammelten Magie eine Feuerkugel, die er ohne Vorwarnung direkt auf seinen Bruder schoss.
Dieser hatte keine Zeit nachzudenken und riss reflexartig, obwohl er wusste, dass er mit aller Magie der Welt nicht zu töten war, ein Schild hoch welches die Kugel abprallen ließ.
Gemeinsam beobachtete sie, mit aufgerissenen Augen, die Flugbahn der apokalyptischen Kugel. Zyral hasste sich bereits für seinen unnötigen Wutausbruch doch er konnte es nicht mehr rückgängig machen. Gebannt beobachteten sie die Ereignisse.
Die Kugel flog durch den Aufprall steil in die Luft und verschwand am Horizont. Kein menschliches Auge würde die Feuerkugel noch sehen, doch sie sahen mit ihrer Gabe der Magie wie gefesselt in die Richtung, in die der Flammenball verschwunden war. Sie traf einen abgelegenen Kontinent doch der Schaden betraf die ganze Welt.
Kaum als sie auftraf ging ein Lichtblitz um die Erde, der sämtliche Magie durch wirbelte wie ein hungriger Tornado der eine ganze Stadt wegfegte. Zyral konnte fühlen wie überall gleichzeitig nahezu alle Magier tot umfielen. Die Fähigkeit Magie zu fühlen und zu beherrschen war nun zu ihrem Fluch geworden, denn ihr Körper war zu schwach um dieser magische Erschütterung standzuhalten.
Gleichzeitig verwandelte sich der getroffene Kontinent in eine brennende Hölle. Der Planet erzitterte und Zyral befürchtete für einen Moment, dass dieser dem Treffer nicht standhalten würde. Zu seiner Erleichterung ließ die Erschütterung langsam nach, doch der betroffene Erdteil würde nie mehr derselbe sein. Er war zu einem einzigen riesigen Aschehaufen geworden auf dem es nie wieder Leben geben würde, dem war sich Zyral sicher.
Unfähig über die Millionen von Menschen zu trauern, die er gerade getötet hatte, wand er sich wieder Rasu zu, der immer noch wie versteinert in die Richtung blickte in die die Kugel verschwunden war.
„Jetzt ist wenigstens der Krieg beendet, den du so verabscheut hast…“ flüsterte Rasu ehrfürchtig und brach ab.
„Ich werde einen Weg finden dich und die anderen zu töten! Wenn es soweit ist, werde ich dir deinen Kopf von den Schultern reißen und ihn vor deinem Grab auf einem Pfahl aufspießen!“, es war keine Drohung, sondern eine Feststellung, die Zyral ihm versprach.
Erschüttert über diese Androhung wich Rasu einen Schritt zurück. Er wusste was dieses Ritual zu bedeuten hatte und es war die schlimmste Strafe, die er sich vorstellen konnte. Es war ein uraltes Totenritual, das nur an den schlimmsten Verrätern angewandt wurde. Es hieß, dass es dem Toten auf alle Ewigkeit die furchtbarsten Qualen im Jenseits fühlen lassen würde.
„Womit hab ich ein solches Ende von meinem eigenen Bruder verdient?“, wollte Rasu traurig wissen.
„Wage es nicht mich zu verspotten. Du warst es, der die anderen aufgestachelt hat als ich hinter das Geheimnis gekommen bin wie man ein Leben erschafft. Doch anstatt das du mich fragst wie das möglich war, bist du zu Erlak gelaufen und hast seine Eifersucht noch geschürt. Du hast sie hinein gezogen und sie starb wegen dem Streit, den du provoziert hast! Also tu jetzt nicht so als wärst du unschuldig!“, schrie Zyral ihn an und breitete seine brennenden Flügel in voller Größe aus. Wie ein Wasserfall strömte nun Magie aus allen Ecken der Welt zu ihm und er nahm sie bereitwillig auf. Er wusste selber nicht was er damit vorhatte. Doch sein Zorn zwang ihn dazu immer weiter Macht zu sammeln obwohl er wusste, dass er damit den Planeten gefährdete.
Rasu starrte ihn nur angstvoll an. Noch nie hatte jemand von ihnen versucht so viel Magie in sich aufzunehmen und er war sich nicht sicher, was sein Bruder damit vorhatte. Gerade als er sich auf den nächsten Angriff seines Gegenüber vorbereitete, begann Zyral aus voller Kehle zu lachen. Als hätte dieser den besten Witz gehört, den es gab, schrie er vor Freude los und war nicht mehr zu stoppen.
„Natürlich! Es ist so einfach…“, lachte Zyral vor sich her und es hallte dabei über das Land und schüchterte jeden ein, der es vernahm. „Wir waren so blind!“, rief er aus und ließ seine Flügel sinken wodurch die aufgestaute Magie wieder aus ihm herausquoll. Es war zu viel für ihn um sie bei sich zu behalten. Doch das war ihm egal, denn er hatte eine Vision gehabt.
Die Zornesflammen die seinen Körper umhüllt hatten erloschen und er strahlte seinen Bruder lächelnd an. „Ich konnte es sehen! Bald mein Bruder, schon bald wirst du sterben!“, schrie er fröhlich aus. Er klappte die Flügel ein und breitete stattdessen seine Arme aus, als wollte er die ganze Welt umarmen. Dann warf er seinen Kopf in den Nacken und begann von Neuem zu lachen. Es war noch tiefer und bedrohlicher als zuvor, was sogar Rasu vor Furcht erzittern ließ.
„Mir wurde gerade die Zukunft offenbart und damit auch die Lösung wie unser Leid des ewigen Lebens gebrochen werden kann!“, Zyral brach abrupt sein Lachen ab und starrte seinen Bruder ernst in die Augen, dann zeigte er mit seiner Klaue auf ihn und ergriff von neuen das Wort, „Du glaubst wir sind unsterblich! Dabei sind wir nicht viel mehr als pure Magie!“.
Rasu schüttelte nur traurig den Kopf, denn er glaubte, dass Zyral nun völlig den Verstand verloren hätte. Er hatte noch nie erlebt, dass jemand so viel Magie in sich getragen hatte und glaubte, dass sein Bruder dadurch übergeschnappt war. Er selbst war der jüngere und doch wusste er genauso gut wie Zyral, das alles nur durch Magie leben konnte. Als sie ihren Körper aufgegeben hatten, waren sie zu Wesen geworden, die aus purer Magie bestand und jeder Zauberer wusste, dass Magie nicht zerstört werden konnte.
„Magie weilt ewig!“, flüsterte Rasu ein Zitat seines Lehrherren.
Sein Bruder ließ die Hand wieder sinken und machte dabei sein typisches verächtliches Schnauben, mit dem er jeden zu verstehen gab, dass sie zu begriffsstutzig waren um zu begreifen. Gleichzeitig wand er ihm den Rücken zu und versprach ihm: „Bald schon wird alles sein Ende finden. Du, Erlak und die Anderen, ihr werdet alle sterben“. Entspannt als wäre er die Ruhe in Person fügte er hinzu, „Jetzt geh! Wenn wir uns wieder sehen, wirst du wissen für welche Seite ich mich entschieden habe.“
Ohne ein Wort zu erwidern, wand sich Rasu um. Wenn sein Bruder wirklich einen Weg gefunden hatte sie zu töten, dann musste er die Anderen warnen. Mit dem Gedanken stieg er durch das Portal und kaum war er darin verschwunden löste es sich auf.
Zyral ließ erneut sein Schnaufen hören und begann an seinem Plan zu arbeiten. Für einen kurzen Moment hatte er erkennen können, wie er sie alle aufhalten konnte. Es war geschehen, als er die Magie in sich aufgenommen hatte. Eigentlich wollte er den Planeten zerschmettern, denn dann würden die Streitigkeiten ein Ende finden, doch die viele Magie, die er kurzzeitig in sich getragen hatte, erlaubte ihm einen Fernblick. In einem einzigen Augenblick liefen vor seinen Augen viele Jahrzehnte ab und ohne, dass er es beabsichtig hatte, konnte er die Lösung sehen.
Schon bald würde ein Mensch geboren werden, der der Schlüssel zum Tor des Jenseits war. Er würde als einziger die Macht besitzen sie alle zu zerstören. Nun musste er diesen, noch nicht einmal geborenen, Knaben finden und so lange beschützen, bis er seine Fähigkeiten meistern konnte. Bis dahin würde er sein Vertrauen gewinnen und ihn manipulieren wie er es für richtig hielt. Denn sein Bruder und ehemaligen Freunde waren schon zu lange an der Macht. Es wurde Zeit für einen Wechsel.
Gedankenverloren dachte Zyral an die Zeit, als er selbst noch ein menschliches Geschöpf war und wie die Macht der Zauberei, die er dann erlangte, ihn zu immer mehr antrieb. Nie bekam er genug davon und wollte ständig noch mächtiger werden, bis er schließlich zu etwas gänzlich anderen wurde. Es war bereits viel zu lange her, dass sie ihre menschlichen Hüllen abgelegt hatten, um zu Wesen aus reiner Magie zu werden.
Seitdem lenkten und spielten sie mit den Menschen, wie als wären sie Figuren auf einem Schachbrett. Er hatte genug Partien gegen seine früheren Freunde gespielt, es wurde Zeit, den Figuren ihren eigenen Willen zurück zu geben. Selbst wenn das bedeutete, dass er sein eigenes Dasein gefährdete. Vielleicht würde er auch einen Weg finden ihren Todbringer auf seine Seite zu ziehen, doch selbst wenn nicht war er ohnehin müde und seiner selbst satt.
Jetzt zählte jedoch nur seine letzte Schachfigur zu finden, auf das richtige Feld zu steuern und sie zu beschützen, bis das letzte Spiel gewonnen war. Er würde sie zu seinem persönlichen Krieger des Todes machen und ihr all die benötigte Macht und das Wissen geben, welches dazu nötig war um seine Kontrahenten für alle Zeiten auszulöschen.
Er konnte sein Lächeln nicht verbergen als er seinen Plan immer wieder durchging. Doch eine plötzliche Veränderung ganz in der Nähe ließ ihn seine Gedanken mit einer Handbewegung fort wischen. Als er sich dem neuen Eindringling zuwandte, stand dort Erlak. Er hatte zu seinen Lebzeiten zu den engsten und besten Freunden gezählt, doch nun war er sein größter Feind. Seine Gier ebenfalls angebetet zu werden machte ihn zu einem bestialischen Monster.
„Du willst uns also alle töten, obwohl du weißt, dass nicht einer von uns sterblich ist?“, fragte dieser überfreundlich und amüsiert.
„Täusch dich nicht! Heute genau in hundert Jahren wird Malek als erstes von euch sterben! Dann wird einer nach dem anderen folgen und aufhören zu existieren bis am Ende schließlich nur noch wir zwei da sein werden. Wenn die Zeit gekommen ist wird auch deine Lebensuhr abgelaufen sein.“, stellte Zyral ernst fest.
„Wir haben so oft versucht uns gegenseitig Schaden anzutun, wie kommst du auf die Idee, du könntest uns auf einmal besiegen?“, erkundigte sich Erlak, doch seine Sicherheit war verschwunden. Er hatte Zyral schon immer ernst genommen und wenn dieser drohte, dann war es niemals auf die leichte Schulter zu nehmen.
„Mir wurde die Lösung in einer Vision vor Augen geführt. Wir waren dumm und haben uns nur auf unsere Macht verlassen. Dabei lag es die ganze Zeit auf der Hand! Wir sind nicht mehr als die Magie die wir für unsere Zauber benutzen. Wir besitzen die Fähigkeit sie zu formen und zu beeinflussen wie wir es wollen aber das macht uns nicht zu etwas größeren!“, stellte Zyral fest und beobachtete wie sich das Gesicht seines Gegenübers immer mehr verfinsterte.
„Aber wenn wir sie benutzen und nach unserem Willen gestalten, dann wird sie nicht verbraucht.“, stellte Erlak fest um mehr zu erfahren.
„Wenn du Magie speicherst, dann wird sie zu deinem Werkzeug. Du kannst sie manipulieren oder ihr einen neuen Sinn des Daseins geben.“, Zyral brauchte kaum fertig zu sprechen als er bereits bemerkte, wie seinem Erzfeind die Erkenntnis traf.
„Du kannst aber nicht alle Magie dieses Planeten in dich aufnehmen nur um uns neu zu erschaffen! Das wäre sogar für dich zu viel“, lachte Erlak erneut auf, doch seine Unsicherheit war deutlich herauszuhören.
„Ich nicht, doch es wird einen Menschen geben, der mit meiner Hilfe dazu in der Lage sein wird euch nach seinem Willen zu formen!“, eine Last schien von ihm zu fallen als er es ausgesprochen hatte. Die letzte Schlacht hatte also offiziell begonnen und sie würde mit dem Tod enden.
Sein Gegenüber war dagegen angespannt wie seit einer Ewigkeit nicht mehr. Er hatte begriffen und suchte bereits angsterfüllt nach einer Lösung. „Geht es um das Menschenweib, das du geschaffen hast?“, versuchte er die Verhandlung aufzunehmen.
„Versuch dich erst gar nicht herauszureden. Wir haben lange genug gelebt. Alles muss einmal ein Ende finden und fürchte dich nicht, denn wenn deine Zeit abgelaufen ist, dann wird dein Leid nur kurz andauern.“ Versicherte Zyral seinem Feind.
„Du willst uns alle bestrafen weil ein Mensch gestorben ist? Darf ich dich erinnern, dass du gerade Millionen von Menschen bei deinem Wutausbruch getötet hast. Aber lass uns diese Albernheit vergessen, denn du hast gewonnen. Der Kampf ist vorbei! Du hast wahrscheinlich jeden Magier auf Erden getötet und es gibt niemanden mehr, der den Krieg gegen die Menschen fortführen kann. Unser Geheimnis ist somit auf ewig für uns alleine bestimmt!“, versuchte Erlak in zu besänftigen.
„Hampf“, es war Zyrals Schnaufen das sein Missfallen zum Ausdruck brachte. „Es geht nicht um die Frau die ich geschaffen habe. Wenn ich wollte, könnte ich mir eine neue machen oder eine ganz neue Rasse erschaffen! Ihr werdet niemals damit aufhören die Menschen zu manipulieren. Ihr nehmt ihnen ihren Willen und bringt sie dazu sich zu bekriegen. Wir sollten viel eher ihre Vorbilder sein und sie unterstützen.“, erläuterte Zyral seinen Zorn.
„Ich wusste es! Die Menschen haben dich verweichlicht, als sie begonnen haben dich anzubeten. Wo steckt nur dein altes, kriegerisches Ich?“, fing Erlak verärgert an zu sprechen, doch zu seiner Überraschung wurde er das erste Mal seit er ihn kannte von Zyral mit einer schneidenden Handbewegung unterbrochen.
„Du wirst noch früh genug meine kämpferische Seite entdecken, dann wirst du es bereuen mich heute aus dem Schlaf gerissen zu haben.“, fletschte Zyral seine Zähne.
„Wie willst du deinen Menschen beschützen wenn wir dich gefangen halten?“, lachte nun Malek los, der plötzlich wie aus dem Nichts hinter ihm aus einem Schatten hervor trat.
Zyral sah sich plötzlich von all seinen Feinden umzingelt. Selbst sein Bruder war gekommen um ihn aufzuhalten. Da sie eine höhere Form des Daseins angenommen hatten, glichen sie sich wie ein Ei dem anderen. Nur die Symbole auf ihren Stirnen die bei dem Ritual nötig gewesen waren als sie ihren Körper zurück gelassen hatten, unterschied sie voneinander. Er als Anführer hatte das stärkste Symbol gemalt. Es war das des Feuers. Sein Bruder bekam sein Gegenstück und hatte somit das Zeichen des Wassers. Erlak hatte einen Kristallstern auf der Stirn, der das Eis symbolisierte. Gandu hatte Erde bekommen und Malek die Luft. Er sah von einem zum anderen und erinnerte sich an die Zeit, als sie noch Ehrfurcht vor seiner Macht gehabt hatten. Selbst jetzt noch war er der talentierteste Zauberer von ihnen, doch der Umstand, dass sie alle glaubten unsterblich zu sein ließ sie ihren Respekt vor ihm vergessen.
Erhatte jedoch nicht vor sich gefangen nehmen zu lassen. Stattdessen lächelte er Malek zu und versprach: „Deine Qualen werden groß sein und ich werde mit Freuden dabei zusehen, wie du vergehst!“.
Leicht hätte er mit zwei von ihnen den ganzen Tag kämpfen können ohne müde zu werden, doch allen Vier würde er nicht lange standhalten können. So ließ er ihnen keine Zeit zu reagieren.
Angriffsbereit breitete er seine Flügel in voller Größe aus und saugte von einem Moment zum nächsten alles Magie ein welche er in der Nähe fühlen konnte. Es war nur ein Lidschlag vergangen, als er voll aufgeladen war und es weit und breit keine Magie mehr gab, die er noch zu sich rufen konnte. Sein Körper war blitzartig in Flammen aufgegangen und seine Augen glühten feuerrot.
Er ließ einen Lichtblitz in den Himmel fahren, der so grell war, dass es selbst ihm in den Augen schmerzte. Von dem Licht ging eine Hitze aus, die heißer als jedes Feuer war und niemand konnte das besser beurteilen als Zyral, der Gott des Feuers wie ihn die Menschen nannten.
Er sah zu wie die anderen versuchten ihre Augen mit den Händen zu schützen und wie sie zurückwichen. Die Lichtsäule erreichte eine schwindelerregende Höhe, wodurch sie kilometerweit zu sehen war. Dann breitete sie sich schlagartig wie eine Explosion aus. Von einer Sekunde auf die nächste, ging sie um die Welt, dabei war ein Knall zu hören, der sogar ihn für einen Moment taub werden ließ. Die Druckwelle hatte seine Gegner auf den Boden geschleudert und er konnte sehen, wie sie alle blind auf der Erde herumtasteten. Es würde nicht lange anhalten, doch es würde reichen. Zyral veränderte seine Form, damit er nicht auffallen würde und öffnete ein Portal, in das er trat.
„Du wirst deinen Menschen nicht immer beschützen können!“, schrie ihm Erlak noch hinterher, bevor sich das Tor schloss.
„Rasu hatte Recht! Zyral hat wahrhaftig einen Weg gefunden uns zu töten. Was sollen wir jetzt tun?“, fragte Malek als sie wieder sehen konnten.
„Verfolge ihn unauffällig und versuche herauszufinden wer dieser Mensch sein soll, von dem er gesprochen hat. Soll er nur seinen Todeskrieger zu uns schicken. Wir werden darauf vorbereitet sein, denn ich habe ebenfalls einen Plan!“, lachte nun Erlak lauthals los und seine Unsicherheit fiel von ihm ab wie ein Umhang unter den er sich gehüllt hatte.
Der Assassine
Die Nacht war bereits herein gebrochen und keine Menschenseele war auf der Straße zu sehen. Selbst der Wind, der den ganzen Tag geweht hatte, schien sich schlafen gelegt zu haben. Es waren nur die typischen nächtlichen Dorfgeräusche zu hören. Eine Katze, die vor einer geschlossenen Tür miaute, ein paar Grillen, die ein Nachtkonzert veranstalteten, das ruhige und entspannte Schnarchen verschiedener Leute, das aus den Fenstern drang und die Brandung des Meeres, die rhythmisch gegen die Felswand prallte.
David hatte sich auf einem Dach verschanzt und beobachtete konzentriert die Umgebung. Ihm war von einer sicheren Quelle versprochen worden, dass er den Mann, den er suchte, hier in dieser Nacht finden würde. Daher wollte er noch am selben Abend zuschlagen, denn es hieß, dass der Gesuchte bald die Stadt verlassen wollte. Sein Auftraggeber wollte einen einfachen Ring zurück, der ihm entwendet wurde. David war es egal, warum der Mann den Ring unbedingt haben wollte, wenn er wirklich so schlicht war, wie er angab. Er vermutete, dass der Ring ein Familienerbstück war, doch er wollte sich darüber nicht den Kopf zerbrechen. Wichtig war nur, dass der Auftrag erfüllt wurde und er seinen Lohn bekommen würde.
David wurde in diesem Jahr 26 Jahre alt und hatte vor knapp sechs Jahren eine Firma gegründet, die verloren gegangene und gestohlene Dinge wieder beschaffte. Er hatte das ewige Stehlen satt und wollte sein Geld auf ehrliche Weise verdienen. Damals war Basti, sein bester Freund, sein erster Mitarbeiter. Gemeinsam haben sie viele Aufträge gemeistert. Schon als sie noch kleine Kinder waren hatte er ihm „Bär“ als Spitznamen geben mit dem er ihn auch andauernd ansprach.
Seit David denken konnte, kannte er ihn schon und er musste dabei lächeln, als er über die Vergangenheit nachdachte. Bär war damals ein Kopf kleiner als er, doch bestimmt dreimal so schwer. Denn Basti war richtig dick, darum und weil er so gerne Honig gegessen hatte, nannte David ihn einfach nur Bär. Auch Davids Schwester Anastasia gefiel dieser Name, sie sagte immer, dass Basti ihr Kuschelbär wäre. Die drei waren nicht zu trennen. Sie waren die besten Freunde, bis zu dem Tag, an dem Anastasia spurlos verschwand. David und Bär suchten sie viele Jahre, doch sie wussten schon damals, dass sie seine Schwester nicht mehr finden würde. In ihrer Stadt kam es immer wieder vor, dass Menschen verschwanden und nie mehr auftauchten. Trotzdem versuchte er sie zu finden, vielleicht war es mehr eine Flucht aus der Stadt, da kein Tag verging, an dem er nicht irgendwie an Anastasia erinnert wurde.
Bär folgte ihm damals und so ließen sie Estar, die Stadt, in der sie geboren wurden, hinter sich und begannen ein neues Leben in Aliansa.
Aliansa war die perfekte Stadt alles zu vergessen, denn hier kannte sie niemand. David konnte sich ein neues Leben aufbauen und hier fragte ihn auch niemand, wie es seiner Schwester ginge.
Aliansa war eine der ältesten Städte in Mesina. Sie wurde genau an der Stelle errichten, an der sich zwei Berge trafen. Das Gebirge war wie eine Schutzwand, wodurch die Stadt nur von einer Seite angreifbar war. An der Bergseite führte ein kleiner Weg steil zwischen den Klippen hinab, direkt zu einem kleinen Strand. Es war der einzige Strand in Aliansa, denn der nächste befand sich mehrere Stunden Fußmarsch außerhalb der Stadt.
Hier kannte niemand mehr den richtigen Namen von Basti. Denn da Bär seinen Spitznamen liebte, vor allem seit Anastasia verschwunden war, stellte er sich selbst überall damit vor. Niemand machte sich über den Namen lustig, denn er war inzwischen zwei Köpfe größer als David und wog beinahe das Vierfache. Nur lag es inzwischen nicht mehr daran, dass Bär dick war, sondern an seinen Muskeln.
Von dem dicken pummeligen Jungen war nichts mehr geblieben, jetzt war zu einem trainierten und angsteinflößenden Muskelpaket geworden.
Viele Menschen trauten Basti zu, dass er einen echten Bären mit seinen bloßen Händen töten könnte. So waren sie auch alle der Meinung, dass Bär seinen Namen verdient hatte. Er war gefürchtet. Wo auch immer er erschien, wichen die Leute ängstlich vor ihm zurück. Obwohl Bär ein wirklich gutmütiger Mensch war, wurden die Leute von seiner Masse und Größe abgeschreckt. David war froh, einen Freund wie ihn zu haben, denn er hatte ihm schon oft bei Schlägereien geholfen.
Wem der Anblick von Bär nicht genug war, der flüchtete spätestens wenn Basti sein Schwert zog. Denn er hatte sich ein Langschwert anfertigen lassen, das beinahe so groß wie ein Mensch war. Einmal hatte David in einem Übungskampf versucht mit dieser Waffe zu kämpfen, doch für ihn war das Schwert viel zu schwer. Er hatte Mühe es überhaupt in die Luft zu bekommen, ganz davon abgesehen, war er nach dem ersten Schwung so ausgepowert, dass er das Schwert los gelassen hatte und es beinahe jemanden erschlagen hätte.
Wenn er Bär dabei beobachtete, wie er mit seinem Schwert umging, wirkte es so, als ob es leicht wie eine Feder wäre. Basti schwang das Schwert so geschickt und leichthändig, dass es David beeindruckte. Doch die Waffe besaß noch eine Besonderheit. Sie hatten Monate lang nach jemanden gesucht, der ihm diese Waffe anfertigen konnte. Denn sie ließen in das Schwert zwei Pistolenläufe einbauen. Am Schwertgriff waren die zwei dazugehörigen Abzüge montiert und so konnte man sie getrennt von einander abfeuern. Die Klinge selbst bildete sozusagen den Lauf, denn sie war so massiv und dick gearbeitet, dass der Schmied eine halbrunde Einkerbung einarbeiten konnte. Was wohl ein Mitgrund dafür war, dass das Schwert so viel wog. Die Waffe war nur dazu gedacht, während einem Kampf zwei Schüsse abzugeben, das Nachladen würde wieder einige Zeit in Anspruch nehmen. Doch die zwei Pistolen waren sowieso nur eine Zugabe, eine Überraschung für den Feind, der Bär überwältigen könnte. Denn die Klinge alleine war schon so gewaltig, dass sie mit nur einem Schlag ein jedes Schild oder Rüstung zerschmettern würde. Basti trug das Schwert immer in einem Leder eingewickelt aufseinem Rücken, doch bislang hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, es in einem ernsten Kampf zu verwenden. Es war eine lange Waffe, in einer Stadt wie dieser mit den engen Gassen, würde es ihn nur behindern wenn er das Schwert in Einsatz brachte. Es war viel mehr für den Kampf auf offenem Feld gedacht.
In den Übungskämpfen verwendete er immer Farbpatronen und David sah ihm oft zu. Bär wurde problemlos mit fünf Gegnern gleichzeitig fertig, oftmals sogar ohne dass sie ihm auch nur ein einziges Mal zu nahe gekommen waren. Insgeheim war David froh, dass er nicht gegen seinen Freund kämpfen musste, denn er hatte ihn noch nie verlieren sehen und er war sich auch sehr sicher, dass es niemanden gab, der Bär in einem fairen Zweikampf schlagen würde.
Doch für diesen Auftrag verlangte es Feingefühl, darum hatte er seinem besten Freund frei gegeben. Heute musste er schnell und leise sein, beinahe wie ein Geist, sonst würde sein Ziel mit dem Ring entkommen. David hatte sich über den Mann erkundigt und was er dabei herausfand, beruhigte ihn keinesfalls. Er war ein Profimörder. Meistens wurde er erst gar nicht gesehen und wenn doch, verschwand er wie er gekommen war. Es gab Gerüchte, die davon sprachen, dass er kein echter Mensch war, sondern ein Dämon oder ein Geist. Doch daran glaubte David nicht, so etwas wie Dämonen gab es nicht.
„Nein, Bär ist für den Auftrag nicht geeignet.“, sagte David sich und ließ seine Gedanken weiter schweifen.
Kurz nach der Gründung seiner eigenen Söldnergruppe, schloss sich ihnen ein älterer Mann namens Syrial an. Er war der Ingenieur unter ihnen. Er war es, der den Entwurf für Bärs Schwert anfertigte. Wahrscheinlich wurde er auch dadurch auf ihre Gruppe aufmerksam, da nicht alle Tage jemand in sein Haus herein kam und so etwas Einzigartiges in Auftrag gab. Denn seit dem, hatte der Bastler schon oft bei verschiedensten Aufträgen geholfen. Er verlangte nie denselben Lohn wie Bär, für ihn war es wohl gleichzeitig eine Möglichkeit, seine verschiedenen Erfindungen zu testen. Syrial war ein Tüftler, David war jedes Mal aufs Neue von seinen Ideen überrascht. Einmal hatte er einen Sprengstoff mit, der mit einer Sanduhr funktionierte und so zeitverzögert explodierte. Ein anderes Mal machte er mit einer Schlafgaskapsel gleich eine Gruppe von Feinden unschädlich. Jedes Mal, wenn David dachte, dass er etwas brauchte, hatte es ihr neuer Gefährte bereitsbei der Hand. Doch Syrials Lieblinge waren seine Revolver und sein Gewehr, sie legte er nie ab. Es waren von ihm entwickelte Revolver. Ganz neuartige, die viel schneller nach zu laden waren, als die bisherigen. Jede von ihnen hatte eine Trommel, in die vier Kugeln passten und wenn sie verschossen waren, brauchte man auch nur wenige Augenblicke sie wieder funktionstüchtig zu machen. Besonders stolz war er auch auf sein Gewehr. Damit konnte er auf sehr große Distanz einem Menschen einen Finger wegschießen, wenn es denn sein musste. Zumindest behauptete er das immer. Doch David glaubte keinen Moment daran, denn bei der Menge an Alkohol den der Erfinder in sich hinein schüttete, würde dieser wohl nicht einmal ein schlafendes Wildschwein treffen, das nur wenige Meter vor ihm lag.
Syrial war für diesen Auftrag jedoch ebenfalls ungeeignet. Er hatte keine Ruhe in sich, andauernd musste er etwas machen und meistens äußerte sich das durch seinen Redefluss. Er war wie ein Wasserfall. Jedem der etwas Zeit mit ihm verbringen musste rauchte schon bald der Kopf. David saß hier jetzt schon seit mehreren Stunden und wartete auf sein Ziel, er wollte sich erst gar nicht ausmalen, wie es gewesen wäre, wenn er Syrial mitgenommen hätte.
Der letzte Zuwachs war Silenc. Er war David ein einziges Rätsel. Denn er hatte den Neuling nicht offiziell in seine Gruppe aufgenommen. Es war eher Silenc, der nicht von seiner Seite wich. Seit David vor knapp zwei Jahren, während eines Auftrages, Silenc das Leben rettete, wurde er ihn nicht mehr los.
Inzwischen betrachtete er ihn jedoch schon als Freund, den er immer öfter um Rat fragte. Es zeigte sich sogar als sehr Hilfreich einen Freund wie ihn zu haben, denn aus irgendeinem Grund, wusste Silenc über alles Bescheid. Es trat immer alles so ein, wie er es prophezeite und seine Empfehlung hatte David schon oft den Hals gerettet. Beinahe sah er ihn schon als seinen persönlichen Schutzengel, da immer wenn er in der Klemme steckte, Silenc plötzlich wie aus heiterem Himmel erschien und ihm half. Selbst wenn er nur eine Meinung von ihm benötigte, musste er nie lange nach ihm suchen. Irgendwie musste Silenc dafür ein Gespür haben, denn er tauchte immer dann auf, wenn er gefragt war.
David tat das alles als große Zufälle ab, da er, so oft er sich auch umsah, sich nie Verfolgt fühlte und er Silenc nicht zutraute, dass er den ganzen Tag unbemerkt, in seiner Nähe sein konnte. Inzwischen war er für David zur Familie geworden, dem er ohne zu zögern sein Leben anvertrauten würde. Denn Silenc hatte bereits oft seine Treue und Verlässlichkeit bewiesen. Dennoch blieb er David unheimlich. Womöglich lag es auch daran, dass dieser kein Wort sprach. Anfangs war es für alle schwierig aus den Gesten schlau zu werden, die der Neuling machte, doch inzwischen konnten sie sich problemlos unterhalten.
Nur über seine Vergangenheit konnte David nie etwas in Erfahrung bringen. Niemand wusste, woher Silenc wirklich kam und er hatteihnen auch nie seinen richtigen Namen anvertraut. Den Spitznamen „Silenc“ hatte David ihm gegeben, als er bemerkte, dass sie ihn nicht mehr so schnell loswerden würde und irgendwie mussten sie ihn doch ansprechen. Silenc war zum Berater ihrer Gruppe geworden, der immer wieder nach seiner Meinung gefragt wurde. Ob er auch kämpfen konnte wusste niemand von ihnen, denn sie hatten ihn noch nie in einem Kampf erlebt. Wenn David ehrlich zu sich war, dann konnte er Silenc auch ansehen, dass er kein guter Kämpfer war. Ihr stummer Freund war ein Durchschnittsmensch. Er war nicht besonders groß und auch nicht klein, seine Figur wirkte weder besonders sportlich noch war Silenc dick. Eigentlich war er ein Mensch, den man sofort wieder vergas, sobald man ihn aus den Augen verloren hatte.
David strengte sich an, doch er vermochte es nicht auch nur das Gesicht von Silenc im Gedächtnis zu rekonstruieren. Für ihn war er ein schlichter und einfacher Handelsmann, wie viele andere. Es wunderte ihn, dass Silenc nicht nur kein Geld für seine Mühe verlangte, sondern auch nicht die kleinste Kupfermünze je angenommen hatte.
Da er der Meinung war, dass der Auftrag für Silenc zu gefährlich war, hatte er auch ihn abgelehnt. Bei diesem Auftrag, waren sowieso nur seine Talente gefragt. David war ein Meister der Schatten. Als Kind war er schon ein geübter Dieb, der sich in der Dunkelheit wohl fühlte. Er war schon so oft in Häuser eingebrochen und hatte Dinge verschwinden lassen ohne Spuren zu hinterlassen. Nie wurde er gesehen. Viele Gerüchte, die er über sein Ziel gehört hatte, waren eigentlich David zuzuschreiben. Zum Beispiel, hörte er von dem Gerücht, dass dieserMann aus der Wand gekommen war und einen goldenen Kelch aus einer Truhe gestohlen hatte, ohne sie zu öffnen und wieder durch die Wand verschwand. Angeblich gab es dafür sogar einen Zeugen, denn der Wachmann, der den Kelch hätte bewachen sollen, hatte alles beobachtet.
David konnte sich noch gut an diesen Auftrag erinnern, in dem es um den besagten Kelch ging. Seine Anweisung lautete ihn zurückholen, denn er war einem reichen Mann gestohlen worden. Dem Auftraggeber ging es nicht um den Wert des Kelches, sondern darum, dass es ein Erbstück seit mehreren Generationen war. Damals, als David in das Haus eingebrochen war, hatte er den Wachmann schlafend vorgefunden. Er hatte die Truhe geknackt, den Kelch entnommen und wieder verschlossen, ohne dass der Wachmann aufgewacht war.
Er hätte beinahe laut aufgelacht, als er daran dachte, wie der Wachmann blöd geschaut haben musste, als der Kelch plötzlich weg war, obwohl die Truhe genauso verschlossen war, wie sie hätte sein sollen. Er kannte die Menschen und ihren Tratsch, es wunderte ihn deshalbnicht, dass der Mann davon erzählte, dass er mit eigenen Augen gesehen hatte, wie ein Geist erschien um den Kelch zu holen. Selbst wenn es ihm niemand glauben würde, würde es sich dennoch besser anhören, als wenn er zugeben müsste, dass er eingeschlafen war.
David störte sich nicht daran, dass viele seiner Taten anderen zugeschrieben wurden, denn so würde er sich weniger Feinde machen.
Für einen kurzen Moment wurde er aus seinen Gedanken gerissen, da er eine Bewegung wahrgenommen hatte. Er konzentrierte sich, doch in der Dunkelheit konnte er nur schwer etwas ausmachen.
Im Schatten eines Rauchfanges, damit er nicht gesehen werden konnte, saß er verkrampft auf einem Dach und versuchte seine Schmerzenden Glieder zu verdrängen. Er hatte aufgehört zu amten, denn obwohl er nichts Verdächtiges sehen konnte, hatte er das Gefühl, dass dort unten in den Gassen jemand war. Da war plötzlich wieder diese Bewegung in eine der Gassen unter David, doch kaum sah er in die Richtung, war es verschwunden, was ihn an seinem eigenen Verstand zweifeln ließ.
Diesmal ließ er die Straße jedoch nicht mehr aus den Augen und so dauerte es nicht lange, bis er es wieder sah. Es war nur ganz kurz und flüchtig, ein anderer hätte es nur für ein Schattenspiel gehalten, das durch den Mond oder einer anderen Lichtquelle entstand. Doch David hatte geübte Augen, so konnte er erkennen, dass sich dort eine Gestalt von Schatten zu Schatten bewegte und jedes Mal inne hielt, um die nächste geeignete Ecke auszumachen. Er gestand sich selbst, das, wenn er nicht auf die Person gewartet hätte, er sie übersehen oder sogar für einen Geist gehalten hätte. Die Gestalt wusste was sie tat und war ein Profi darin sich lautlos und unsichtbar fortzubewegen. David musste all sein Talent aufbringen, um die Gestalt nicht aus den Augen zu verlieren. Sie bewegte sich in seine Richtung und würde bald genau unter ihm sein. Eine Maus fiepte, die sich erschrocken hatte, als die Gestalt Stellung gewechselt und plötzlich genau neben ihr gestanden hatte. Die Silhouette blieb im Schatten stehen und wartete ab. David zog den Kopf ein, damit er auch sicher nicht gesehen wurde und musste demMann seine Bewunderung zugestehen. Er konnte bisher immer noch nicht das geringste Geräusch vernehmen, abgesehen von der erschrockenen Maus. Einige Augenblicke verstrichen und als sich immer noch nichts rührte, glaubte David bereits, dass er die Gestalt verloren hatte. Womöglich war sie bereits weiter gegangen ohne, dass er es bemerkt hatte, ging ihm durch den Kopf.
Er wollte sich gerade an dem Dach herab lassen, um sich näher an die Stelle heran zu schleichen, als die Gestalt wieder Stellung wechselte. Sie stand nun genau unterhalb von ihm auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Offensichtlich wartete sie auf etwas, denn von dort bewegte sie sich nicht mehr weg. Eigentlich war es nur ein schwarzer Schatten, den David beobachtete und ein jeder andere hätte auch nichts weiter als die Dunkelheit einer Hausecke gesehen, doch er konnte mit großer Mühe sogar Konturen erkennen. Der Fremde musste etwa so groß wie er selber sein und auch in derselben Statur, schätzte David und die bisherigen Bewegungen verrieten ihm, dass der Auftrag nicht leicht werden würde. Der Mann verstand es sich zu verteidigen, dass wusste David sofort. Ursprünglich wollte er ihm den Ring abnehmen, ohne dass jemand zu Schaden kam. Doch jetzt war er sich nicht sicher, ob die Gestalt ihm so leicht den Ring überlassen würde, darum bereitete er sich innerlich auf einen Kampf mit dem Unbekannten vor. Er verabscheute es Menschen weh zu tun und versuchte sich möglichst aus allen Kämpfen, bei denen es um Leben und Tod ging, fern zu halten. Doch bei diesem Mann, war er sich nicht mehr sicher, ob er den Auftrag ohne Blutvergießen erledigen konnte.
David hatte diese Seite der Straße gewählt, da hinter ihm nur Berge und Wälder lagen, wodurch er von keiner Lichtquelle angeschienen wurde und er somit unsichtbar im Schatten eines Rauchfangs saß.
Vorsichtig und geräuschlos zog er seinen Dolch hervor. Es war ein einfacher und schlichter Dolch, doch er erfüllte seine Zwecke. Dabei ging er langsam in die Hocke, ohne die Gestalt aus den Augen zu lassen. Er bereitete sich darauf vor, schnell von dem Dach springen zu können, um den Mann, in einem Überraschungsangriff zu überwältigen. Genau in dem Moment, als David sich geräuschlos von dem Dach auf die Straße schwingen wollte, hallte Gelächter durch die Gassen. Wie versteinert verharrte er in seiner Bewegung und horchte auf. Die Geräusche kamen hörbar näher, wodurch er sich wieder in seine Ausgangsposition zurück gleiten ließ, ohne dabei den Blick von der Gestalt zu nehmen.
Es dauerte auch nicht lange bis zwei Männer, die sichtlich zu viel getrunken hatten und sich nur mit Mühe gegenseitig stützen konnten, um eine Ecke bogen und auf die Silhouette zusteuerten. Sie gingen zwar auf der Querstraße, doch sie würden, wenn sie auf ihr blieben, genau an dem Fremden vorbei kommen.
David fragte sich, ob die Gestalt die Männer schon früher gehört hatte und darum im Schatten stehen geblieben war, denn die Straße, auf der die Männer gingen, war hell beleuchtet und so wäre er entdeckt worden. Die Betrunkenen waren nur noch wenige Schritte von der Position seines Zieles entfernt und lachten nach wie vor. Sie taumelten beide dabei hin und her, als führten sie einen Tanz auf und kamen der Schattengestalt dabei bedenklich nahe. Einer der beiden Betrunkenen befand sich nur eine Armlänge von der Gestalt entfernt, dennoch bemerkte niemand, dass sie nicht alleine waren. Erst als sie zwei Schritte weiter gemacht hatten und bereits die Silhouette hinter sich gelassen hatten, wusste David, worauf die Gestalt gewartet hatte. Denn plötzlich blitze etwas, nur für einen Lidschlag lang, neben dem Schatten auf. Nur durch seine geschulten Augen konnte David den Dolch erkennen, den der Mörder gezogen hatte und nunangriffsbereit vor sich hielt.
Die beiden Männer gingen wankend und lachend ihres Weges und bestimmt war einer von ihnen das nächste Opfer des Unbekannten, ging es David durch den Kopf und musterte die Männer. Doch diesen Augenblick der Unaufmerksamkeit nützte die Gestalt aus. Sie trat nur mit einem Fuß aus dem Schatten und ließ das Messer vorschnellen.
David reagierte sofort. Obwohl es nicht sein Auftrag war den Mann zu beschützen, hoffte er dennoch, dass er den Mörder aufhalten konnte, bevor dieser seinen nächsten Auftrag beenden konnte. David tat etwas, was er schon als junger Dieb gelernt hatte, dass man es nie tun sollte. Er warf seinen einzigen Dolch nach dem Assassinen. David war ein begnadeter Messerwerfer, doch in dieser Geschwindigkeit und unvorbereitet war es selbst für ihn nicht einfach. Er sah wie die Gestalt die Hand nach seinem Opfer ausstreckte und mit dem Dolch auf dessen Niere zielte und warf mit aller Kraft, die er aufbringen konnte. Noch während David ausholte, konnte er die Finger des Mörders sehen und auf einem war der Ring, wegen dem er hier war. So versuchte er seinen Wurf noch umzulenken und ließ den Dolch fliegen. Bevor noch die Klinge sein Ziel gefunden hatte ließ er sich bereits von dem Dach herunter fallen und stürmte auf den Schatten los. Im Laufen konnte David beobachten, wie sein geworfener Dolch die Hand der Gestalt traf. Etwas fiel zu Boden. Der Stich des Unbekannten war jedoch so gekonnt, dass selbst der unerwartete Treffer, nichts mehr auszurichten vermochte.
Er traf den betrunkenen Mann, der darauf hin schreiend zusammen brach. Der Assassine, der halb beleuchtet und halb im Schatten stand, blickte zu David. Es war ein Blick, den er nie mehr vergessen würde. Der Fremde musste nicht zuerst suchen, woher die Waffe gekommen war, kaum das er getroffen wurde, starrte er David entgegen und ließ ihn noch im Laufen unsicher werden. Sie waren nur noch wenige Meter von einander entfernt und er würde den Mörder jeden Moment erreichen. Eine Flucht des Fremden schien aussichtslos und ein Kampf war unausweichlich, dem war sich David sicher. Er ließ die Gestalt nur für einen einzigen Augenblick aus den Augen, um seinen Dolch auf dem Boden zu suchen, damit er dem Feind nicht unbewaffnet gegenüber stand. Kaum hatte er seine Waffe ausgemacht, blickte er wieder auf zu dem Assassinen und obwohl es nur ein Lidschlaglang gedauert hatte, war dieser jedoch bereits verschwunden. Verständnislos bremste David ab und blickte sich in alle Richtungen, doch der Unbekannte hatte sich in Luft aufgelöst. Doch er hatte keine Zeit sich darüber den Kopf zu zerbrechen, so beeilte er sich zu den betrunkenen Männern.
Der Verletzte lag blutend und zitternd auf dem Boden und jammerte, dass er nicht sterben wolle. Der Andere stand über ihm mit aufgerissenem Mund und schien nicht zu verstehen, was geschehen war. Vorsichtig wand David den Verletzten um und konnte mit einem Blick sehen, dass er den Abend nicht mehr überleben würde. Der Dolch, mit dem der Mann verletzt wurde, war kein einfacher. Es musste eine Waffe gewesen sein, die dafür bestimmt war möglichst viel Schaden anzurichten. Unverkennbar besaß sie eine doppelte Klinge, auf denen an beiden Innenteilen Widerharken angebracht gewesen sein musste. Die Wunde war viel zu groß und zerfetzt für einen normalen Dolch. Mit bloßem Auge konnte er Stücke der Niere sehen, die anscheinend bei dem herausziehen der Klinge mitgerissen wurden.
„Hilf mir bitte!“, flehte der Verletzte ihn an. In seinen Augen konnte David die Angst und die Verzweiflung sehen. Der Mensch hatte noch nicht mit seinem Leben abgeschlossen gehabt.
„Geh und hol einen Arzt!“, schrie er den zweiten Mann an, der immer noch neben ihnen stand und nicht begriffen hatte, dass sein Freund gleich sterben würde. David konnte sehen, wie weiß dieser plötzlich wurde, als ihm die Situation bewusst wurde und ohne zu zögern stürmte der zweite Mann los und schrie durch die Nacht.
David wusste, dass selbst wenn er einen Arzt finden würde, dieser zu spät käme. Er wollte es ihm nur ersparen, den Tod seines Freundes mit ansehen zu müssen.Jetzt wo sie alleine waren, kniete er sich zu dem Sterbenden hinab und legte seine Hand auf dessen Schulter.
„Ich will nicht sterben.“, weinte der Mann und wurde von Sekunde zu Sekunde weißer und leiser.
„Hab keine Furcht, an dem Ort, wohin du gehen wirst, gibt es so viel Bier wie du nur trinken kannst.“, versuchte David den Mann seinen Weg einfacher zu gestalten.
„Aber ich habe doch kein Geld mehr.“, jammerte der Mann.
„Du wirst kein Geld brauchen, das Bier kostet dort nichts.“, versicherte David ihm.
„Bist du sicher?“, fragte der Verletzte und kämpfte gegen weitere Tränen an.
„Versprochen.“
„Es tut gar nicht mehr weh, vielleicht ist es doch nicht so schlimm.“, sagte der Mann leise und müde.
„Schlaf jetzt, wenn du wieder erwachst, wirst du dich an einem besseren und schöneren Ort befinden.“, sagte David sanft.
Der Mann sah aus, als würde er jeden Moment einschlafen, dann öffnete er noch einmal erschrocken seine Augen und starrte David angsterfüllt an.
„Du, du bist der Tod!“, der Mann stellte es fest und fixierte David mit seinen Augen.
Der Verletzte hatte viel Blut verloren und schien zu fantasieren, dachte sich David und versuchte den Mann zu beruhigen.
„Keine Angst, ich tu dir nichts.“
„Es tut mir leid, ich kann dich nicht bezahlen.“, mit den Worten fingen seine Tränen von neuen an zu fließen, doch dann schloss er müde seine Augen und schlief ein.
David kannte die Sage, dass man den Fuhrmann bezahlen musste und wenn es der letzte Wille dieses Mannes war, dann wollte er ihm den auch erfüllen, darum legte er dem Mann auf jedes Auge eine Kupfermünze hin und stand auf. Noch einmal in alle Richtungen blickend hob er seinen Dolch auf und wollte gerade verschwinden, als ihm einfiel, dass der Mörder etwas fallen gelassen hatte, bevor er verschwunden war. David wusste nicht was, doch er war sich sicher, etwas auf den Boden fallen gesehen zu haben, als sein Dolch die Hand des Fremden getroffen hatte. Er ging zu dem Schatten, in dem die Gestalt gestanden hatte und tastete den Boden ab und wirklich, lag dort etwas. Vorsichtig hob er es auf und hielt es sich vor die Augen, um es genauer zu betrachten. Jetzt wo die Lichter der Straßenlaternen und das Mondlicht das Ding beleuchteten erkannte er es auch.
Beinahe hätte er es wieder fallen gelassen, denn es war der Ringfinger des Unbekannten und auf dem Finger befand sich auch noch der Ring, den David besorgen wollte. Mit einem zufriedenen Lächeln, ließ er den Ring dann doch samt Finger in seine Hosentasche gleiten und verschwand im nächsten Schatten.