Adolf – alles, was Recht(s) ist

Adolf – alles, was Recht(s) ist

Exposé

Darinka ist schlank, langhaarig, bildhübsch – und absolut rassig. Sogar mit Stammbaum. Adolf hat sich unsterblich in sie verliebt. Das ist jedoch nicht ganz unproblematisch. Denn Kevin, das kahlköpfige springergestiefelte Herrchen des stattlichen Deutschen Schäferhundes, sieht dessen Schmachten zu der rassigen Afghanenhündin überhaupt nicht gerne. Denn Darinka hat kein kerniges gleichgesinntes Herrchen, sondern ein Frauchen und zwar ausgerechnet Zahnärztin! Da tut das lückenhafte Gebiss allein bei dem Gedanken daran weh, auch wenn Denken sonst nicht gerade zu Kevins Kernkompetenzen gehört. Doch nicht nur, dass ihm überstudierte Weiber von Natur aus suspekt sind, ist Darinkas Frauchen etwas, das er gar nicht mag: Ausländerin, wie er an ihrem herrischen polnischen Akzent schon beim ersten Aufeinandertreffen feststellt. Beziehungsweise Aufeinanderprallen. Und obendrein – ein deutscher Schäferhund mit einem Afghane, wo kämen wir denn da hin! Was ist nur in den mit völkischen Tugenden erzogenen Adolf gefahren?

Dieser kann die Antipathien seines Herrchens, der sonst so gern von siegreichen Polen-Ausflügen seines Volkes schwärmt, überhaupt nicht nachvollziehen. Er interessiert sich fortan nur noch bedingt für bierselige Kameradschaftsabende und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um seiner Angebeteten näher zu kommen. Allerdings ist diese zunächst genauso wenig wie ihr Frauchen von seinen stolz präsentierten Kunststückchen angetan, z.B. das kerzengerade und leicht nach oben gerichtete Ausstrecken der rechten Vorderpfote. Doch was ein rechter Deutscher ist, der lässt sich nicht so leicht von seinem Ziel abbringen, denn immerhin: Noch ist Polen nicht verloren!

Bis sich Afghane und Schäferhund sowie Kariesbeißerchen und Stomatologin wirklich näher kommen, bedarf es unzähliger Gassi-Märsche, die zusammengefasst beinahe von der Maas bis an die Memel reichen würden. Denn bald tut sich eine wesentlich größere Gefahr auf, als lediglich sich einander zu verpassen, weil es Herrchen (bzw. Frauchen) mit dem Timing beim Ausführen nicht so genau nehmen. Ein Hundehasser legt rund um die Wuhlheide präparierte Köder aus! „Wenn Hund frisst, fällt tot um und explodiert“, weiß Turkan, Grillmaster in Kevins Stamm-Imbiss. Stecken bestimmt wieder die Ausländer dahinter! Da mittlerweile Darinka und ihr Frauchen ernsthaft überlegen, heim in ihr Reich nach Polen zurückzukehren, wo noch Ruhe und Ordnung herrschen, ist es an Adolf, die Sache zu regeln. Natürlich begibt er sich zunächst auf die völlig falsche Fährte, denn wer kann schon ahnen, dass ausgerechnet ein Mitglied aus Kevins treudeutscher Truppe der Hundehasser ist! Doch im Volkssturm der Gefühle beweist Adolf schließlich unter Einsatz seines Lebens, dass in ihm tatsächlich eine wahre Führerpersönlichkeit schlummert.

***

Ein satirischer Roman, angelehnt an politisches Kabarett, mit einem Umfang von 228 Normseiten. Zielgruppe ist ein literarisch interessiertes Kabarett-/Satirepublikum aus dem politischen Mitte-Links-Spektrum, ähnlich der Leserschaft vom „Känguru“ und „Er ist wieder da“.

LESEPROBE

Dosenbier und irre Gefühle

Da liegt auf einmal dieses ganz besondere Etwas in der Luft. Ich spüre es sofort. Es ist ein Gefühl wie – tja, wie soll ich sagen, wir Männer tun uns etwas schwer beim Beschreiben von Gefühlen. Aber es überfällt dich plötzlich wie eine Stucka aus heiterem Himmel – dieses „Boah ey“, dieses „Hammer!“, ihr wisst schon, was ich meine.

Gerade eben trottest du nichts ahnend dahin, Blick auf den Boden, Sinne eingeschaltet, mal sehen, was los ist im Revier, und im nächsten Moment hat es dich erwischt. Wusch, trifft dich der Gefühlsblitz ohne Vorwarnung und du weißt im ersten Augenblick nicht, was dich überkommt. Doch sogleich spürst du dieses Kribbeln, das aufkommende Hochgefühl, die Gewissheit: Sie ist es! Sie ist gekommen, nur für dich! Eine von 80 Melon’, oder wie das in dem Lied heißt. Hab ich rein zufällig aufgeschnappt, müsst ihr mir glauben, sonst läuft solcher Gefühlsschmus nicht bei uns, aber aus irgendeinem Grund ist das bei mir hängen geblieben. Da war so ein Typ, der inmitten tausender und abertausender Menschen lebt, sie kommen und gehen an ihm vorbei, und genau die Eine trifft er. Eine einzige aus dem ganzen deutschen Volk, die perfekt zu ihm passt, die geht nicht an ihm vorbei und er weiß sofort, dass sie füreinander bestimmt sind.

Wahnsinn.

Dass die sich überhaupt begegnet sind! Kaum zu glauben, dass so was in echt passiert. Denken sich die Dichter nur aus, weil es so schön schnulzig klingt, glaubt Kevin.

Aber haargenau so passiert es bei mir. Als ich mich dem Baum nähere, merke ich gleich, dass diesmal etwas anders ist. Schon so oft hier gewesen, im Sommer kommen wir fast jeden zweiten Tag in den Park, den Baum hatte ich dutzendfach markiert. Mein Revier, damit das gleich mal klar ist und sich weder der blöde Pinscher aus der Kaulsdorfer noch Theo, das schwarze Schwein, etwas einbilden von wegen Gebietsansprüchen. Dieser Pinscher sowieso! So etwas dürfte gar nicht als Hund zählen, von arisch ganz zu schweigen! Ich hab ihn tatsächlich schon beobachtet, wie er sich auf die Vorderpfoten stellt, Handstand am Baum macht und allen Ernstes glaubt, wenn sein Strahl weiter oben den Stamm trifft, geht er als großer Kerl durch. Lächerlich! Also wenn ihr mich fragt, dann gehört so was an die Wand…, ähm, naja, oder zumindest nicht in unsere schöne Wuhlheide. Jawoll, dazu stehe ich: Wir sind doch hier nicht bei den Hottentotten!

Okay, ich bin etwas abgeschweift. Also zurück zum Thema: Da hängt diese ganz besondere Markierung in der Luft, die ich sofort aus allen anderen Zeichen herausschnuppere. Auch wenn ich noch ein paar Sprünge von dem Baum entfernt bin. Ich meine, ich bin zwar kein ausgewiesener Schweißhund, aber auch ein Deutscher Schäferhund wie ich hat einen Sinn für alles Schöne. Und natürlich für das Weibliche, Mann, ich könnte schmachten!

Wie gesagt: Wahnsinn!

„Musste schon wieda?“, nörgelt oder vielmehr nuschelt Kevin. Die Zigarette im Mundwinkel behindert ihn beim Sprechen. Seit er sich die Dinger aus Kostengründen selber dreht und dabei ein Geschick an den Tag legt wie ein Pekinese beim Katzen jagen, muss er ständig aufpassen, dass ihm seine Kippen nicht schon im Mund auseinander fallen. Rauchen muss sein, klar, verstehe ich, das ist deutsche Leitkultur, wenn sie mir auch ziemlich auf die Nase geht, aber wir sind nun mal keine Neger, die Bambusblätter kauen. Manchmal wäre es allerdings ein Segen, wenn sich mein Herrchen ordentliche Räucherstäbchen leisten könnte. Ist bei Hartz IV aber nicht drin, weil dieser Scheißstaat alles für die Ausländer ausgibt, die ihm dann die Arbeit wegnehmen. Hat mir Kevin bereits mehrfach erklärt. Wenn er den vierten oder fünften Hopfenkübel vernichtet hat, dann durchschaut er die Welt mit all ihren Gemeinheiten.

„Manchennesmal gloob ick, du vastehsjedes Wort von mir! Jedes–sss hick!“, sagte er mir neulich und blickte mich dabei an wie ein Dackel, der den Eingang des Fuchsbaus nicht mehr findet.

Na klar, was denkt der denn! Sehe ich aus wie ein blöder Hamster oder ein Karotten fressendes Karnickel? Hey, ich bin ein Deutscher Schäferhund, schon vergessen? Das Wort „deutsch“ nimmst du doch sonst so gerne in den Mund! Wir sind vom selben Volksstamm und da wundert ihr Zweibeiner euch, wenn wir eure Sprache verstehen? Da fällt mir echt nichts mehr ein dazu. Wobei, unter uns, der hellste Stern an Wotans Himmel ist mein Herrchen nicht unbedingt. Nicht einer der hellsten, soviel steht fest, aber dafür einer der deutschesten, das muss man ihm zugute halten.

Fünf Jahre ist es her, dass er mich vom Polen-Markt weggekauft hat. Obwohl er das gar nicht vorhatte, wie er seinen Kameraden gegenüber betonte. Vor allem aber seiner Mutti, bei der er auch heute noch wohnt und die damals ihre Hände über dem Kopf zusammenschlug, als er mich – neben seinen Zigaretten und den neuen Springerstiefeln, die er sich beim Fidschi geholt hatte – stolz und zugleich ein wenig verschämt präsentierte.

„Ein echter deutscher Schäferhund, schau dir nur seinen Blick an!“, sagte er und seine Stimme wurde ganz weich. Ich bemühte mich, meinen Blick den aus seinen Worten wachsenden Erwartungen anzupassen, doch seine Mutter ignorierte meine aufrechten Bemühungen. Sie schüttelte fortwährend den Kopf und sagte nur immer wieder „Um Gottes Willen!“

„Aber den Dreck machst du weg, wenn er in die Stube macht!“, rief sie, bevor sie sich wieder vor den Fernseher setzte. Dort lief nämlich gerade die investigative Bildungssendung „Vera am Mittag“, die sie nicht verpassen durfte. „Warum sind Sie denn damals nach Bangladesh gegangen? Nur der Arbeit wegen?“, fragte soeben die Moderatorin und beugte sich beängstigend nah zu ihrem Gesprächspartner.

„Nun ja“, antwortete dieser und kratzte sich etwas verlegen den Schorf hinterm Ohr ab, „ich wollte schon immer mit Kindern arbeiten und da war dann diese Aufseher-Stelle in einer Textilfabrik frei. Die legen dort viel Wert auf deutsche Tugenden wie Gründlichkeit und Pünktlichkeit.“

Vor Schreck lief mir direkt ein Tröpfchen auf den Vorsaal-Teppich und meinem frisch gebackenen Herrchen entfuhr ein gänzlich undeutsches „Fuck!“

Ja, fast fünf Jahre ist das her, eine kleine Ewigkeit, wenn man bedenkt, dass das ungefähr ein Drittel Lebenszeit bedeutet, und wir sind immer noch ein Team. Ein Dreamteam, würde ich normalerweise sagen. Das ist jetzt keine bierselige Verklärung meinerseits, sondern Kevin, mein Herrchen, sieht das exakt genau so.

„Adolf, mit dir würd’ ick bis nach Stalingrad ziehen! Du bist ein rechter Deutscher!“

Das hat er tatsächlich so gesagt und mir dabei ganz tief in meine schwarzbraunen Augen – so, wie angeblich auch die Haselnuss ist – geblickt. Ich wedelte eifrig mit dem Schwanz, bleckte meine Zähne und hoffte auf ein Leckerli. Das gab’s dann auch: einen tiefen Schluck aus seiner Bierflasche. Lecker! Genau das Richtige für einen deutschen Schäferhund, wie mein Herrchen aus sicherer Quelle weiß.

Dummerweise zählt neben der Vorliebe für ein ordentliches Bier auch die Pünktlichkeit zu den deutschen Tugenden. Deshalb lässt mir mein Herrchen nun leider keine Zeit, in dem Duft der neuen, aufregenden Markierung an meiner deutschen Lieblingseiche im Park zu schwelgen.

„Hey, nein, so warte doch, was soll denn diese jüdische Eile?“, grunze ich verzweifelt, während das Halsband an meiner Kehle zerrt und ich wohl oder übel Kevin folgen muss. Dieser, immer noch mit seinem miserabel gedrehten Zigarillo im Mundwinkel, knurrt mich an: „Nun komm schon, die Kameraden warten. Bei Fuß, Adolf!“ Ein kräftiger Ruck mit der Leine und ich löse den Druck auf meine Vorderpfoten, mit denen ich mich entschlossen und zu beinahe allem bereit in den harten Rasen gestemmt hatte. Was soll’s – der Klügere gibt nach!

Eines muss ich an dieser Stelle klarstellen: Den Spruch „Ich glaube, der versteht jedes Wort!“ würde ich auch gerne mal bei einem Zweibeiner gebrauchen. Gerade bei meinem Herrchen. Aber das kannste vergessen. Was das betrifft, da ist Polen echt verloren. Kriegt der überhaupt etwas mit, frage ich mich immer wieder!

Aber anders herum: Los, Adolf, komm, Adolf, bei Fuß, Adolf, sag mal, kannst du nicht hören, Adolf, blablabla, Adolf. Wehe, ich verpasse auch nur einen Befehl, aber dann fahren die Affen Panzer, das kann ich euch sagen! Na gut, Befehlsverweigerung wurde früher sofort an die Wand gestellt, das ist mir natürlich klar, aber wenn der Befehl mehr gelallt wird und der Oberbefehlshaber beim dritten Versuch der klaren Artikulation nach vorne auf die Fresse kippt, dann bräuchten wir verdammt viele Wände!

Wir trotten also weiter über den kurz geschorenen englischen Rasen. Kevin auf seine Zigarette schimpfend, die ihm auseinander zu fallen droht; ich enttäuscht die Nase am Boden haltend und ab und zu den Kopf drehend, um die aufregende Spur nicht zu verpassen. Verflucht, die Markierung war so frisch, die Torte ist garantiert noch in der Nähe! Ich renke mir fast den Hals aus, aber ich kann sie nirgendwo entdecken. Was ich an Artgenossen zu Gesicht bekomme, ist einfach enttäuschend. Eine Pudeldame, der man die Arthrose schon von weitem ansieht, so wie sie mit den Hinterläufen stelzt; eine Promenadenmischung, die erst in meine Richtung knurrt und es sich dann schnell anders überlegt, als ich meine Rute aufstelle und aufmerksame Kampfbereitschaft signalisiere. Eine dumme Dogge, die mich betont auffällig ignoriert, weil Doggen sich stets für etwas Besseres halten.

Natürlich die Kumpels, die wir schon bald an der Holzhütte treffen. Diese liegt an einer etwas erhöhten Stelle im Park, zwischen niedrigem Gebüsch und mir bleibt die Sicht auf den Platz lange Zeit versperrt. Doch ein Hund sieht bekanntlich mit der Nase mehr als mit den Augen und so genügen mir wie stets einige wenige Schnüffler, um festzustellen, wer alles da ist. Kanu, der Rottweiler von der langen Evi, der kleine Jack Russell namens Irvin, den ich eigentlich nicht ausstehen kann, aber das nicht zeigen darf, weil sein Herrchen Paule und Kevin dicke Kumpels sind. Firo darf natürlich nicht fehlen, der blasierte Riesenschnauzer, der sich unwahrscheinlich viel auf seine edle Herkunft einbildet, nur weil er von einem deutschen Züchter abstammt. Die übliche Versammlung also.

Während ich noch versuche, die Spur meiner unbekannten Angebeteten in dem Potpourri neuer Düfte zu verfolgen, werden wir, Kevin und ich, mit großem Hallo begrüßt. Paule packt mich vertraulich am Genick, schüttelt mich ein paar Mal hin und her, während ich versuche, nach seiner freien Hand zu schnappen. Das übliche Begrüßungsritual unter Männern.

„Hey, ich glaube, Adolf braucht erst mal einen ordentlichen Schluck, dem hängt ja die Zunge fast bis zu den Eiern“, grunzt Petri, einer aus der Runde, der ohne Hund kommt. Sein eigenes Bier würde er dafür bestimmt nicht investieren, der alte Geizhals, so gut kenne ich ihn.

„Na los, Adolf: Mit deutschem Gruß!“, fordert mich Paule auf, während ich noch versuche, in Richtung der Parkallee zu peilen. Ob sie vielleicht dort wartet und eine neue Markierung setzt in der Hoffnung, dass ein richtiger Kerl ihre Botschaft versteht?

„Hey, ich hätte demnächst Lust auf einen straffen Quickie und ich stelle jetzt keine allzu speziellen Ansprüche bei der Partnerwahl“, habe ich aus ihrer Botschaft heraus gerochen. Außerdem ist sie erst drei Jahre alt und hat noch nicht geworfen. Die braucht es aber auch so was von – warum sonst würde sie solche eindeutig unzweideutigen Nachrichten verschicken?

Für solche Dinge habe ich ein Näschen. Die Menschen wissen zwar, dass wir Hunde exzellent riechen können, aber dennoch wundern sie sich immer wieder, welche Nachrichtenvielfalt wir aus der Baumpost herauslesen können. „Der riecht bestimmt, dass da vorhin schon ein Hund da war, hihihihi“, bemerkte gestern eine albern kichernde Zahnspangenträgerin, als sie mich an einer Markierung schnüffeln sah.

Was glaubt die denn? ‚Der riecht bestimmt, dass da vorhin schon ein Hund da war!’

Absoluter Wahnsinn, was es nicht alles gibt! Solche Scharfsinnigkeit haut den stärksten Eskimo vom Schlitten. Wenn die ignorante Schnepfe jetzt noch dahinter käme, dass ein Hund sogar bellen kann, dann wäre ich aber total von den Socken.

So eine Markierung ist für uns wie ein Buch. Oder besser noch: wie eine Zeitung, aber mit Facebook-Funktion. Der neueste Klatsch und Tratsch, Eigentumsansprüche, Nachrichten und wichtige persönliche Daten wie Alter, Geschlecht, Paarungsbereitschaft, aber auch die blanke Wichtigtuerei im Stile von „Ich war hier!“ Wie ich gehört habe, pflegen die Menschen ganz ähnliche Bräuche. Bloß eben nicht, indem sie an einen Baum strullen, sondern sie nehmen dazu ein Klappmesser und ritzen diese Botschaft in die Baumrinde. Und während sie ihr Messerchen zusammenfalten und blöde grinsend ihren Spruch anstarren, der wirklich keine Sau interessiert, erzählen sie was von wegen Umweltschutz und dass ein kleines Hundehäufchen auf der Wiese die Natur verschandele. Woran man mal wieder sieht, dass der Mensch als solcher auf einer relativ niedrigen Stufe der Evolution steht. Obwohl ein gewisser Sockrattes oder so ähnlich – ich habe den Namen nur gehört, im Entziffern menschlicher Verständigungszeichen bin ich nicht besser als Kevin im Verstehen der Hundesprache, aber es war auf alle Fälle irgendwas mit Ratte – schon vor tausenden Hundeleben die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, verbunden mit der Selbstreflexion, als grundlegende menschliche Eigenschaft beschrieben haben will. Muss wohl ein Science-Fiction-Autor gewesen sein, dieser alte Grieche, oder er hat Seinesgleichen Eigenschaften aus der Tierwelt angedichtet. Fabel nennt man so etwas. Den Mund könnt ihr übrigens wieder zuklappen. Ich schaue öfters fern, wir haben zu Hause Full HD, welches sämtliche Farbtöne der Natur von allen Graunuancen bis hin zu blau und rot gestochen scharf zeigt. Einen glasklaren Sound hat die Kiste obendrein. Kevin behauptet zwar, es gäbe sogar noch mehr Farben, aber da bin ich jetzt ein bisschen außen vor, was er damit meint. Gut, er denkt ja auch, dass Hunde ausschließlich schwarz-weiß sehen.

Wo liegt der Fehler im Satz? Er denkt…

Außerdem höre ich gern Radio. Vom ausgezeichneten Gedächtnis eines Hundes habt ihr vielleicht schon gehört. Also kein Grund, in Ehrfurcht zu erstarren, wenn ich solche Dinge weiß.

Natürlich hatte ich die Nachricht an der Baumrinde sofort verstanden: Hier ist jemand neu im Revier, jung und mit Sinn für alles Schöne, kennt noch niemanden und würde sich über einen netten, aufgeschlossenen Freund freuen. Das Wichtigste an der Botschaft: Dieser Jemand ist weiblich und er signalisiert: ‚Nicht mehr lange, dann ist meine Zeit gekommen! Ich will mich schon mal ein bisschen umschauen, wer für mich in Frage kommt.’

Da will ich den Zweibeiner-Kerl sehen, dem nicht die Zunge über die Mundwinkel hängt bei solchen Angeboten! Ich weiß, bei den Mädels muss man den richtigen Moment abpassen, sonst läuft gar nichts. Wenn sie nicht wollen, dann spielen sie nur mit dir, bringen dein Blut in Wallung, um schließlich die Rute zwischen die Hinterläufe zu klemmen und mit einem frechen Grinsen das Feld zu räumen. Das kenne ich aus Erfahrung und es ist immer ein bisschen, wie soll ich sagen – na, eben unbefriedigend, so etwas zu erleben. Ehrlich gesagt, ich könnte immer! Anfangs dachte ich, mit mir wäre irgendwas nicht in Ordnung und ich müsste mich dafür schämen. Bis ich erfahren habe, dass alle meine Geschlechtsgenossen, ob nun zwei- oder sonst wie viel beinig, so empfinden. Es ist halt der Wille der Natur und da geht es den Hunden wie den Leuten und, wie ich von Kevin weiß, den Menschen nicht viel anders.

„Also los, Adolf, mit deutschem Gruß, dann gibt’s ein Bier!“

Die erneute Aufforderung reißt mich aus meinen sehnsuchtsvollen Gedanken. Ich kann nun mal schlecht nein sagen bei den Kumpels und ein bisschen hebt der zu erwartende Applaus auch mein Selbstwertgefühl. Ich setze mich also auf die Hinterläufe, tariere kurz meinen Schwerpunkt aus und strecke dann meine rechte Vorderpfote schnurgerade und leicht nach oben geneigt von mir – ein typischer Adolf-Move eben.

„Höhöhö, a-ha-ha-ha, ja, so ist’s richtig“, erklingt es reihum voller Anerkennung. Kevin packt mich zärtlich am Hals, krault mich und schaut mit einem Stolz auf mich herab, als hätte er selbst dieses Kunststück gezeigt. Hat er aber nicht, obwohl er es ebenfalls kann, ich habe ihn schon mehrmals dabei beobachtet. Scheint auch für ihn nicht ganz einfach zu sein in Sachen Gleichgewicht, denn meistens schwankt er dabei gehörig.

Tscherry hält mir eine Büchse hin und kippt sie leicht nach vorn. Ich platziere meine lange Zunge darunter, lasse das Bier darüber laufen und schlürfe genüsslich. Etwas lauwarm, genau wie ich es am liebsten mag. Ein kräftiger Rülpser, das muss so sein beim Bier trinken, und ich bette meinen großen Kopf behaglich auf die Vorderpfoten.

„Wer zuviel säuft, stirbt“, mault Irvin beleidigt, weil er nichts abbekommen hat.

„Säufste zu wenig, stirbste och“, brummt Kanu zur Antwort.

Er streckt mir seine rechte Pfote hin, ich stupse meine linke dagegen, anschließend stoßen wir die Stirnseiten unserer Häupter gegeneinander. Firo schüttelt seinen Kopf leicht. Ich kann mir nicht helfen, es sieht irgendwie tuntig aus. „Euer Abklatschritual finde ich so was von affig, um nicht zu sagen, menschlich, da fällt mir einfach nix dazu ein“, spielt er den Empörten. „Möchte mal wissen, wo ihr das her habt.“

„Kannste auch nicht wissen, hat nix mit dir zu tun – das machen nur richtige Kerle“, gebe ich ihm sein „menschlich“.

Angesichts der gemütlichen Runde unter Freunden und des wohligen Biergenusses rutscht die weibliche Botschaft, die mich dermaßen in Aufregung versetzt hatte, ein ganz kleines bisschen aus dem innersten Fokus meines Interesses.

„Guck mal, der leckt sich die Eier“, kickert auf einmal die dralle Christel, stupst ihren Freund an und zeigt auf mich. Ich schaue kurz hoch. Ist irgendwas?

„Na, der hat’s gut“, brummt Wanne mit einem Blick zuerst in meine Richtung, um dann demonstrativ zu Christels gewagtem Ausschnitt herum zu schwenken.

„Pff, mach’s dir doch selber“, keift diese zurück und dreht ihre einladende Auslage von ihm weg.

Paule lacht dröhnend. „Wenn Wanne sich tatsächlich selbst die Eier lecken könnte, glaubst du, dann bräuchte er noch dich?“

Jetzt lachen alle und ich wette um fünfundzwanzig saftige Markknochen, dass die Dicke ihre despektierliche Bemerkung über meine Ansicht von Entspannung bereits heftigst bereut.

„Warum er das wohl macht?“, versucht Kevin seinerseits, einen philosophischen Touch in das Gespräch einfließen zu lassen und blickt nachdenklich auf mich. Seine letzte Paarungszeit liegt bereits ein Weilchen zurück, versuche ich mich zu erinnern. Doch zeitgenaue Rückbesinnung gehört nicht gerade zu den Kernkompetenzen eines Hundes, auch wenn sich unser Gedächtnis im Allgemeinen sehen lassen kann. Wir merken uns eher Ereignisse und Vorfälle, weniger deren exakten Zeitpunkt. Ist aber jedenfalls schon lange her, das weiß ich genau.

„Na weil er’s kann!“, grunzt Wanne als Erwiderung auf Kevins Frage.

„So ein Tausendsassa aber auch“, staunt Kevin seinerseits und schüttelt dabei den Kopf, als könne er nicht wirklich glauben, dass ich ein Tausendsassa bin.

„Können das eigentlich alle Hunde?“, will jetzt Biene wissen. Sie scheint sich ehrlich für das Thema zu interessieren.

Herr im Himmel – am liebsten würde ich ihr mit einer Gegenfrage antworten: „Keine Ahnung, aber was meinst du, ob der Papst wohl katholisch ist?“

Zweibeiner.

Das ist echt ein Völkchen für sich.

Warum sollte ich das denn nicht machen? Ist da irgendetwas seltsam dran? Ich kenne keinen Rüden, der das nicht macht und außer den Menschen findet wirklich niemand etwas komisch dabei. Ich lege doch auch nicht den doppelten Staunemann aufs Parkett, wenn sich die Weibchen der Zweibeiner ihre Möpse zurechtrücken und die Männchen sich am Sack kraulen. So ist nun mal die Rollenaufteilung und der liebe Gott, Wotan oder wer auch immer wird sich schon was dabei gedacht haben, als er das so einrichtete. Nur die Menschen haben da ’ne lange Leitung. In Blitzkrieg sind sie ganz klar schneller.

Ich lege mich der Länge nach hin, die Rute entspannt am Körper und genieße die Frühlingssonne. Was für ein herrliches Wetter! Der Boden angenehm kühl, das gleicht die Wärme der Sonne aus und ich brauche nicht einmal zu hecheln. Das Bier tut allmählich seine Wirkung zu meinem Wohlbefinden und die Welt um mich herum verschwimmt nach und nach zu einem einheitlichen, sanften Grau. Dafür formen sich die erspürten Düfte zu Bildern. Ein Mädchen, jung und noch ein bisschen unerfahren, ungefähr meine Größe, steht an meiner Eiche im Park. Anmutig hebt sie leicht ihren rechten Hinterlauf. Nicht so stolz und weit ausgestreckt wie wir Männer das tun, sondern eher diskret. Manche Mädels vermeiden sogar gänzlich das Anheben eines Beines, aber dann wird der Strahl mehr versprüht als gezielt und zweckdienlich verspritzt. Vermutlich schweifen ihre Blicke unauffällig in die Umgebung – die Girls sind doch immer neugierig, ob sie auch beobachtet werden und ihre Bemühungen um eine astreine Haltung nicht ins Leere laufen.

Natürlich musste sie wahrgenommen haben, wer vor ihr an dieser Stelle seine Spuren hinterlassen hat – und damit kennt sie auch mich! Zweifellos sind ihr meine diversen Markierungen aufgefallen und das konnte sie nicht davon abhalten, ihre Botschaft zu formulieren. Oh, unbekannte Schöne, wärest du nur einen Augenblick später gekommen, dann hätten wir uns persönlich kennen gelernt! Oder hätte mein Herrchen nicht so viel Zeit vertrödelt beim Drehen seiner Arme-Leute-Kippe, der verfluchte Stümper! Rrrr, wenn ich daran denke, um was mich sein Ungeschick gebracht hat – es ist zum Katzen ausraufen!

Die Emotionalität meiner Rückbesinnung muss sich wohl in meiner Körpersprache widergespiegelt haben.

„Hey, Adolf, was is los, musste ma scheißen?“, fragt Kevin plötzlich und zieht prophylaktisch an der Leine, die er beiseite gelegt hatte.

Nein, muss ich nicht, das mache ich später, auf dem Heimweg, vielleicht in der Straßenbahn. Natürlich deutet er meine Regung wieder einmal falsch. Das hätte ich auch gar nicht anders erwartet. Wie gern würde ich ihm von meinen Empfindungen, meinen Träumen und Plänen erzählen, ihn teilhaben lassen an allem, was mich bewegt! Aber dieser nur eingeschränkt kommunikationsfähige Klotz versteht mich einfach nicht. Okay, alles gut, Adolf, reg’ dich nicht auf, du bist auch nicht mehr der Allerjüngste und denke einfach daran: Er ist nun mal nur ein Mensch!

Also strecke ich mich wieder ganz entspannt aus, nähere meinen Kopf seinem Schoß und die Welt ist in Ordnung. So halbwegs jedenfalls, abgesehen von meinem unerfüllten Schmachten. Was nur, wenn die schöne Unbekannte nicht wiederkommt oder sie immer nur dann kommt, wenn ich nicht da bin? Oder anders herum? Da ist Kevins Kraulen an meinem Bauch zwar ganz nett gemeint und auch keinesfalls unangenehm, aber längst kein vollwertiger Ersatz für das leidenschaftliche Bespringen einer rassigen Hundedame.

Da geht es ihm schließlich nicht anders. Als er neulich einen seiner geistreichsten Anmachsprüche auspackte und dem Weibchen in den hochhackigen Schuhen ein kontaktfreudiges „Hey, Süße, gloobste eijentlich an Liebe uff den ersten Blick oder soll ick noch mal bei dir vorbei loofen?“ hinterher raunzte, da schmetterten ihm die High Heels ein vernichtendes „Nee, lass mal, ich will dich nicht überfordern“ entgegen. Ich legte tröstend meinen Kopf an seinen Oberschenkel, denn wir Männer müssen doch zusammenhalten, doch er knurrte nur: „Scheiße, Mensch, jetzt krieg ick ’nen Hundekopp statt der ihre Handynummer. Einjebildete Zicke!“

Der Rest des Tages vergeht ohne besondere Vorkommnisse. Ich balge mich ein bisschen mit einem mir persönlich unbekannten Golden Retriever, mit dem die Hackordnung noch nicht eindeutig geklärt war. Leider fährt, bevor wir uns einigen können, sein Herrchen dazwischen und giftet meines an, warum „dieser Bluthund“, wie er mich allen Ernstes bezeichnet, nicht angeleint sei im öffentlichen Verkehrsraum. Nicht nur ich, auch mein Rivale muss über eine solche Hysterie schmunzeln. So etwas gehört nun einmal zum Kennenlernen, auch wenn der Kollege freilich ein wenig im Nachteil ist wegen seiner Schnappleine.

Eine Labrador-Mischlingshündin kann ich leider nur von weitem etwas anflirten und eine gar nicht mal so unsympathische Terrierdame hätte ich beinahe erfolgreich ins Gebüsch gezerrt, aber auch da kommt uns deren Frauchen in die Quere.

„Pfui, Edana, um Gottes Willen, ich komme dir zu Hilfe – und Sie nehmen gefälligst Ihren Kampfhund weg, oder Gnade Ihnen Gott, wenn der meiner Edana etwas antut!“

Während sich Edana mit leicht traurigem Blick retten lassen muss, grinst mich Kevin an. „Adolf, det is sexistisch, wat du da machst. Sei bloß froh, dat du’n Hund bist!“

Das tue ich dann prompt und wir gehen weiter nach Hause. Ist irgendwie nicht mein Tag, wenn da nicht diese prägende Bekanntschaft gewesen wäre. Aus irgendeinem Grund lässt sie mich nicht mehr los.

In der folgenden Nacht träume ich. Nicht etwa von der spitzen Edana, auch nicht von der eingebildeten und dabei nicht mal rassereinen Labradordame, sondern von ihr, die ich noch gar nicht persönlich kennen gelernt habe. Ihr Bild begegnet mir so deutlich, als ob wir uns bereits seit Jahren kennen. Mehrmals schrecke ich vor Aufregung aus dem Schlaf und muss mir erst einmal eine Weile die Eier lecken, bevor ich erneut Ruhe finde. Meine Güte, ich kenne wahrlich genug Mädels und ich denke, dass die, die mich näher kennen lernen durften, bisher auch immer zufrieden waren. Okay, die Kleene aus dem Nachbarblock möglicherweise nicht ganz so rundum, aber dass ich die kleine Spanielin unter Umständen doch etwas zu hart rangenommen habe, wurde mir erst hinterher klar, als sie beim Röcheln die Augen so komisch verdrehte. Aber wenn in Liebesdingen einmal das Temperament mit mir durchgeht… War ’ne Erfahrung, die man abhaken muss und sie hat es überlebt, also was soll’s, tut mir leid, aber es ist nun mal, wie es ist.

Davon abgesehen reihen sich durchaus einige sehr schöne Erlebnisse mit der holden Weiblichkeit aneinander. Doch noch nie habe ich erlebt, dass mich eine der Süßen so intensiv in meinen Träumen verfolgt. Dabei ist es bislang nur etwas rein Platonisches. Obendrein eine Fernbeziehung, wir kennen uns nicht mal von Hundeschnauze zu Hundeschnauze! Wer weiß – eventuell steigert sich die Sehnsucht parallel zur Entfernung, die zwischen einem Liebenden und seiner Angebeteten liegt.

Wahnsinn, das muss wirklich Liebe sein! Oder auch das Alter, das kann man so pauschal nicht ausschließen. Immerhin bin ich ein Hund in, naja, noch nicht gerade den „besten Jahren“, wie es die Menschen gern ausdrücken, wenn sie alt werden, aber immerhin im fortgeschrittenen Alter. Noch kein graues Haar, stark und durchtrainiert, die Sinne scharf wie eh und je – vor allem die, die sich mit dem weiblichen Geschlecht beschäftigen! -, aber ein jugendlicher Heißsporn längst nicht mehr. Irgendwann möchte ich mal kleinen Adolfs oder auch Josephs, Heinrichs oder von mir aus Trudes und Evas begegnen, um ihnen sagen zu können: So, nun passt mal auf, Papa zeigt euch jetzt die schönsten Bäume und die heißesten Treffs in der Wuhlheide und wer aus der Reihe tanzt, da gibt’s was auf die Lefzen!

Familie!

Kevin meint zu dem Thema immer: „Weiber“, und damit ist bei ihm alles gesagt. Auch, das er nicht so einfach eine abbekommt zum Bespringen. Bei den Menschen funktioniert das Ganze ein wenig umständlicher als es bei uns üblich ist. Er muss den ersten Schritt tun, klar, so weit kommt ein Hund noch mit. Aber dann muss sie zunächst ablehnen, er muss zeigen, dass er charmant und einfühlsam ist, aber sie lässt ihn trotzdem nicht, damit sie sicher sein kann, dass es ihm nicht nur ums Bespringen geht. Wenn sie in dieser Hinsicht Gewissheit erlangt hat, lässt sie ihn ran zum Bespringen. Er darf, kurz gesagt, erst dann das tun, worum es ihm eigentlich geht, wenn sie das Gefühl hat, dass es ihm nicht nur darum geht. Um ihm danach in 50 Prozent der Fälle sagen zu können: Hey, wir hatten Spaß, das war okay, aber bilde dir nicht ein, dass du deshalb gleich der Typ bist, der später mal für meine Kinder Unterhalt zahlen und sie an einem Wochenende im Monat zu sich nehmen darf!

Ab hier wird es mir zu kompliziert. Jedenfalls ist es bei den Zweibeinern nicht mit Beschnüffeln, kurzem Anbellen und dann ab ins Gebüsch getan. Obwohl Kevin an dieser unkomplizierten Art der partnerschaftlichen Zweisamkeit mehr Gefallen zu finden scheint als an den umständlichen menschlichen Gebräuchen. An denen er aber – leider, leider – nicht vorbei kann.

Ich denke, jeder kommt irgendwann in das Alter, wo er es gerne etwas komplizierter, langsamer und dauerhafter hätte. Verfalle ich am Ende gar in Torschlusspanik? Nein, naja, vielleicht auch, aber es ist Liebe, da bin ich mir trotzdem sicher. So was spürt ein Hund, ganz tief in seinem großen Herzen. Mal abgesehen von den plumpen Bernhardinern, denn die haben bekanntlich ein viel zu kleines Herz für ihren massigen Körper. Vermutlich auch zu kleine Eier, ich weiß nicht, ich kann diese chronisch atemlosen Fleischberge einfach nicht leiden.

Außerdem geht mir die unbekannte Schöne auch in den folgenden Tagen nicht mehr aus meinem behaarten Kopf. Wann immer wir Gassi gehen, schnüffele ich in alle Richtungen, um ein kleines Zeichen, eine versteckte Botschaft von ihr, zu finden.

Vergeblich.

Ich hinterlasse ihr romantische Nachrichten: Wo kann ich dich treffen? Ich möchte dich näher kennenlernen, ich bin ein gut gebauter Deutscher Schäferhund und weiß, wie man Nebenbuhler aus dem Weg räumt!

So etwas beeindruckt die Mädels, keine Frage. Aber ob sie meine gefühlsechten Liebesschwüre überhaupt zu riechen kriegt? Was – ein schrecklicher Gedanke durchfährt mich -, wenn sie hier nur zu Besuch war, eine eintägige Stippvisite ihres Herrchens bei einer wenig geliebten Tante, der er notgedrungen ein Mal im Jahr seine Aufwartung machen muss! Sonst lässt er seine geliebte, wunderschöne Hündin immer zu Hause, die Tante hat eine leichte Tierhaarallergie, doch diesmal hatte Frauchen einen Außendienst-Termin und konnte sich nicht um das vierbeinige Familienmitglied kümmern. Ausnahmsweise musste Herrchen sie mitnehmen und nur damit die Erbtante nicht zu früh einen allergischen Schock bekommt, ging er mit ihr dieses eine Mal eine Runde durch den Park. Mittlerweile sind sie längst schon wieder abgereist, daheim in Oer-Erkenschwick oder gar Falkenberg an der Elster.

Stopp, auf der Stelle! Meine Fantasie geht mit mir durch. Ich unterbreche mich an dieser Stelle und sage mir mantramäßig, dass es nichts bringt, den Teufel in den düstersten Farben an die Wand zu scheißen. Stattdessen: Nase auf im Straßenverkehr und wenn das Schicksal uns füreinander bestimmt hat, dann lässt es uns ein zweites Mal unsere Wege kreuzen. Beziehungsweise uns richtig zusammenführen, denn immer nur ihre aufregenden Duftmarken schnuppern wäre auf Dauer unbefriedigend, bei aller Liebe!

Ich bin an den Tagen danach etwas unaufmerksam, zugegeben. Schuld daran ist allein sie, die schöne Unbekannte mit der betörenden Duftmischung aus frischen weiblichen Hormonen, zartem Urin und einem Spritzer Mandelblüte, wie es sich in meiner Erinnerung festgesetzt hat.

Oberflächliche Begegnungen mit stolzen Pudeldamen, rassig-scharfen Schnauzer-Girls und eleganten, aber ein wenig eingebildeten Dalmatinerinnen können mich nur kurzzeitig von ihr ablenken. Und ich beginne, Fehler zu machen, auch das darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden.

Meine Aufgaben in der Partnerschaft mit Kevin sind überschaubar. Ich muss ihm zur Seite stehen, ihn auch mal beschützen vor linken Zecken oder uns überfremdenden islamistischen Terroristen. Beides blieb in der Praxis bislang weitestgehend aus. Vor allem muss ich gefährlich und Respekt einflößend aussehen, wenn wir gemeinsam ausgehen. Kevins Schritte in seinen Springerstiefeln hallen schwer, beinahe wie ein Donnerhall, wie Schwertgeklirr und Bogenprall, übers Pflaster. Er bemüht sich so intensiv um einen festen Schritt, dass er hinterher, im trauten Heim, nicht selten über Knöchelschmerzen wimmert. Bei so viel deutscher Entschlossenheit im Gangbild darf ich natürlich nicht wie ein Jorge Gonzales hinterher tänzeln. Den Kopf erhoben, die Ohren gespitzt, die Zähne stets etwas blitzen lassen und dazu die Läufe möglichst breit gestellt, so, findet Kevin, sehe ich wie ein richtig gefährlicher deutscher Schäferhund aus. Na gut, andere Hunde grinsen mitunter über meine leicht unnatürliche Beinstellung und blaffen mich kurz an, wie es denn der Hüftarthrose gehe, aber ich soll ja auf Menschen beeindruckend wirken und nicht auf meine Artgenossen. Untereinander regeln wir das Respektsverhältnis auf zivilisiertere Weise. Manchmal stupst Kevin mich leicht mit seinem Knie in die Flanke und flüstert mir zu: „Da, böser Ausländer, guck, da, böse, böse!“. Dann setze ich ein Knurren auf meine martialische Haltung obendrauf. Mein Herrchen pflegt daraufhin überrascht dreinzuschauen, um schließlich einen Satz wie: „Na, der hat aba ’ne hervorrajende Menschenkenntnis, mein Adolf!“, unüberhörbar zu murmeln.

Klappt nicht immer, wie erst kürzlich, als der südländisch aussehende drahtige Typ sein Basecap aus der Stirn schob, die Backen aufblies und entrüstet antwortete: „Ey, wat vazapfste da dem Hund für’n Scheiß, ick bin een Berlina, schon seit Jeburt an, du Ghani!“

Wir überhörten beide die despektierliche Bemerkung. Mit solchen Kanaken brauchst du erst gar keinen Streit anzufangen, weil die dich dumm und dusselig reden können, dat muss man denen lassen. Da hilft nur zu geeigneter Zeit ein Eingreifen mit dem kompletten Sturmtrupp. Kevin nahm mich, als wir außer Sichtweite waren, kurz beiseite, fasste mich am Halsband und erklärte mir: „Pass uff, Adolf, künftig heeßt eenmal mit dem Knie in die Seite, dat is’n böser Ausländer, da knurrste janz spontan von janz alleene, so rrrr. Zweemal anstubben bedeutet, det is’n Fidschi, da darfste ruhig ma kräftig anbellen, waff-waff, die sinn meist friedfertig und reagieren nich gleich so aggro wie die Türken!“

Alles klarofix, normalerweise wuppe ich das immer zuverlässig. Doch an diesem Tag flaniere ich stark abgelenkt durch meine eigene Gedankenwelt. Erst nach dem fünften Stoß in meine Seite fahre ich erschrocken hoch und blicke Kevin erwartungsvoll und mit herabhängender Zunge an. „Ja kiek nich so blöd, haste nich jemerkt, wie ick dir zweemal anjestubst hab, und dann noch zweemal. Also wat is nu?“

Ich brauche einen Moment, um vor meinem inneren Auge das Traumbild der unbekannten Schönen, wie sie lasziv ihre Mähne schüttelt und mir aus den Augenwinkeln zublinzelt, beiseite zu wischen und es gegen das Echtzeit-Abbild meines Herrchens einzutauschen. Dieses schaut ziemlich grimmig zu mir herunter, und auch ein bisschen genervt. Von mir beziehungsweise von meiner Begriffsstutzigkeit.

Okay, ja, zwei Mal in die Flanke, das war – jetzt hab ich’s, das bedeutet Ausländer und zwar Fidschi und den darf ich ankläffen. Ich setze mich sogleich in Positur, arbeitete an einer grimmigen Grimasse und fletsche zur Einstimmung ein bisschen die Zähne, da tritt der vietnamesische Gemüsehändler plötzlich an mich heran. Er hat uns offenbar schon die ganze Zeit interessiert beobachtet. Jetzt zaubert er ein Stück Wiener Würstchen – oder auch Frankfurter, den Unterschied konnte ich mir nie merken – aus seiner Kitteltasche hervor und redet mir zu: „Na, gutel Hund, ayhn gans Gutel bist du, da, machen happ!“

Kevin droht zu hyperventilieren. Ihm fällt auf die Schnelle keine passende verbale Entgegnung ein. Schlagfertigkeit ist nur dann seine Stärke, wenn es tatsächlich ums Schlagen geht. Noch bevor er drei aufgeregte Pruster in die feinstaubbelastete Karlshorster Luft schicken kann, hat der freundliche Asiat die Wurst vor mir abgelegt und wendet sich nun meinem Herrchen zu.

„Hiel, biddeschön“, mit diesen Worten hält er ihm ein Klappmesser hin, „habe Sie velolen bei Bücken zu gute Hund.“

Kevin blickt einige Male verdutzt zwischen seinem Butterfly, dem Gemüsehändler und seiner Hosentasche hin und her, dann greift er zögerlich nach dem ihm so offenherzig dargebotenen Gegenstand.

„Ja, äh, thank you dann auch“, stottert er nach einer gefühlten Ewigkeit ein wenig verlegen. Ich packe derweil die Wurst und schlinge sie hinunter. Köstlich! Liegt wahrscheinlich daran, dass die Fidschis Katzen in ihren Wienern verarbeiten, wie deutsche Zweibeiner, die sich nichts vormachen lassen, schon lange vermuten.

„Nix thänk ju, saggen eifach Dangeschön, schließlich wil sinn hiel in Deuschlann.“

Der kleine schmächtige Mann lächelt uns sein breitestes Ho-Chi-Ming-Grinsen hinterher, winkt noch einmal und geht zurück in seinen Laden.

Was für eine Blamage! Offensichtlich denken wir ausnahmsweise mal beide denselben Gedanken. Wobei: Für mich hatte die Blamage wenigstens einen leckeren Beigeschmack. Diesen Gedanken behalte ich natürlich für mich, das heißt, ich lecke mir nicht noch demonstrativ die Lefzen. Kevin ist so verdattert, dass er sogar vergisst, mit mir zu schimpfen.

Die Sache ist peinlich für uns gelaufen, soviel steht fest. Das müssen wir uns jetzt nicht noch gegenseitig erklären. Auf solcherart Konflikte sind wir einfach nicht vorbereitet, da wirst du richtiggehend wehrlos gemacht. Das dürfte wohl nicht schwer zu verstehen sein: Ein rechter Deutscher weiß sich zu schlagen, er kann auf Angriffe, Hinterhalte, auf eine Übermacht reagieren oder den sicheren Sieg einpacken. Er versteht, zuzuschlagen, eine ängstliche Deckung ebenso auseinander zu nehmen wie auf eine gesellschaftspolitische Provokation stilvoll und angemessen mit dem Baseballschläger zu antworten. Doch wie reagiert man auf ausgefuchste Freundlichkeit und perfides Entgegenkommen? Das hat uns keiner gelehrt und damit musste sich unser Volk in der Historie nur ausgesprochen selten herumplagen. Es ist traurig, aber wahr: Wenn dich der Gegner umarmt, macht er dich bewegungsunfähig. Wie soll man dann noch jemanden vernünftig hassen, wenn einem so viel Gutmütigkeit in die Fresse springt?

Ich merke es Kevin an, dass er auf diese Fragen ebenso wenig eine Antwort findet wie ich. Vermutlich befindet er sich erst an dem Punkt, solche Fragen überhaupt auszumachen, bevor ihm darauf keine passable Antwort einfallen kann. Jedenfalls verharrt er noch eindeutig in dieser frühen Phase der direkten Vergangenheitsbewältigung, als für mich sämtliche Grübeleien mit einem Schlag in den Hintergrund rücken. Am Sportplatz auf der Dolgenseestraße, direkt hinter dem Bahnhof Rummelsburg, treffe ich SIE. Unter einer Million Düften hätte ich den ihren heraus gerochen, und ungefähr so viele umschwirrten mich auch zwischen Abfallbehälter und frischen Graffiti an der Wand der alten Sporthalle, die schon deutlich bessere Zeiten und zigtausende erhobene Hundebeine gesehen hat. Ich blicke auf und bleibe wie erstarrt stehen, obwohl ich sie noch gar nicht sehen kann. Aber ich spüre, nein, ich weiß sofort, dass sie selbst, höchstpersönlich, und nicht nur ihre Duftmarke in meiner unmittelbaren Nähe ist. Ich fange an zu tänzeln, ganz entgegen meiner sonstigen Schrittgewohnheiten, hopse aufgeregt herum, stelle die Lauscher auf und versuche mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln, keines der himmlischen Duftmoleküle an meiner empfindsamen Nase vorbeirauschen zu lassen.

Zu meinen eben erwähnten Mitteln gehört übrigens auch, den weiteren Vormarsch abrupt zu unterbinden. Kevin flucht entsetzt, als ihm die Leine aus der Hand gleitet und er ins Trudeln gerät, doch ich denke in dem Moment nicht einmal im Entferntesten an zivilen Ungehorsam. Ich bleibe einfach nur wie angewurzelt stehen, fiepe wie ein von der Milch entwöhnter Welpe und kümmere mich nicht den Wurstzipfel um die zu Boden gefallene Leine. Denn der Duft, ihr Duft, kommt näher! Zu mir! Immer näher, er verstärkt sich, ich nehme weder das Geruchsinferno aus dem Papierkorb noch die beißenden Farbdämpfe von der Wand wahr, sondern nur noch das Markenzeichen meiner Traumfrau.

Dann steht sie plötzlich vor mir, keine vier Hundelängen entfernt! Beziehungsweise sie läuft, scheinbar völlig unbeeindruckt von meiner heillosen Begeisterung, einfach weiter um die Kurve. Den Kopf stolz erhoben, die Beine grazil hintereinander setzend, über den Hals ein umhäkeltes weiches Lederband, führt sie ihr Frauchen auf uns zu. Eleganz, Anmut, Weiblichkeit pur – denk dir irgendein aufregendes Attribut aus, welches dir beim anderen Geschlecht heillos die Sinne raubt, und es trifft garantiert auf sie zu!

Sie tut, als bemerke sie mich überhaupt nicht, doch das ist natürlich unmöglich. Sie muss mich wahrgenommen haben, es sei denn, sie war beim selben Nasendoktor in Behandlung wie einst dieser Michael Jackson. Stattdessen wirft sie den Kopf mit einer kurzen Bewegung in den Nacken und schüttelt sich leicht. Doch ihre Augen sprechen eine andere Sprache als ihre zur Schau gestellte Gleichgültigkeit.

Diese verfehlt bei mir keineswegs ihre gewünschte Wirkung. Ich bin von null auf hundert spitz wie Nachbars Lumpi. Da kannst du dir tausend Mal vornehmen, nicht mehr auf die Masche der Weiber reinzufallen – wenn dir so etwas Formvollendet-Sinnliches begegnet, gehen die guten Vorsätze schneller flöten als eine Perserkatze in den Fängen eines Bullterriers. Mein Adrenalinspiegel schießt im gleichen Tempo nach oben und noch bevor er vollständig mein Gehirn erobern kann, schieße ich einfach los. Ich mache einen Satz auf sie zu, versuche ihren aufregenden Hals zu packen – natürlich in aller Zärtlichkeit, wie es sich für einen verliebten Rüden gehört – und lasse ein schmachtendes Winseln ertönen, welches Steine erweichen könnte.

Kevin dagegen gibt ein „Scheiße, Mann!“ von sich. Soeben ist es ihm gelungen, das Ende meiner Leine vom Boden aufzuheben. Noch während er sich aufrichtet, reißt ihn mein plötzlicher Ruck nach vorne. Diesmal lässt er nicht wieder los, zu seinem Pech. Die urgewaltige Kraft meines liebestollen Sprungs reißt ihn nämlich umgehend von den Beinen, er schlittert der Länge nach hinter mir her und kommt genau vor dem Frauchen meiner großen Liebe zum Liegen. Diese hatte mein spontanes Liebesgeständnis irrigerweise als Attacke gedeutet und verzweifelt versucht, ihre vierbeinige Partnerin beiseite und aus meiner Reichweite zu zerren.

Das gelingt ihr freilich nur teilweise, nicht zuletzt deshalb, weil sie mit einem unverständlichen Fluch auf den Lippen über mein Herrchen stolpert. Gerade noch so vermeidet sie einen Sturz, sie knickt jedoch mit ihrem rechten Hinterlauf um, schreit spitz auf – und das betroffene Bein scheint mit einem Schlag mindestens zehn Zentimeter kürzer geworden zu sein!

Ach du Scheiße! Ich bin mir sicher, dass sich kein liebendes Wesen auf der Welt so chaotisch sein „erstes Mal“ vorstellt. Meine Süße jedenfalls nicht, das merke ich ihr sofort an. Sie legt den Rückwärtsgang ein, drängt sich vor ihr Frauchen, die dadurch nicht wesentlich schneller zu ihrem Gleichgewicht zurückfindet, und knurrt mich an.

Wer kann es ihr verdenken, noch weniger romantisch geht wohl kaum! Aber sorry mal, wer hat denn meine überschäumende Reaktion als Mann mit seinem divenhaften „Aber-hallo-ich-schaue-doch-nicht-jedem-Straßenköter-hinterher“-Getue provoziert! Doch Schuldzuweisungen können mich jetzt nicht weiterbringen.

Das versuche ich ihr durch zärtliches Winseln klarzumachen. Vielleicht hätte ich damit nicht nur ihr Ohr, sondern sogar ihr Herz erreicht, wenn sich unsere Zweibeiner jetzt nicht extrem ins Fell kriegen würden.

„Sie blödder Trottel, sind Sie betrunken?“, kreischt sie.

Er: „Spinnst du, blöde Tusse!“

Sie: „Was chaben Sie gesagt zu mich? Blödde Tusse? Ich gäbbe Ihnen gleich blödde Tusse, die Ihnen wird reichen für näxte Jarre!“

Er: „Nehm’se lieba ihre Töle weg, die macht meinen Adolf janz wuschig!“

Sie: „Tsü-Pfff, Adolf, so sähhen Sie auch aus!“

Er: „Jawoll, genauso isset, oda hamse da wat jejen, Sie uffjetackelte Poll…“

Der Rest der Bemerkung, mit der er ihre vermutete Nationalität herausstreichen wollte, bleibt ihm angesichts ihres eisigen Blickes im Halse stecken. Zornesblitze scheinen aus ihren Augen hervor zu schießen und Kevin krümmt sich sofort ein wenig, beinahe als hätte ihn einer dieser Blitze in seine Weichteile getroffen.

„Ja, ja, nur zu, was Sie wollten saggen? Redden Sie ruhik weiterr!“

Ich vermute, angesichts ihres scharfen Blickes fällt ihm nicht mehr ein, was er soeben sagen wollte. Ich könnte ihm auf die Sprünge helfen: „’Pollackenpute’ wolltest du sie nennen“, doch er versteht mich sowieso nicht. Wie immer.

Also suche ich lieber den Blickkontakt zu meiner Schönen. Sie blinzelt mir leicht zu und meint mit bereits ein wenig Verständnis in ihrer Stimme: „Naja, für sein Herrchen kann man eben nichts. Du heißt also Adolf? Hm, was für ein schöööner Name!“

Den Schluss betont sie für meinen Geschmack etwas zu deutlich, um diese Aussage für ein echtes Kompliment nehmen zu können. Doch ich will es mir nicht gleich wieder mit der verderben, der ich so lange hinterher geschmachtet habe. Zumal ich noch etwas gut zu machen habe nach meinem kleinen temperamentgeschuldeten Missgeschick.

„Und du, wie heißt du so?“, will ich von ihr wissen.

„Darinka vom Schreckenstein“, antwortet sie mit ganz schlecht verhohlenem Dünkel.

„Brrr, waff, vom Schreckenstein?“, quieke ich lauthals los. „Das klingt ja fast wie Schreckschrau-“

Gerade noch rechtzeitig kriege ich mich wieder ein. Dejà vú – ich glaube, ein ähnliches Erlebnis habe ich vor nicht einmal zwanzig Sekunden bei meinem Herrchen beobachtet. Au Backe! Das hätte jetzt echt schief gehen können.

„Ja, ähm“, hebe ich erneut zu sprechen an, „vom Schreckenstein also. Ist der hier irgendwo in der Nähe?“

„Pff“, macht sie und wirft den Kopf ein Stück zurück. „Der Zwinger vom Schreckenstein befindet sich in der Nähe der gleichnamigen Burg in der Wojwodschaft Poznan. Dort werden schon seit Generationen und, wie ich hinzufügen darf, sehr erfolgreich Afghanische Windhunde gezüchtet. Einfacher ausgedrückt“, fügt sie mit einem Seitenblick auf mich hinzu, „Afghanen. Meine Vorfahren stammen aus England.“

„Äh, ja, Potsnan, alles klar.“

„In Polen.“

„Polen!“ Ich springe auf vor Begeisterung darüber, endlich ein gemeinsames Gesprächsthema gefunden zu haben. „Polen, das kenne ich! Du wirst es nicht glauben: Ich stamme auch aus Polen!“

„Ein Deutscher Schäferhund namens Adolf mit einem verblödeten Skinhead als Herrchen stammt aus Polen. Soll ich dir mal was sagen: Ich glaube es dir tatsächlich nicht!“

„Doch, ehrlich, ich bin eben nur schon als Welpe nach Deutschland gekommen. Mein ursprünglicher Name lautet Cecyl. Adolf, naja, das ist eben so üblich, mit polnischen Namen tun sich die Zweibeiner hierzulande etwas schwer, hat nichts weiter zu bedeuten.“

„Cecyl also. Cecyl.“

Wie sie den Namen vor sich her sagt, sinnlich mit der Zunge über die Lefzen streichend, den nachdenklichen Blick ihrer braunen Augen romantisch in die Ferne gerichtet! Jetzt hat es auch bei ihr gefunkt, da bin ich mir sicher. Aber hundert Pro!

„Cecyl“, sagt sie noch einmal gedehnt. „Das bedeutet der Sechstgeborene. Stolzer Wurf, immerhin. Ich glaube, der Hauptgang mit allem wesentlichen war wohl schon durch, als du hinterher kamst!“

Wie sie das wohl gemeint haben mag? Wir kommen nicht mehr dazu, diese Frage auszudiskutieren, denn unsere beiden Herrchen bzw. Frauchen nehmen erneut unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

„Absatz ist abgebrochen durch Ihre Tölpelhaftigkeit. Sie werrden mir bezahlen kaputte Schuh. Benetton, das war nicht billik. Sie hörren von meine Anwalt.“

Während sie das sagt, hat sie den kaputten Schuh aufgehoben, hält ihn vor ihr Smartphone und drückt ein paar Mal den Auslöser. Dann schwenkt sie das schwarze Viereck in ihrer Hand demonstrativ zu Kevin herum und drückt erneut ab. Für einen Augenblick stelle ich mir vor, dass sie einen Revolver in der Hand hält, und mir schaudert ein wenig. Die hätte garantiert keine Skrupel, damit genauso eiskalt abzudrücken, wenn es um ihren Benetton geht.

„Ja, und ich – wat bei mir kaputt is wollnse wohl janich wissen oda wie?“

„Was bei Innen kaputt ist scheint völlik klar. Kann ich mir denken. Ihre Treter aus Schuh-Discount jeddenfalls nix.“