Philipp Weigelt
Eichenlaub
Roman 194 Seiten
ISBN 978-3-942849-27-2 13,40 €
„Damals hatte er eine Lesebrille, die ist jetzt weg. Jetzt ist er zwar cool, aber dafür sieht er nichts mehr.
´Eichenlaub´ ist ein Roman über die Jugend in Deutschland der Jahre nach 2010. Eine Jugend, die es offenbar immer schwerer hat, die Zeit zu finden, die es ihr ermöglicht, den für sie richtigen oder wenigstens einen gangbaren Weg zu finden. Dennoch wird abgehangen, gesoffen und sich verliebt. Aber nur gerade so lange, bis es heißt, nun doch endlich brauchbare Klausuren abzuliefern, um die Chance auf den erwarteten Erfolg nicht zu verpassen. Natürlich nicht, ohne dabei in einen aberwitzigen Stress zu geraten ..
Das ist “Eichenlaub”
Und hier noch ein kleiner Einblick in das Innere dieses interessanten und witzigen Buches.
LESEPROBE:
Max Mustermann öffnet langsam die Augen. Seinen Pulsschlag fühlt er als Kopfschmerz hinter der Stirn pochen, während ihn grelles Sonnenlicht durch das Fenster seines Zimmers blendet. Er dreht sich einmal, er dreht sich zweimal, es nützt nichts – einschlafen ist nicht mehr drin. Also steht er auf. Er sitzt, vom einfallenden Lichtstrahl erfasst, auf der Bettkante, hält sich den Kopf und verzieht das Gesicht. Die Augen sind zusammengekniffen, als er aus dem Bett steigt und geistig umnebelt über ein, zwei leere Bierflaschen und einen Pizzakarton stolpert – typisch Sonntag.
‘Scheiß Morgen, scheiß Nacht, abgefuckte Woche’, denkt er sich und schleppt seinen erschöpften Körper ins Badezimmer.
Für sein Spiegelbild hat er nur ein schelmisches Lächeln übrig. Seine dunkelblonden Haare stehen und liegen kreuz und quer auf seinem Schädel. Die Augen ähneln denen eines Bergarbeiters, der nach zwölf Stunden unter Tage zurück ans Tageslicht kommt. Die einzige vermeintliche Freude ist es, alleine zu sein.
„Sind ja doch alles Trottel“, knausert er dem Spiegelbild entgegen, von dem er sich bestätigt fühlt. Das letzte was er jetzt gebrauchen könnte, wäre dummes Gelaber.
Als das Gesicht gewaschen und die Klamotten von gestern gegen Sportzeug getauscht sind, legt er eine CD in die mittlerweile in die Jahre gekommene, immer wieder hackende Playstation 2 ein, und sich selbst zurück aufs Bett.
„Berlin Crime, Motherfucker, Berlin Crime!“, dröhnt es aus den Boxen.
Ein paar Songs später fühlt er sich schon etwas wacher, rappt die Texte mit und kommt in Fahrt. Die Musik ist aggressiv und mitreißend. Mitgerissen wechselt er von den Computerboxen zum MP3-Player, steckt sich die Kopfhörer ins Ohr und zieht die Turnschuhe an. Er genießt es, an nichts zu denken und die Wohnungstür einfach hinter sich ins Schloss fallen zu lassen, um in die Freiheit zu laufen.
Es ist Herbst. Ein kalter Wind zieht ihm um den Hals. Die Bäume verlieren mehr und mehr Blätter, die in bunte Farben getränkt durch die Luft wirbeln. Entlang seiner Strecke liegt eine KFZ-Werkstatt. Sie wird übers Wochenende von zwei extrem großen und vor allem lauten Kampfhunden bewacht. Das sind irgendwelche riesigen Viecher mit noch riesigeren Köpfen. Diese Biester bellen so laut sie können, sobald sich ein Fußgänger nur in der Nähe des Werkstattgrundstückes aufhält. Er sieht sie bereits von weit her und blickt ihnen, näher kommend, in die Augen.
In Gedanken faucht er sie an: ‘Heute wird die Schnauze gehalten, ihr scheiß Köter!’
Doch es bewirkt nichts. Noch vor dem Ende dieses Gedankens öffnet der erste Hund seinen Mund und ein lautes Gebell entfleucht diesem Schlund, sodass Max sich fürchterlich erschrickt und ein kurzes „Arschloch“ in die Sonntagsluft schreit, wobei ihm die Kopfhörer aus den Ohren fallen. Kurz angehalten und sie wieder eingesteckt, geht es unter Kopfschmerzen weiter. Das Atmen fällt ihm nun mit jedem Meter schwerer. Die Herbstluft ist kühl und feucht, den Sauerstoffgehalt schätzt er auf null Prozent. Sie zieht durch die Nase und den Mund, tief in seine Lungenflügel hinein, die immer mehr nach einer Pause ächzen. Auch seine Beine werden schwerer, die Oberschenkel fangen an zu zwicken und sein Herz rast.
Endlich wieder zu Hause angekommen, schmeißt er sich dann sofort aufs Bett und holt tief Luft. Sein Körper zittert ein wenig, er fühlt sich völlig schwerelos an. Die eingeatmete Luft drückt in der Lunge. Alles ist völlig zerstört und völlig entleert, frei, um neu aufgebaut zu werden, Sonntag für Sonntag.
Montagmorgen.
Der Handywecker schreckt ihn auf. Er fühlt sich schwach und leer, ja fast schon alt. Die Tage werden kürzer und es ist finster, als er die Augen öffnet. Das Anschalten des Lichts macht es nicht unbedingt besser. Denn durch das nunaufs Auge fallende Licht sieht er zunächst noch weniger als vorher. Er schleppt sich zum Badezimmer.
‘Zum Glück ist die Tasche schon gepackt’, denkt er. ‘Welche Sinnlosigkeit der Wochenenden’, denkt er. ‘Eigentlich soll man sich erholen, auf der Veranda ein Buch lesen, warmen Kakao und zum Abendbrot ein kühles Bier trinken, um am Montag erholt und gut gelaunt in die Woche zu starten, damit die Dozenten, Professoren, Vorgesetzten, Kunden, Geschäftspartner, und nicht zuletzt man selbst, auf exzellente und vollständige Ressourcen zurückgreifen können. Aber das wäre zu schön.’
Nun steht er, wie jeden Montag, völlig ausgelaugt vor seinem Spiegel. Es nützt ja alles nichts, Junge, denn es muss sein.
In der Bahn nimmt er seinen üblichen Sitzplatz ein, einen Fensterplatz auf einem Vierersitz. Die Sitze der Straßenbahn sind verschieden angeordnet. Es gibt klassische Einsitzer in Fahrtrichtung, Zweisitzer in Fahrt- sowie Gegenfahrtrichtung, Dreiersitze, welche sich gegenüberliegen und in die Mitte der Bahn gucken, sowie die besagten Vierersitze. Die sind aufgrund einer Kante unterhalb des jeweils gegenüberliegenden Sitzpaares sehr bequem, denn darauf kann man seine Füße abstellen. Sitzen sich jedoch mehr als zwei Personen gegenüber, geht das nicht. Dann ist es eng und meistens unangenehm, zumindest bei fremden Mitsitzenden. Da Max jedoch zumeist im Laufe des Vormittags zur Uni fährt, sind die Plätze so gut wie immer frei. Also macht er es sich bequem und blickt aus dem Fenster. Nieselregen. Nebel über der Elster. Haltestelle für Haltestelle wird das Bild nicht besser. Die Häuser werden dichter, der Regen auch. An einer Haltestelle beobachtet Max, wie eine junge Frau mit Regenschirm von einem vorbeifahrenden LKW so dermaßen mit Pfützenwasser bespritzt wird, dass sie voll und ganz durchnässt ist.
‘Schade’, denkt er sich. ‘Echt nicht fair diese Welt. Und bei solchen Gegebenheiten muss man dann zur Uni, anstatt daheim vorm Assi-TV Glühwein zu trinken.’
Wenige Momente nach diesen ernüchternden Eindrücken wird sein Tagesausblick auf einmal heller. Im Türbereich der nun voller gewordenen Bahn sieht er, von allerlei Leuten bedrängt, ein mit blonden Haaren verschleiertes,natürlich geschminktes Gesicht, unter dem ein schlichterschwarzer Mantel, Stiefel und ein Hauch voll Gelassenheit aufwarten – allen Unannehmlichkeiten zum trotz lächelnd. Kurz lächelt auch er zu sich selbst, dann schweift sein Blick. Max würde sie gerne ansprechen, doch er kann nicht, aus Mangel an Anlässen, wie er sich denkt. Denn jemanden einfach so ansprechen, das kann er eben nicht. Dafür braucht es seinen und den mickrigen Erfahrungen der meisten seiner Freunde nach, einen künstlichen Vorwand, für die natürlichste Sache der Welt, das Miteinander. Außerdem ist er viel zu schüchtern. Und während er so nachdenkt, verzieht jede Gelegenheit. Bevor er einen weiteren Blick erhaschen kann, öffnet sich bereits die Tür und die aschblonden Haare verlassen die Bahn. Nun bleibt nur noch die Uni. Ein scheiß Tag für Max.
Mit nassen Klamotten startet die Vorlesung. Es geht um die industrielle Revolution und ihr Ungleichgewicht, als sich die ersten Spannungen 1844 in den Weberaufständen entluden. Am 5. Juni stürmten die Weber in Schlesien mit primitivsten Werkzeugen die Villa des Fabrikanten Dierig in Langenbielau. Deutschland erhob sich aus der Rückständigkeit, die ehemaligen Leibeigenen arbeiteten als „Sklaven der neuen Zeit“, wie der vortragende Professor sie nennt, während die ehemaligen Feudalherren als Großindustrielle enorme Gewinne abschöpften.
„Was stimmte hier nicht?“, wird vom Professor in die Runde gefragt.
Es fallen vielerlei Antworten. Die meisten drehen sich um soziale Ungerechtigkeit und Armut. Nachdem der Professor die Antworten als schlichtweg blauäugig abtut, kommt Max ins Grübeln. Im selben Moment, in dem der Professor gerade einen seiner Kommilitonen aufgrund der Antwort, „die Schere von Arm und Reich“ läge „zu weit auseinander“, als Milchmädchen tituliert und trocken: „Sie könne nie weit genug auseinanderliegen“, nachschiebt, hat Max eine Idee. Die Standardgründe sind offensichtlich nicht das, worauf es hier hinausläuft.
Er meldet sich zu Wort: „Angebot und Nachfrage“, ruft er in die Menge.
Der Professor bittet um Ruhe und beruhigt die Masse.
„Angebot und Nachfrage“, wiederholt er Max.
„Ja“, erwidert dieser ziemlich schüchtern. „Die Ungleichheit von Angebot und Nachfrage wird durch die sozialen Spannungen widergespiegelt“, fährt er leise fort.
Der Professor nickt und bremst dann ab: „Können sie das begründen? Können sie mir sagen, was das in diesem Zusammenhang für eine Rolle spielt?“
Max verstummt. Nach kurzem Überlegen wird ihm klar: Mit einer Antwort kann er nicht dienen. Er blickt Hilfe suchend durch die Weiten des Saals und in die Gesichter