Ein Himmel voller Haie

´Ein Himmel voller Haie´

Titel

 Presse

Hanna Montag

Ein Himmel voller Haie

Roman 179 Seiten

Belletristik Edition

ISBN 978–3–942849–22–7

12,40€

Anna will nicht mehr aufwachen. Anna will nicht mit schlechter Milch übergossen werden. Und Anna riecht Köpfe. Überall. Zuhause, in der Schule und später an der Uni. Diese Köpfe sind anders als sie, haben andere Wünsche, Ziele, sind laut. Anna sitzt alleine in der Mensa und Millionen von Wörtern aus unzähligen Gesprächen durchfluten ihre Ohren, lautes aufdringliches Klappern von Tellern und Gläsern zersetzt ihre Gedanken. Als plötzlich und zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt Ruhe den Raum betritt. Die Ruhe heißt Matty. Matty trägt ein dunkelblaues Hemd mit goldenen überdimensional großen Knöpfen, schwarze Hosenträger und einen viel zu großen olivgrünen Mantel. Anna erinnert sich: „… wir waren die einzigen, viel zu langsamen Menschen für diesen Raum. Ich konnte hören, welche Melodie er leise summte. Eine langsame leise Melodie. Schöne Musik, die mein gesamter Körper sofort aufsaugte und abspeicherte. Ich hatte von der ersten Minute an das Gefühl diese Melodie zu kennen.“ Natürlich verändert eine einzige Begegnung nicht die ganze Welt. Aber sie ändert sich für Anna. Und alle, die dieser Geschichte von hier an folgen, werden spüren, wie auch ihre Welt sich ein wenig ändert, dass sie ein wenig langsamer wird, bis auch sie den Himmel voller Haie endlich erahnen.

Das ist “Ein Himmel voller Haie”

 

liesmich

Und hier eine ´Kostprobe´ aus diesem nur scheinbar schwierigen und sonderbar wirkendem, in Wirklichkeit aber fast schwebendem Buch über das Jung- und Immer-noch-Jungsein.

LESEPROBE:

 

Freie Platzwahl

 

Wie jeden Abend schreibe ich auf einen A4 großen Zettel: ICH WILL NICHT VERBRANNT WERDEN!, falte das Papier einmal und lege es behutsam unter mein Kopfkissen, knipse das Licht aus und schließe meine Augen, um mir mein Schlaflied zu singen: MORGEN FRÜH, WENN GOTT WILL, WIRST DU WIEDER GEWECKT

Noch während der ersten Strophe kommt mir der ewig gleiche Gedanke zu diesem Lied: Die Wahrscheinlichkeit, dass mich Gott vergessen könnte, ist bei ungefähr sechs Milliarden Menschen sehr hoch. Sechs Milliarden als Zahl kann ich mir nicht mal vorstellen. Geschweige denn die Anzahl an Menschen. Selbst wenn sich alle in einer Reihe aufstellen, die ungefähr sechs Milliarden Menschen. Eine unüberschaubare Reihe. Ein gnadenloses Gewimmel. In so einem Gewimmel verliert man leicht den Überblick. Wenn er mich vergessen würde, der liebe Gott, ich könnte es ihm nicht mal verübeln.

 

Dann wäre ich am Morgen einfach verschwunden. Ich wäre an einem anderen Ort, weit weg von diesem Dorf, weit weg von der Schule und niemand würde mich verfolgen und mit schlechter Milch übergießen. Ich würde einfach in meinen Träumen bleiben. In der Nacht würde ich zu dem kleinen Affen auf dem viel zu großen Baum werden und müsste nie wieder zurückkommen. Ein kleiner Affe mit zu kurzen Beinen und viel zu langen Armen. Ich hätte braunes dichtes Haar, kraftvolle Muskeln und schwarze kleine Augen. Ich könnte mich den ganzen Tag durch die Bäume schwingen, an meinen Füßen pulen und mir hin und wieder eine Banane schälen. Es gäbe nur mich, den Baum und die Bananen.

 

Schlafen und warten, diese Nacht muss mich Gott einfach vergessen, er kann nicht wollen, dass mich meine Mutter weckt und die Quälerei von vorne beginnt. Wieder in diese Schule, wieder diese anderen Kinder. Wieder den ganzen Tag verstecken, den Mund halten und bloß hoffen, dass keiner merkt, dass ich nichts mit ihnen gemeinsam habe. Sicher würde mich meine Familie am Anfang vermissen, doch das würde schnell vergehen. Sie hätten mehr Platz im Auto und mehr Zeit im Bad. Mein Zimmer könnten sie als zweites Wohnzimmer nutzen. Ein Wohnzimmer ist zu klein für fünf Menschen mit sehr unterschiedlichen Geschmäckern. Meine Mutter und Julia könnten das neue Wohnzimmer nach ihren Vorstellungen gestalten und mein Vater und Sascha belagern weiterhin die Couch und beobachten das Geschehen im Fernseher. Es gäbe viel weniger Streit.

Wahrscheinlich würde ich der Oma Pauline am meisten fehlen. Sie müsste ihren Pfefferminztee von nun an alleine trinken und könnte niemandem mehr ihre Geschichten über die vier Freunde erzählen. Sie würde jeden Tag in ihren alten Tagebüchern lesen und alle paar Minuten aus dem Fenster sehen. Immer in der Hoffnung, dass ich doch noch um die Ecke biege, in die Küche gerannt komme, um meinen liebsten Platz auf der Fensterbank einzunehmen. Doch ich würde nicht kommen können, weil ich ein kleiner Affe auf einem riesigen Baum wäre. Ich würde den ganzen Tag den Melodien lauschen und die Blätter beim Tanzen beobachten und alles vergessen, was davor passiert ist. Ich wäre nicht mal mehr alleine, weil ich nicht wüsste, dass es noch andere Affen gibt. Kein Gestern, kein Morgen. Nur dieser Traum.

Aufstehen Kind. Es ist halb sieben.“ Die Parole der Morgenrunde Vorhänge auf, das Fenster gekippt und ein Kuss auf meine Stirn. Ein Ritual und ich bin zurück vom Baum. Gott hatte an mich gedacht.

Enttäuscht ziehe ich den Zettel unter meinem Kopfkissen hervor, reiße mundgerechte Stücke ab, um sie einzeln in meinen Mund zu stecken, kaue so lange auf den Einzelteilen rum, bis ich imstande bin, ihn runter zu schlucken. Falte die Abschiedsbriefe an meine Familie viermal, lege sie behutsam in ihre Schachtel und verstaue sie in der hintersten Ecke meines Wandschranks. Gehe schweigend in die Küche. Alle vier sitzen am Tisch und reden wild durcheinander. Worum es geht, kann ich selten mit Gewissheit sagen. Vielleicht reden sie auch alle über unterschiedliche Themen. Obwohl ich noch stehe, kann ich ihre Köpfe riechen. Der unverwechselbare Muff der Schläfrigkeit dringt bis in meine Höhe. Eine ganze Nacht hatte sich ihr Haar in ihre Federkissen vergraben und diesen Kopfgeruch produziert. Ich wünschte, sie würden sich ihre Köpfe waschen, jeden Morgen. Mein Vater rückt meinen Stuhl ein Stück vom Tisch, schenkt mir Tee in meine Fliegenpilz-Teetasse und legt mir, wie jeden Morgen, meine Pillen daneben. Das Aroma der Tasse übertüncht den Kopfgeruch. Drei Schluck, dann die erste Pille, wieder drei Schluck und die zweite. Meine Mutter reicht mir den Brotkorb rüber und hält ihn mir so lange vors Gesicht, bis ich mir schweigend ein Scheibe nehme, reinbeiße und den Rest mit auf meinen Weg ins Bad nehme.

Kauend betrete ich die Dusche und lasse das warme Wasser über meine kalte Haut prasseln. Jeder Tropfen bringt mich ein Stück näher an diesen Tag. Es wird der erste Tag als Schülerin einer achten Klasse. Wie gerne wäre ich in meinem Traum geblieben. Wie gerne wäre ich dieser kleine Affe am unteren Ende des Baums. Ich würde in die unzähligen Äste starren, dem Rauschen der Blätter lauschen und mir eine Banane pflücken, wenn ich Lust dazu hätte. Doch ich bin wach und muss diesen Tag mit den Anderen teilen.

 

Jeder Regen ist wie ein kleiner Applaus

Zehn Jahre ist dieser Morgen her und ich sehe noch heute diesen Baum mit dem kleinen Affen, höre die Melodie des Baumes und kann jedes winzige PING der Tropfen hören. Es ist halb vier am Nachmittag. Ich blicke in das Grau des verregneten Novemberhimmels und denke über diesen Morgen vor zehn Jahren nach. Schiebe meine Erinnerungen hin und her. Rieche an meinen Haaren. Schließe die Augen, um mich auf meine Erinnerungen zu konzentrieren.

Nach einer ganzen Weile macht mich das unruhiger werdende Gemurmel meiner Mitstudenten wach und darauf aufmerksam, dass neunzig Minuten vorbei sind. Der kleine Professor steht vor seinem Laptop, projizierte neunzig Minuten Bilder an die Wand und berichtete aus Büchern. Ich vermute, er hasst seinen Job. Freude oder Hingabe fehlen. Er sieht winzig klein von hier oben aus, steht vor dieser nutzlosen Tafel und berichtet emotionslos über die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge der modernen Welt, verwendet Wörter, wie Spieltheorie und Makroökonomie. Er berichtet so abstrakt von all diesen Dingen, dass ich nicht umhin komme, mich zu fragen, ob er sich selber glaubt. Wie in all den anderen Fächern, die ich die letzten zwei Jahre ausprobiert habe, finde ich nichts in diesen Sälen, was mich daran glauben lässt, hier richtig zu sein. Die riesigen grauen Wände produzieren nur die Illusion der Konzentration. Das Tippen auf die Tastaturen der Laptops demonstriert Interesse. Interesse an die bloße Hoffnung, dass uns das Wissen, was wir hier erlangen sollen, zu einem Menschen macht, der was zu sagen hat. Doch die bloße Hoffnung ist mir zu wenig. Ich bin nach Halle an der Saale gekommen, um in den Gemäuern dieser Uni was zu suchen. Im Grunde bin ich aus meinem heimatlichen Dorf geflohen, um was zu finden. Doch außer der Erkenntnis, dass ich mich falsch fühle, habe ich bisher nichts gefunden. Jeden Tag in den vergangenen zwei Jahren tappte ich durch die Gemäuer dieser Uni, schlich durch mufflige Flure kleiner, schlecht renovierter Häuser, suchte nach Literaturlisten und kopierte Texte. Ich belauschte die anderen Studenten bei ihren Gesprächen über die Inhalte der unterschiedlichsten Fächer. Immer auf der Suche nach meinem Interesse, meiner Gier nach Erkenntnis, meine Drang nach Lernen und Folgen. Doch immer wieder sitze ich auf meinen Platz in der letzten Reihe und schaue den Regentropfen beim Fallen zu.

Die Vorlesung wird durch kurzes Klopfen auf die Holzklapptische geschlossen. Jeder erhebt sich von seinem Platz. Die Bänke klappen nach oben und erzeugen dieses müde Geräusch von Flucht. Ich schnappe mir meinen Block und schließe mich der schleichenden Masse an, eine Stufe nach der nächsten, hinab in Richtung Tür. Seit dem ersten Tag an der Uni setze ich mich immer in die letzte Reihe und beobachte, neben den Regentropfen, auch die vielen Hinterköpfe vor mir. Die meisten sehe ich sehr häufig, habe jedoch nie das Bedürfnis, mich mit dem Vorderkopf zu unterhalten. Den Köpfen und mir fehlen schlicht die Gemeinsamkeiten. Sie studieren und ich beobachte sie und starre auf ihre Hinterköpfe. Sie alle verfolgen beharrlich ihre Strategien, um sich Ziele zu stecken, manche wirken ganz zufrieden mit ihren Entscheidungen und der Rest lenkt sich großzügig ab. Sie tragen gedeckte Farben und Mützen in geschlossenen Räumen. Egal welche Jahreszeit ist, einer hat immer eine Mütze auf. Ihre Köpfe muffen. Sie waschen ihre Mützen nie und ihre Haare zu selten. Nach neunzig Minuten ist der komplette Saal in einen Teppich aus Kopfgeruch gehüllt. Unerträglich.

Seitdem ich denken kann, versuche ich zu begreifen, warum ich hier bin. An manchen Tagen, besonders heute, erscheint mir das Ganze als ein riesiger Irrtum. Ich bin zwar dabei, aber ich nehme trotz aller Bemühungen nicht teil. Dabei wünsche ich mir nichts mehr, als das Gefühl mitzuspielen. Mit meinem Blatt auf der Hand. Alles auf eine Karte setzen und zu spüren, was heißt, für eine Sache auf der Welt gemacht worden zu sein. Nichts zu erwarten, aber an den richtigen Stellen zu lachen. Doch alles, was ich bis hierher sehe, sind all die gescheiterten Versuche meiner Entscheidungen. Jeder Einsatz meiner Kräfte versiegt in Bedeutungslosigkeit und produziert den ewig gleichen Muff. Nach den Vorlesungen, zwischen Mittagessen in der Mensa und bevor ich ein neues Seminar besuche, drängt sich mir immer häufiger die Frage auf: Was ist, wenn es immer so bleibt? In meinem Magen breitet sich ein modriger Kloß aus und ich muss aufstoßen. So schmeckt Angst – Angst vor dem, was die Hinterköpfe als Zukunft bezeichnen.

Ich tappe weiter Richtung Ausgang. Meine Augen verfolgen einen Regentropfen auf der Fensterfront und die kleine Spur, die er hinter sich herzieht. Noch drei Stufen. Der Tropfen und ich kommen am Boden an und im selben Augenblick wird mir klar: Eine Kurzschlussreaktion muss her.

Geändertes Tagesziel: fristlose Exmatrikulation.

 

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