Finalshit
Abends muss der Hund noch mal vor die Tür. Zartbesaitete Gemüter nennen das Abendtoilette, bei uns heißt das Unterfangen schlicht „Finalshit“. Die Bedeutung der beiden Begriffe und ihrer Kombination setze ich als bekannt voraus.
In der Theorie ist der „Finalshit“ ganz easy. Man führt den Hund zum Grünstreifen seines Vertrauens, lässt ihn dort sein Geschäft verrichten und schlendert mit seinem um etwa 200 Gramm erleichterten Vierbeiner wieder zurück ins heimische Wohnzimmer.
In Wahrheit steht aber bereits die Planung des „Finalshits“ auf tönernen Füßen. Da man nie wissen kann, ob der letzte Spaziergang des Tages nun 30 Sekunden (passt in eine Werbepause) oder 30 Minuten (passt nicht in eine Werbepause) dauert, drohen die Fernsehzuschauer unter den Hundebesitzern bei komplexeren Filmstoffen stets den Anschluss zu verlieren, wenn sie in den Pausen vor die Tür gehen. Aus reiner Vorsicht empfehle ich daher seit Jahren Ben-Stiller-Filme. Da findet man eigentlich immer wieder hinein.
Nicht nur Hollywood macht einfach weiter, während man mit seinem Hund draußen ist. Auch der FC Hollywood wartet nicht auf beschäftigte Halter mit trödelnden Hunden. Ich habe da meine eigenen Erfahrungen gemacht: In einem Fall habe ich Fußballspieler mit einem 1:0 in die Halbzeitpause verabschiedet und sie erst beim Stand von 1:4 wiedergesehen. Auch die Zeitlupen waren bereits gelaufen. Ich zweifele an meinem Hund, wenn er für seinen Treffer so lange braucht wie andere für vier.
Fußballergebnisse sind nicht das Einzige, was sich im Verlaufe eines handelsüblichen „Finalshits“ ändern kann. Auch die Temperatur eines Feierabendbiers nimmt keine Rücksicht auf den auswärtigen Trinker und steigt dramatisch. Natürlich klingelt auch das Festnetztelefon nach monatelanger Funkstille genau in dem Moment, wenn man gerade außer Reichweite ist. Vor einem „Finalshit“ empfiehlt es sich daher, alle verbliebenen Abendtermine abzusagen.
Terminfreiheit ist allerdings noch lange keine Garantie für eine gelungene Aktion. Zwar wird der Eintritt des gewünschten Ereignisses immer wahrscheinlicher, je länger Hund und Herrchen auf der Straße sind, das gilt aber leider auch für viele ungewollte Ereignisse wie Hagel, die Begegnung mit einem unbeleuchteten Kampfradler oder den Auftritt des ungekämmten Nachbarshundes. Mancher soll schon den Jahreswechsel oder seinen Hochzeitstag über den „Finalshit“ verpasst haben. Wer nicht aufpasst und weder einen Müsliriegel noch eine kleine Wasserflasche mit sich führt, kann leicht in körperliche Nöte geraten. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, sind Hunger und Durst des Hundes doch überhaupt erst der Grund dafür, dass ein „Finalshit“ ansteht.
Trotzdem führt am „Finalshit“ kein Weg vorbei. Der Hund mag so tun, als müsste er nicht raus. Glauben Sie ihm kein Wort. Ihr Vierbeiner weiß schlicht, dass er am längeren Hebel sitzt. Wenn Sie abends nicht mit ihm rausgehen, wird er Sie eben nachts aus dem Bett treiben. Dann ist es etwas dringender und der „Finalshit“ dauert vermutlich nur 30 Sekunden. Die werden sich aber anfühlen wie 30 Minuten.
Leithengst
Neulich im Fernsehen. Der Sprecher einer Dokumentation über Mustangs in Nordamerika erzählt: „Auf der Anhöhe taucht ein junger Hengst auf. Er wird den bisherigen Leithengst über kurz oder lang zu einem blutigen Kampf herausfordern, aus dem nur einer als Sieger hervorgehen kann. Der Gewinner kann sich dann aus den Stuten der Herde seine Favoritinnen heraussuchen.“
Ich kann mir meinen Hund Moritz nicht als einen dieser Hengste vorstellen. Wie ich mich auch bemühe: Ich kann ihn mir immer nur als beide Hengste vorstellen – in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation. Wenn Moritz mit den beiden Hündinnen, die er als Angehörige seines Harems betrachtet, unterwegs ist, wird er sie gegen die Avancen von Nebenbuhlern verteidigen wie der alteingesessene Mustang. Es wird ihm gleichgültig sein, ob der Herausforderer größer, stärker, jünger oder schöner ist. Ohne einen anständigen Fight wird er seine Mädchen nicht hergeben. Trifft er aber selbst auf ein paar gut riechende Hündinnen, wird er den Besitzanspruch eines männlichen Begleiters mit schlagenden Argumenten zu hinterfragen wissen.
Herrchen und Frauchen beider Seiten müssen in solchen Fällen den blödsinnigsten Tipp seit Erfindung der Hunderatgeber in den Wind schlagen und dürfen ihre Vierbeiner den Zwist nicht untereinander klären lassen. Sonst gibt es hinterher vielleicht nur noch einen Vierbeiner oder einen Vierbeiner und einen Dreibeiner oder zwei Dreibeiner oder einen Einäugigen und einen Einohrigen – Sie wissen, was ich meine. Am besten ist es natürlich, wenn die zweibeinigen Rudelführer (Sie!) solche Aufeinandertreffen durch vorausschauende Leinenführung und umsichtige Streckenwahl von vorneherein verhindern.
Der Testosteronspiegel von Moritz liegt wie bei den meisten Rüden schon im Normalzustand über Normalnull. Explosionsgefahr tritt jedoch erst ein, wenn sich sein Testosteron mit dem Blut läufiger Hündinnen mischt.
Das passiert regelmäßig. Moritz erschnüffelt die Blutstropfen auf einem Blatt oder einem Grashalm, leckt daran und prompt kommt irgendwo in seinem Innern eine Kettenreaktion in Gang, die das Gehirn ausschaltet, den Paarungswillen aktiviert und die Schmerzgrenze erhöht. Für eine schöne Hündin zieht Moritz gerne in eine Rauferei. Ist kein anderer Rüde in der Nähe, wird die eingesparte Energie in eine Charmeoffensive investiert. Dann werden zum Beispiel die Ohren der Angebeteten ausgeleckt, was gar nicht so einfach ist, da Moritz immer darauf gefasst sein muss, dass die Hündin das gar nicht will. Wenn sie ihn wegbeißt, könnten wieder Ohren im Mittelpunkt stehen – diesmal aber die von Moritz und garantiert nicht mit dem Ziel einer liebevollen Reinigung.
Zum Glück haben es Mutter Natur, die Sesshaftwerdung der Menschheit und die damit verbundene Domestizierung des Wolfes so eingerichtet, dass eher selten ein kampfeslustiger Rüde auf einen vierbeinigen unangeleinten Rudelführer mit einem Haufen läufiger Hündinnen trifft. Oft klingen die „Kämpfe“ dann ohnehin schlimmer, als sie sind. TV-Dokumentationen über Mustangs können Sie sich also weiterhin beruhigt anschauen, ohne sie gleich für ein schlechtes Vorzeichen halten zu müssen.
Staubsaugertier
Hunde stellen sich bekanntermaßen gut mit uns Menschen. Wir sind ja auch die Krone der Schöpfung. In dieser Allianz mit der Spitze der Nahrungskette sind den Hunden nicht viele natürliche Feinde geblieben – von Katzen einmal abgesehen. Ein Tier jedoch erwehrt sich hartnäckig seiner Ausrottung und lebt auch noch in unmittelbarer Umgebung des Hundes. Man könnte sogar sagen, Hund und Todfeind leben unter einem Dach.
Die Rede ist vom gemeinen Staubsaugertier. Es ist in der Regel etwas kleiner als ein Hund, hat im Laufe der Evolution von Pfoten auf Rollen umgesattelt und weist einen minimalen Bewegungsdrang von nur rund zwanzig Minuten pro Woche auf. Dieses kurze Zeitfenster reicht dem Staubsaugertier völlig, um durch seinen langen Rüssel genug Nahrung für die kommende Woche aufzunehmen. Staubsaugertiere sind keine Aasfresser, sondern ernähren sich von Dreck. Biologen haben im Bauch toter Exemplare unverdauten Staub gefunden, als habe das Tier gar keinen Stoffwechsel. Wasser benötigen die Staubsaugertiere überhaupt nicht, was einzigartig auf der Welt sein dürfte und sogar die Raumforschung umwälzt: Was, wenn Leben auch auf wasserlosen Planeten möglich ist?
Biologen halten die Anpassungsfähigkeit und Anspruchslosigkeit der Staubsaugertiere für ihr Erfolgsrezept. Wie sich die Spezies fortpflanzt, ist indessen nicht bekannt. Forscher vermuten aber, dass jenes Geräusch, welches die Tiere bei der Nahrungsaufnahme von sich geben, auch ein Paarungsruf ist. Erhört wird der Ruf allerdings nur selten. Zwar werden die meisten Staubsaugertiere in Zweiergehegen gehalten. Dies erfolgt jedoch nicht gemeinsam mit einem Artgenossen des anderen Geschlechts, sondern mit einem Hund. Beide Spezies können keine Kreuzung zeugen, aber dass ein unkastrierter Rüde es nicht einmal probiert, will was heißen. Der Hass auf die Staubsaugertiere scheint genetisch tief verankert zu sein und es wird nicht mehr lange dauern, bis die Zwangswohngemeinschaften die Tierschützer auf den Plan rufen.
Was Hunde genau an ihren Mitbewohnern stört, wo doch auch eine friedliche Koexistenz möglich und von Seiten der pazifistischen Staubsaugertiere sicher auch erwünscht wäre, ist mir ein Rätsel. Im Falle von Moritz aber vermute ich, dass er dem ungeliebten Mitbewohner jede Sekunde an Aufmerksamkeit neidet und er noch dazu jegliche Lärmerzeugung von über siebzig Dezibel als seinen Kompetenzbereich definiert. Das ist Grund genug für eine Attacke. Als Schwachstelle der Staubsaugertiere hat Moritz ihren Rüssel ausgemacht. Dort beißt er mit Vorliebe hinein. Am heftigsten fällt sein Angriff aus, wenn sich das Staubsaugertier seinem Körbchen nähert. Diesen Platz macht Moritz keiner streitig.
Ich kenne Hunde, die gestehen den Staubsaugertieren zumindest körperliche Unversehrtheit zu und beschränken sich darauf, sich ihnen auf den wöchentlichen Streifzügen in den Weg zu legen. Schon das bringt das Tier in existenzielle Nöte, hat es doch nur diese kurze Phase für die Nahrungsaufnahme.
Der Kampf zwischen Hund und Staubsaugertier ist mit guten Worten kaum zu schlichten. Selbst der UNO-Generalsekretär auf Deutschlandbesuch wäre überfordert. Moritz hält es jedenfalls kaum auf seinem Plätzchen, während der Rivale durch die Wohnung streift, auch wenn er gerade eine eindeutige Anweisung („Auf dein Plätzchen!“) erhalten hat. Ich habe festgestellt, dass erst dann Ruhe einkehrt, wenn das Staubsaugertier seinen zehn Meter langen Schwanz einzieht und verstummt. Nachgeben war noch nie Moritz’ Stärke.
Wachhund
Bestechung ist ein großes Thema in der Wachhundebranche. Gewiefte Einbrecher versuchen wachsame Vierbeiner mit ein paar Scheiben Fleischwurst freundlich zu stimmen oder unter Beimischung weiterer Zutaten sogar zu betäuben. Es gibt Hunde, die nehmen einen Fremden mit Wurst in ihrem Revier zwar wahr, vergessen aber bald sowohl den Teil mit dem Fremden als auch jenen mit dem Revier und interessieren sich nur noch für die Wurst. Ist diese vertilgt, kann durchaus der Gedanke daran zurückkehren, dass der Wurstspender hier doch gar nicht hingehört, aber dann ist es meist zu spät. Der Vierbeiner muss erkennen, dass man ihn ausgetrickst hat und er sich in der Abstellkammer hinter einer verschlossenen Tür befindet. Draußen räumen die Kriminellen in aller Ruhe die Bude aus.
Moritz könnte das niemals passieren. Einbrecher mit Wurst bekommen bei ihm höchstens mildernde Umstände im Vergleich zu Dieben ohne Wurst. Dafür bekommen Einbrecher, deren Wurst verdächtig nach einer unbekömmlichen Beimischung riecht, eine extra harte Strafe. Auf einen Richterspruch würde Moritz dabei nicht warten. Was gibt es schon zu diskutieren, wenn man einen Einbrecher auf frischer Tat ertappt hat? Moritz’ Urteil läuft vermutlich auf Bisse in Hände und Beine hinaus, womit er sich erkennbar am Rechtssystem Saudi-Arabiens orientiert. Dort zielt die Bestrafung zum Beispiel eines Diebes durch Amputation der Hand schließlich auch auf das ausführende Körperteil ab.
Moritz ist die fleischgewordene Version einer stillen Alarmanlage mit eingebauter Plausibilitätsprüfung. Betritt eine Person die Wohnung, berücksichtigt er Uhrzeit, Art des Zutritts, Anzahl der bereits in der Wohnung befindlichen Menschen, Schrittmuster und Stimmfarbe. Sollte sich eine Person nachts Zutritt zur Wohnung verschaffen, in der bereits Herrchen und Frauchen schlafen, dabei keinen klimpernden Schlüssel benutzen, was vielleicht ein Verwandter in einer Notfallsituation tun würde, und seine ehrlichen Absichten nicht verbal kundtun, so ist er vermutlich als Wachhund gefordert. Mit einem letzten Kontrollblick um die Ecke stellt Moritz sicher, nicht aus Versehen einen Hundesitter, Hausfreund oder Gast in seine Schranken zu weisen und schreitet zur Tat.
Ich kenne Hunde, die differenzieren kaum zwischen Freund und Feind, Tag und Nacht oder Hausrecht und Einbruch: Sie bellen einfach immer, sobald sich eine Person dem Haus nähert. Dies hat sicher einen prophylaktischen Effekt. Wenn ich ein Einbrecher wäre, würde ich den Weg des geringsten Widerstands gehen und mir ein Ziel ohne Hund suchen.
Wenn man das jetzt noch versicherungsmathematisch unterfüttern könnte, müsste Hundebesitz zu einem Tarifierungsmerkmal werden und analog zur Garagennutzung in der Kaskoversicherung die Versicherungsprämie für die Hausratversicherung reduzieren.