Himmlische Aussichten

Titel

Linda Kohn

Himmlische Aussichten

Roman 195 Seiten

ISBN 978-3-942849-42-5 13,40 €

 

Was passiert eigentlich, wenn man aufwacht und feststellen muss, dass man genau genommen gar nicht mehr da ist? Nicht auf dieser Welt. Anna passiert genau das. Dabei hat sie immerhin das Glück, im Himmel auf-zuwachen. Doch auch da passieren merkwürdige Dinge und es regiert die Bürokratie. Was das mit Napoleon und einer sprechenden Katze zu tun hat?

Lesen Sie doch selbst.

 

Das ist “Himmlische Aussichten”

 

 
liesmich

 

Und hier noch ein kleiner Einblick in das Innere dieses Buches über einen Himmel, der doch sehr an das Irdische erinnert.

 

LESEPROBE:

 

 

Als ich wieder erwachte, fühlte ich mich unglaublich leicht, geradezu schwerelos. Verwirrt setzte ich mich auf. Um mich herum war alles grau. Kein Kies, kein Grashalm, nicht einmal Hundekot war zu sehen. Aber wenigstens regnete es auch nicht mehr.

Ich tastete den Untergrund ab, auf dem ich saß. Er fühlte sich weich an, wie Watte. Verwundert griff ich in die weiche Masse und riss ein Stück davon heraus. Als ich sie in meiner Hand betrachten wollte, zerfiel sie innerhalb weniger Sekunden und löste sich in Luft auf. Träumte ich? Ich versuchte aufzustehen. Es war nicht leicht, mein Gleichgewicht auf dieser weichen Masse zu halten. Meine Füße versanken sogar ein Stück darin. Als ich endlich aufrecht stand, sah ich mich um. Nichts als tristes Grau. Ich ging ein paar Schritte vorwärts. Es fühlte sich an, als ginge ich durch tiefen Schnee. Ich musste wohl träumen.

Plötzlich hörte ich etwas. Ich blieb stehen und lauschte. Es klang wie ein leises Brummen. Neugierig ging ich in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

Minuten vergingen. Ich stampfte eine gefühlte Ewigkeit durch diese weiche Masse. Das Brummen wurde langsam deutlicher. Es klang nun wie leises Stimmengewirr. Verwundert ging ich weiter. Gab es in dieser grauen Welt tatsächlich noch andere Menschen als mich?

Ich ging so schnell, wie es die Masse zuließ. Schnaufend setzte ich einen Schritt vor den anderen. Allmählich strengte dieses Voranstapfen ganz schön an. Doch ich kam den Stimmen hörbar näher. Aber ich war noch zu weit von ihnen entfernt, als dass ich etwas hätte verstehen können. Ich stapfte und stapfte, setzte einen Schritt vor den anderen. Da sah ich in dieser eintönig grauen Umgebung etwas aufblitzen. Neugierig ging ich darauf zu. Nach einiger Zeit stand ich vor einer grauen Wand. Ich fuhr mit der Handfläche darüber und stellte fest, dass die Wand aus derselben grauen weichen Masse bestand, die hier überall zu finden war.

Himmel, bin ich hier in so einer Art Gummizelle gelandet, oder was?“, murrte ich verwirrt.

Wo war ich nur? Mein Blick glitt über die Wand vor mir. Was hatte ich da vorhin aufblitzen gesehen?

Ich blickte nach links. Nur graue weiche Watte.

Ich blickte nach rechts. Ebenso nur graue Masse.

Verwundert kratze ich mich am Kopf. Dann ging ich ein Stück rechts an der Wand entlang.

Vielleicht finde ich ja doch noch etwas“, murmelte ich vor mich hin. „Das ist aber wohl auch der dümmste Traum, den ich je gehabt habe.“

Auf einmal vernahm ich aus dem Augenwinkel ein schwaches Glitzern. Mein Blick glitt an der Wand entlang zu diesem glänzenden Etwas. Als ich davor stand, erkannte ich ein kleines silberfarbenes Plättchen an der Wand, auf dem ein runder Knopf angebracht war.

Ist es das, was ich denke, dass es ist?“, fragte ich mich verwundert.

Zögernd zog ich eine Augenbraue hoch, dann drückte vorsichtig mit dem Zeigefinger auf den Knopf. Sofort hallte ein ohrenbetäubender Lärm durch die graue Welt. Mir war, als stünde ich im Glockenturm einer großen Kirche direkt neben einer großen lauten eisernen Glockenfamilie, die gerade so richtig in Fahrt war. Ich presste meine Hände auf die Ohren und schloss die Augen.

Wie zum Teufel krieg ich das wieder aus?“, schrie ich verzweifelt.

Da verstummte der Lärm auch schon wieder. Vorsichtig senkte ich die Hände und blickte mich verwirrt um. Nichts geschah.

Toll“, murmelte ich genervt und schnaubte. „Komische Klingel. Viel Lärm um nichts!“

Gerade wollte ich an der grauen Wand entlang weitergehen, da spürte ich einen leichten Luftzug. Ich blickte zur Wand und sah, wie sich langsam ein kleiner Spalt in dieser grauen Masse auftat. Neugierig versuchte ich einen Blick durch den Spalt zu werfen, doch noch war dieser zu klein, als dass ich etwas von der anderen Seite hätte erkennen können.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis der kleine Spalt größer wurde, sodass ich hindurchschauen konnte. Das Gemurmel wurde lauter und ich sah einen Menschen auf der anderen Seite vorbeihuschen.

He, hallo!“, rief ich, froh, endlich einen anderen Menschen zu sehen. Doch er ging vorüber, ohne Notiz von mir zu nehmen. Viel von ihm erkennen konnte ich nicht, denn er war in einen großen dunkelbraunen Umhang gehüllt und eine Kapuze verdeckte sein Haupt. Ich wusste nicht einmal, ob es eine Frau oder ein Mann gewesen war.

Der Spalt vergrößerte sich wie in Zeitlupe. Schließlich gelang es mir, mich durch die weiche Masse hindurchzudrücken. Da stand ich nun, in einem weiteren Raum, umgeben von jener seltsamen grauen Masse. Genervt sah ich mich um und ging resigniert in dieselbe Richtung, in die der Mensch vorher verschwunden war.

Also so ein blöder Traum“, schnaubte ich und lief den Raum entlang. „Ich muss wohl zu viel Wein getrunken haben. Oder den Falschen. Jedenfalls hab ich ihn nicht vertragen. So einen Blödsinn habe ich ja noch nie zusammengeträumt.“

Während ich so vor mich hinmeckerte, bemerkte ich, dass die Stimmen lauter wurden und ich konnte sogar einige Wortfetzen verstehen.

Mon Dieu! Wenn isch das gewusst ´ätte!“, hörte ich eine aufgebrachte Männerstimme rufen.

Der französische Akzent ließ die Worte sehr scharf klingen.

Es tut mir sehr leid, aber ich muss mich an die Vorschriften halten und die besagen nun einmal …“, versuchte die zitternde Stimme eines offenbar älteren Herrn leise, den anderen Mann zu beruhigen.

Doch leider hatte er keinen Erfolg.

Papperlapapp! Vorschriften ´in oder ´er, isch dulde es nischt, dass man so mit mir umgeht. Isch werde misch über Sie beschweren!“

Ich war nun ganz nahe bei den beiden Menschen, denn ich konnte ihre Stimmen so deutlich hören, wie wenn ich neben ihnen stünde. Aber ich konnte niemanden sehen. Vor einer weiteren Wand aus jener grauen Masse hielt ich an und lauschte. Die Stimmen kamen aus der Wand.

Blödsinn!“, schimpfte ich mich selbst.

Die Stimmen kamen selbstverständlich nicht aus der Wand. Schließlich war diese Wand nur weich und grau, aber sprechen konnte sie sicherlich nicht. Nein, die Stimmen mussten aus einem Raum hinter der Wand kommen. Aber wie kam man dorthin? Ich tastete die Wand mit den Handflächen ab. Vielleicht gab es dort irgendwo einen Knopf oder nochmal eine Klingel. Ich war zwar nicht wirklich begeistert davon, mir noch einmal diesen ohrenbetäubenden Lärm anhören zu müssen, aber ich wollte wissen, wer die beiden Menschen auf der anderen Seite dieser Wand waren.

Da entdeckte ich in der Tat ein kleines silbernes Schildchen. Ich musste mit dem Gesicht recht nahe an das Schild herangehen, denn darauf stand etwas geschrieben. Ich konnte die Konturen einer Wolke erkennen, die mich sehr an eine Clipart-Wolke erinnerte. Dahinter stand Folgendes: Auskunft, Büro für ZEAF und ZWF. Ich verstand nur Bahnhof. Jetzt wusste ich zwar, dass sich hinter der Wand ein Büro für irgendetwas befand, aber wie ich dort hinein käme, war mir nach wie vor ein Rätsel.

Plötzlich ging ein Zittern durch die Masse und sie öffnete sich mit einem Ruck. Erschrocken wich ich nach hinten und fiel hin. Heraus trat ein sehr kleiner Mann in Militärkleidung mit einem dreieckigen Hut auf dem Kopf. Er trug seltsam hohe Schuhe, die ihm das Gehen auf der weichen Masse sichtlich erschwerten.

Als er mich sah, lächelte er und sagte charmant: „´allo Madame. Was machen Sie denn da auf dem Boden? Kommen Sie, isch ´elfe Ihnen auf.“

Er streckte mir seine kleine Hand entgegen. Bereitwillig ergriff ich sie. Seine Hand verschwand fast gänzlich in meiner Handfläche, so klein war sie. Nun wusste ich endlich, wie sich Alex immer gefühlt haben musste, wenn er meine Hand genommen hatte.

Der Mann zog mich hoch. Er hatte zwar etwas Mühe dabei, doch er versuchte es zu überspielen, indem er lässig lachte. Als ich vor ihm stand, bemerkte ich, wie klein er wirklich war, denn er reichte mir gerade bis zur Brust.

Irgendwie erinnert der mich an jemanden, dachte ich und runzelte die Stirn.

Vielen Dank, Herr …?“, bedankte ich mich und sah den Mann auffordernd an.

Oh, wo sind nur meine Manieren!“, rief er mit gespieltem Entsetzen. Er nahm galant seinen Hut ab und verbeugte sich vor mir. „Isch bin Napoleon Bonaparte. Sischer ´aben Sie schon von mir ge´ört.“

 

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