Willkommen bei unserer neuesten Idee, einem kostenlosen Buch, dessen Teile ihr zu einem Ganzen zusammenfügen könnt.
Wahrscheinlich bist du ganz zufällig hier gelandet, oder doch nicht? Oder du bist an der falschen Stelle oder was auch immer.
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Für alle die nicht mehr suchen möchten
kommt nicht infrage. Vielleicht sollte ich jetzt aus moralischen Gründen böse werden? Liegt der Fehler etwa bei mir, habe ich sie zu wenig deutlich begrüßt? Wahrscheinlich, ich selber bin der Arsch´, denkt er.
Nach rund fünf Minuten kommt sie doch noch runter. Sie entschuldigt sich kurz. Dies ist die Gegenleistung für zehn Euros auf der Hotelrechnung, die ihm völlig überflüssig vorkommen.
´Jetzt bloß kein Aufsehen hier, wegen dem bisschen Verspätung, die Schuld liegt ja eh bei mir´, denkt er.
„Ca ne fait rien“, entgegnet er.
´Aber jetzt bring mir endlich das scheiß Brot, und dann verzieh dich wieder in die Küche´, denkt er.
Sie bringt ihm mit einem Lächeln genau das, was er will, Essen.
Wieder mal hat er eine zwischenmenschliche Interaktion gekonnt gemeistert. Sie zieht keine Knarre und schießt ihm nicht dreimal in den Kopf, sie gibt ihm auch keine Ohrfeige oder fickt ihn blöde an. Sie macht einfach nur, was er will, ohne dabei viele Worte zu verlieren. Er muss ein kommunikatives Genie sein.
Schnell würgt er das Morgenessen hinunter und geht zurück auf sein Zimmer, bevor andere Gäste auftauchen.
Nach zwei Stunden Getippe auf seinem Zimmer, geht er zu Fuß über die Rue R. Germain Pilon in die Sexshowmeile Boulevard de Clichy. Hier reihen sich Sexshops an Peepshows und Nachtklubs, mit dem Höhepunkt der Touristenabzocke, dem Moulin Rouge. Dazwischen stehen einige brauchbare Pubs und Bars rum. Alle zehn Meter wollen einem abgefuckte, sehr aufdringliche Türsteher in eine der billigen Peepshows locken. Er weicht auf den Fußgängerboulevard in der Straßenmitte aus. Der Boulevard ist mit Bäumen und weiterem Grünzeugs bepflanzt, mit vielen Parkbänken ausgestattet, ideal zum Joggen. Von hier aus kann man das rote Lichter-Spektakel aus der Distanz beobachten, ohne von aufdringlichen Leuten angesprochen zu werden.
Diese roten Lichter könnte man auch als Weihnachtsbeleuchtung verwenden. Es müssten nur die Schriftzüge Theatre erotique, Peep Show oder Sexodrom in Happy X-mas sowie einige Titten- gegen Nikolausbilder ausgetauscht werden.
Die ganze Straße ist nur eine Fassade. Hier wird nicht großartig rumgevögelt, geblasen und geleckt, die Touristen werden nur angelockt und abgezockt. Das ist nicht mal die Erektion in der Hose wert. Nutten hat es hier kaum, höchstens in einigen Nebengassen stehen ein paar Junkies für einen Quicky bereit.
Durch einen roten Vorhang betritt er einen billigen Sexshop. Ein paar Typen schauen sich im Laden um. Einer redet mit dem Kassierer rechts vom Eingang. Auf Tischen und Wandregalen sind DVDs und Videos ausgebreitet. Sie sind gegliedert nach Sex zwischen Mann und Frau, Gruppensex, Gays, Lesben, Transen, Sex mit Tieren, Sadomaso, Hardcore etc.. Das Einzige, was ihn interessiert, ist zwischen Mann und Frau, Gruppensex und Lesben, nichts Ausgefallenes also.
Er nähert sich gerade dem Regal mit den Lesben, da stößt er beim Vorbeigehen ein Video von der Tischkante. Das scheppert ganz schön. Auf dem Cover der Videokassette lutscht gerade eine Blondine mit aufgeblasenen Titten einen überdimensionalen schwarzen Schwanz zu ihrer Rechten, ein weiterer Mann fickt sie von hinten ins Arsch, ein Dritter stößt sie von vorne.
Alle Typen im Laden drehen sich zu ihm hin. Etwas verlegen hebt er die Kassette auf und legt sie zurück auf den Tisch. Sein Plan steht fest, unauffällig raus aus dem Saftladen, die Lust ist ihm definitiv vergangen.
Langsam schlendert er Richtung Ausgang und schaut beiläufig ein paar Videokassetten an. Er möchte seinen peinlichen Auftritt so unauffällig wie möglich beenden. Er schiebt den roten Vorhang beiseite und schlüpft auf den Gehweg hinaus.
´Geschafft, wieder in Freiheit auf der anonymen Straße!´, denkt er.
Um den nervigen Türstehern auszuweichen, wechselt er gleich auf die Boulevardmitte und geht weiter zur Station Blanche, direkt gegenüber vom Moulin Rouge.
Sein Ziel ist die Station Marcadet Poissonniers im Norden. Dazu nimmt er die 2 bis zur Station Barbès Rochechouart und steigt danach auf die 4 um.
Die Métro ist ziemlich voll, es kommt jedoch noch nicht zu Körperkontakt. Eine Oma scheint wahllos Leute voll zu plappern, auf Englisch, mit Small Talk vom Feinsten. Der Redefluss gilt einer Frau Mitte vierzig mit langen schwarzen Haaren, die etwas verträumt nickt, aber mehr an der Aluminiumstange vor sich als am Geplapper der Alten interessiert ist. Mitten im Satz wechselt sie auf die andere Seite vom Abteil, da begutachtet sie eine weitere Aluminiumstange. Die Omi, keineswegs entmutigt, findet sofort ein neues Opfer. Ein rund 14-jähriges Mädchen auf dem Nachbarsitz wird voll geplappert. Die Frau auf der anderen Abteilseite nickt trotzdem weiter, wahrscheinlich bereits ein unbewusster Akt.
Die Alte hat vermutlich die Frau und die Frau das Mädchen produziert, zur Erhaltung des Erbgutes. Jedenfalls steigen sie alle gemeinsam an der nächsten Haltestelle aus.
Die Métro unterquert den für ihn traurigsten und ärmsten Teil von Paris, Château Rouge, das Afrikanerviertel. Hier stehen tagsüber viele arbeitslose Schwarze auf den Straßen herum und man wundert sich, wie sie bloß alle in den umliegenden Häusern Platz finden.
Er fährt noch eine Station weiter und verlässt die Métro bei Marcadet Poissonniers. Jemand vom letzten Sprachurlaub in Martinique hat Konversation mit ihm betrieben und ihm das l’Olympique Café, 20 Rue Léon empfohlen, in südöstlicher Richtung gelegen. Die Straße ist trist, mit ein paar vereinzelten Bäumen. Links und rechts stehen Autos und viel Müll auf den Trottoirs rum. Die Straße wird immer belebter, je südlicher man läuft. Viele Schwarze stehen oder laufen in der Gegend rum.
Auf der linken Seite taucht das l’Olympique Café auf. Etwas unsicher geht er hinein.
Nach dem tristen Äußeren ist er über das geräumige Innere überrascht. Eine etwa zehn Meter lange leicht gebogene Bar steht ihm beim Eintreten halbfrontal gegenüber. Etwas weiter hinten zur Rechten macht der Raum einen 90-Grad-Knick, wo schwatzende Leute an Tischen sitzen. Weitere Leute stehen an der Bar. Die Möbel und die Bar sind alle aus demselben dunklen Holz gefertigt. Vor der Bar und links davon stehen weitere Stühle und Tische rum. Einer dient als Flyerablage. Den laufenden Sound kennt er nicht, irgendwelche Worldmusik.
Er bestellt ein Bier. Der Typ hinter der Bar gibt sich Mühe, freundlich zu sein. Er hat etwas Angst davor, dass ihn hier jemand anspricht oder gar kennten könnte. Er wäre momentan der Konfrontation mit der Frage, ob er denn alleine hier sei, nicht gewachsen. Er fühlt sich verletzlich, sein Selbstvertrauen ist momentan sehr niedrig. Er täuscht vor, die Flyer auf dem Holztisch zu studieren. Das findet er aber auch peinlich. Er muss auf die anderen Leute wie ein verlorener Loser wirken. Also verdrückt er sich möglichst weit in die Ecke links von der Bar und setzt sich an einen Tisch.
Die Gäste sind sehr durchmischt, zwischen 20 und 50 Jahre alt. Das Bier schmeckt wie Bier. Beim Trinken erinnert er sich, dass er Lagerbier nicht wirklich gerne hat. Rein aus Gewohnheit und Bequemlichkeit bestellt er Bier. Etwas anderes ist zu kompliziert. Man muss unangenehme Fragen stellen, ob sie auch Bacardi Cola, Cuba Libre oder Gin Tonic haben, und falls nicht, dann liegt der Ball wieder bei einem selbst und man muss unter Zeitdruck etwas anderes auswählen und von Neuem kommunizieren. Das sind anspruchsvolle Abläufe für seinen Stresshormonhaushalt. Wein wäre auch in Ordnung, aber das bedürfte noch mehr Detailfragen. Welche Weine, in welchen Mengen, blablabla. Bier hat jeder und man kann einfach nur bestellen: „Une bière, s’il vous plait.“
Dann muss man nur noch ein paar Euros hinstrecken und schon kann man sich wieder in die sichere Anonymität zurückziehen. Bei etwas höherem Selbstvertrauenspegel kommt es manchmal vor, dass er etwas bestellt, was er gerne trinkt.
Sein Bier ist halb voll, immer noch. Eigentlich fühlt er sich überhaupt nicht wohl, aber dem mit ihm kommunizierenden Menschen in Martinique zuliebe, will er sich noch etwas länger mit der Bar auseinandersetzen. Der Mensch war ihm recht sympathisch und er vermutet, dass sie beide eine ähnliche Denkweise haben. Beide waren sie in psychologischer Betreuung, fanden keinen wirklichen Sinn im Leben und lasen die gleichen für viele Bürger eher komischen Bücher. Wieso sollten sie also nicht auch dasselbe Café mögen?
Er nimmt den letzten Schluck und wirft einen Blick zum Typen hinter der Bar. Er ist gerade beschäftigt, also kann er das Café unauffällig verlassen, ohne plötzlich ein lautes: „Au revoir!“, im Nacken zu befürchten. Und tatsächlich, er schafft es, unbemerkt auf die Straße zu entkommen.
Draußen bewegt er sich weiter südlich der Rue Léon entlang. Es stehen zunehmend mehr Schwarze auf den Straßen, in zunehmend größeren Gruppen. Er trifft auf einen kleinen grünen Park, mit rund 50 Leuten drin. Da kommt er nicht unbeschadet durch. Irgendwie hat er nicht die richtige Hautfarbe für dieses Gebiet. Es wird im zunehmend unbehaglicher. Er dreht um und geht die Straße wieder Richtung Norden. Dabei fällt sein Blick auf ein Straßenschild mit dem Namen Myrha.
Verdammt, das ist die Junkistrasse hier. Vor der ist er gewarnt worden, es sei die gefährlichste Straße von ganz Paris. Feige Zweier-, Dreier- oder Vierergruppen kommen ihm entgegen. Sein Körper stößt fleißig Adrenalin aus und sein Herz schlägt heftiger. Auch sein Schritt wird schneller. Sein letztes bisschen Verstand hält ihn davon ab, vor Panik loszurennen. Verdammt, er will einfach nur weg hier!
Das Gymnasium mit 300 Schülern, zählte etwa gleich viele Leute wie unser gesamtes Dorf. Wir waren zusammengemischt aus rund 15 umliegenden Gemeinden. Die Schüler unseres Jahrgangs wurden auf drei Haufen aufgeteilt, wir waren 24 Schüler in einer Klasse. Somit genügend, um sich in der Gruppe zu verstecken, und um Angst zu haben, genau dafür entlarvt zu werden. Die ganze Situation lag völlig jenseits meines Selbstvertrauenszustandes. Was mache ich eigentlich hier? Ich bin doch hundert Mal zu blöde für diese Schule.
Meine Minderwertigkeit zeichnete sich bereits auf dem Schulweg ab. Ich bestritt ihn mit dem Fahrrad, später mit dem Mofa und im Winter mit dem Bus. Von Zeit zu Zeit überholte ich ein paar Mädels von unserer Klasse. Ich habe mich nie getraut, sie zu grüßen. Ich habe immer die Straßenseite gewechselt oder bin absichtlich langsamer gefahren. Wieso? Wahrscheinlich aus Angst, mit ihnen kommunizieren zu müssen, wobei ich mich natürlich maßlos