Willkommen bei unserer neuesten Idee, einem kostenlosen Buch, dessen Teile ihr zu einem Ganzen zusammenfügen könnt.
Wahrscheinlich bist du ganz zufällig hier gelandet, oder doch nicht? Oder du bist an der falschen Stelle oder was auch immer.
Lies einfach! Für Fragen bitte einfach den oben stehenden Banner anklicken, denn du befindest dich ja in einem Internetbuch.
Für alle die nicht mehr suchen möchten
so, wie es ist. Man kann nicht viel daran ändern. Das Leben hat kein Happy End.
Er hat sich inzwischen dem Grand Arche zugewendet.
Wie jede Unterhose weiß, liegen die Pyramide vom Louvre, der Arc de Triomphe und der Grand Arche in La Défense auf einer Achse.
Beim Besteigen der riesen Marmortreppe zum Bogen fühlt er sich wie Rocky bei seinem Training auf der Treppe vor dem Philadelphia Museum of Art. Einige Touristen haben die gleiche Idee.
´Von hier oben wird einem das einerseits Topmoderne und Fortschrittliche, aber anderseits Beklemmende, Trostlose und Einsame dieses Ortes bewusst. Alles ist zu weitläufig. Es kann nie so etwas wie Atmosphäre aufkommen, auch wenn tausend Menschen rumstehen. Die paar hundert Touristen sehen auf dem großen Platz zwischen den Hochhäusern wie verirrte Ameisen aus. Das ist eine karge, moderne Betonwüste.
Als Tourist kommt man hier her, staunt, und geht mit einem etwas beklemmenden Gefühl wieder. Was soll das Ganze hier überhaupt? Die Touristen auf dem Platz haben keine Bedeutung, sind karge kleine Punkte, räumlich total voneinander isoliert. Hunderte von Menschen, aber die räumliche Distanz zu groß um zu interagieren. Genauso gut könnte man La Défense in die Wüste verfrachten.
Der Lift auf den Grand Arche ist um diese Zeit noch geschlossen. Die paar hundert Touristen sind nicht rentabel genug. Schade, vom Dach des Grand Arche könnte man die ganze Achse über den Arc de Triomphe, die Avenue des Champs Elysées und den rund sieben Kilometer entfernten Louvre überblicken´, denkt er.
Er nimmt als Alternative auf der großen Treppe vor dem Grand Arche Platz und überblickt die Achse von hier aus.
Zumindest einmal wurde ich Zeuge einer Zärtlichkeit im Beisein meiner Eltern. Es war am siebzigsten Geburtstag meines Vaters und die ganze Familie wurde von ihm zum gemeinsamen Essen in ein Restaurant eingeladen. Meine Eltern saßen nebeneinander und es ging darum, die Rechnung zu begleichen. Die Serviertochter trat in den Saal, woraufhin mein Vater um die Rechnung bat. Die Serviertochter legt ihm als Zeichen, dass sie verstanden hat, zärtlich eine Hand auf die Schulter. Ich und meine ältere Schwester sahen uns an und mussten lachen. Die Mutter neben mir schüttelte nur neidisch den Kopf. Ich weiß nicht genau, wieso meine Schwester lachte, vermutlich, weil sie die Geste der Serviertochter etwas übertrieben fand. Ich lachte hingegen, weil ich die Situation tragisch-komisch fand, da diese Geste zwischen der Serviertochter und meinem Vater jegliche Zärtlichkeit übertraf, die sich je zwischen meinen Eltern öffentlich abgespielt hat.
Genau so komisch war die Rede meines Vaters, die mit den Worten begann: „Sehr geehrte Anwesende…“
´Was? Wir sind doch deine Kinder, schon vergessen? Irgendwie kennen wir uns überhaupt nicht in unserer Familie. Und ist eigentlich schon jemand hier aufgefallen, dass keines der Kinder neben dem Vater sitzen wollte, sondern nur Schwager?
Die zehnjährigen Enkelkinder gegenüber nehmen mich auch nicht wirklich ernst und machen die ganze Zeit blöde Witze über mich. Mir solls egal sein, Hauptsache sie langweilen sich nicht, steigen nicht auf harte Drogen um und schneiden sich nicht die Pulsadern auf´, dachte ich.
Ein Junkie läuft an ihm vorbei und schnurgerade über den Platz. Er hat bestimmt seit zwei Wochen nicht mehr geduscht, die Haare überlappen seine Augen. Der ist völlig unten. Er hat kein Bedenken, dass er von ihm angesprochen wird, der nimmt ihn nicht mal wahr. Er versteht vermutlich nicht mal mehr, wie er zu Nahrung oder zum nächsten Schuss kommt. Verdammt erstaunlich, dass er sich noch auf den Beinen halten kann und den Kurs hält. Eine Fernsteuerung scheint ihn Richtung Métrostation zu lenken.
Sofort nimmt er die Verfolgung auf. Es ist für ihn unvorstellbar, wie es mit dem Junkie je wieder aufwärts gehen sollte, was genau ihn da in die Métrostation lockt, oder wo er sich runterstürzen wird. Vermutlich haben die Drogen bereits sein Hirn beschädigt.
Über die Treppe gelangt er wieder in die James Bond Zentrale.
Der Junkie, rund fünfzehn Meter vor ihm, läuft unbemerkt an den Gendarmen vorbei. Das Vorbeischleichen war vermutlich nicht mal geplant von ihm, denn es kann ausgeschlossen werden, dass er sie wahrgenommen hat.
Scheinbar will er in die Métro. Doch der Junkie scheitert an der Billettschranke. Wie ein Lemming rammt er dagegen und versucht immer wieder vergebens durch die Schranke zu laufen.
´Nein, dem geht es nicht besonders´, denkt er.
SEINE-RUNDFAHRT
Er steht in der Métro 1 auf dem Weg zurück ins Zentrum von Paris. Sie ist nur zu einem Drittel besetzt und besteht aus einem einzelnen langen Abteil. Wenn sie auf einer Geraden fährt, sieht er rund 80 Meter in eine und 30 Meter in die andere Richtung. Bei jeder Beschleunigung der Métro weht ihm eine leichte Biese ins Gesicht.
´Das hat durchaus seine Vorteile. Der Gestank der oftmals billig süßlichen Parfüme der Pariserinnen zieht vorüber, ohne einen länger zu belästigen´, denkt er.
Nach einigen Stationen erreicht er Charles-De-Gaulles Etoile wo er die Métro wechseln muss. Perfektes Timing, die 6 ist gerade startklar als er das Perron erreicht. Er steigt jedoch nicht ein, da er von irgendwo die Musik von Carmen hört. Er kann zwar in etwa die Richtung ausmachen, aus der die Musik kommt, sieht aber niemanden in der Menschenmenge. Erst als er ein paar Schritte näher geht, entdeckt er einen sitzenden, älteren Straßenmusiker der Panflöte spielt, begleitet von einem Tonband. Er ist nicht untalentiert und hat ein gutes Musikgehör. Etwas überraschend ist daher, dass er in der Hitze des Gefechts einige Töne auslässt.
´Wohl sehr unkonzentriert heute, Opa! Du kriegst keine Kohle´, denkt er.
Er nimmt die nächste 6 Richtung Nation. Die Sitze sind in einem hellen Froschgrün eingefärbt. Die Farben in der Métro sind allgemein komisch, mit rosaroten, hellgrünen, gelben oder gar violetten Sitzen.
Beim Trocadero verlässt er die Untergrundstation beim Friedhof, der ihm bis anhin völlig unbekannt war. Ein Plan in der Métrostation hat ihn darauf aufmerksam gemacht, auf seiner eigenen Karte ist tatsächlich nichts zu sehen. Als er davor steht, verdecken ihm jedoch mehrere Meter hohe Mauern die Sicht. Da er bereits von Friedhofbesuchen gesättigt ist, sucht er nicht lange nach dem Eingang, sondern geht zu Fuß weiter die Avenue du Président Wilson hinunter.
Nach ein- bis zweihundert Metern muss er seine Karte zu Hilfe nehmen.
´Hier in Paris ist die Gefahr relativ klein, von Passanten Hilfe angeboten zu bekommen. In anderen Städten wie London haben viele das Gefühl, sie machen einem eine Freude mit der bescheuerten Frage: ´Are you lost?´
Die Pariser sind zu arrogant dazu.
Ich verlasse mich lieber auf meinen eigenen Orientierungssinn, was auch ein wichtiger Bestandteil meines Urlaubs ist. Ich möchte am Ende eines Aufenthalts mich einigermaßen in der neuen Umgebung orientieren können´, denkt er.
Die Karte sagt ihm, dass er bald rechts die Treppe hinunter gehen muss. Sie führt in eine Nebenstraße, welche nach ein paar hübschen Hintergärtchen zur Passarelle Debilly ausläuft.
Von der Passarelle hat man einen passablen Blick über einige Glasboote auf der Seine bis hin zum Eiffelturm.
Das gibt ihm etwas Zeit. Zeit um einige negative Erinnerungen ins Bewusstsein zu rufen, um sie hoffentlich bald vergessen zu können. Eine dieser Erinnerungen, die mehrere Jahre schmerzen. Sie gehören quasi zur Grundausstattung der Psyche, fördern depressive Phasen und hemmen über Jahre die maximal erreichbare Lebensqualität, wie ein kaputtes Knie die minimale Zeit bei einem Schnelllauf limitiert. Dies sind Situationen, wo er unmoralisch gehandelt hat und er Jahre später noch ein schlechtes Gewissen davon trägt. Oder Situationen, in denen er sich völlig unter seinem Wert verkauft hat und sich grenzenlos über sich selber ärgert. Man fühlt sie immer, bewusst oder unbewusst. Eine solche Situation hat sich vor einem Jahr abgespielt.
Die Doktorprüfung stand bevor. Im Raum waren rund 20 meiner Arbeitskollegen, ein paar Freunde und das Prüfungsgremium versammelt. Ich war wie immer akribisch auf den einleitenden Vortrag vorbereitet und hatte ihn über zehnmal durchgesprochen, als Hauptprobe auch vor einigen Arbeitskollegen. Ich konnte mit einem gesunden Selbstvertrauen an die Prüfung, da ich wusste, dass der Vortrag gut laufen würde. Ich konnte mit Charme vortragen, mich dem Publikum öffnen. Und tatsächlich, mein Vortrag lief gut. Mein zerbrechliches Selbstvertrauen festigte sich ein wenig. Der Vortrag war exakt nach den vorgegebenen zwanzig Minuten zu Ende, nun wird man mich eine halbe Stunde mit Fragen durchlöchern. Ich nahm einen Schluck Wasser aus einem Becher. Meine Hand zitterte leicht.
Der Prüfungsvorsitzende erteilte das Wort als erstes an meinen Leiter.
´Nein, er wird mir keine schwierige Frage stellen, schließlich will er auch, dass ich gut abschneide´, dachte ich.
Die erste Frage konnte ich einigermaßen beantworten, die zweite recht professionell. Ich musste dazu aber leider eine Behauptung aufstellen, von der ich nur zu 90 Prozent überzeugt war. Man weiß gewisse Sachen aus Erfahrung, hat aber ihre Begründung vergessen oder wo man es aufgeschnappt hat. So eine Behauptung musste ich aufstellen, von der ich zwar ziemlich überzeugt war, aber man kann sich schließlich immer täuschen. Mein Leiter bestärkte meine Behauptung mit einem Nicken und dem Wort: „Ja.“
Der Prüfungsvorsteher gab das Wort weiter an den externen Experten.
´Verdammt, wieso an den, zuerst wäre doch der Betreuer an der Reihe, mit weiteren 08.15 Fragen´, dachte ich.
Der externe Experte fing mit einem Statement an: „Ich bin etwas enttäuscht!“
´Was sagt er da, enttäuscht, von meinem Vortrag? Normal bekomme ich immer Komplimente nach einem Vortrag, war er heute nicht gut?´, dachte ich.
Er hätte ein Video erwartet. Ein Wulst aus tausend Gedanken ging mir durch den Kopf.
´Ja, ein Video. Meint er das ernst oder was will er mir damit sagen? Ist das mit einem Augenzwinkern zu verstehen oder will er, dass ich nicht so selbstsicher grinse? Muss ich jetzt irgendwas antworten?´, dachte ich.
Ich brachte einen halben Satz über die Lippen, dass so ein Versuch sehr schnell abläuft und man daher auf dem Video praktisch gar nichts erkennt. Er gab mir das Gefühl ihn unterbrochen zu haben und ignorierte meinen Erklärungsansatz. Also wollte er doch keine Antwort?
Er redete munter weiter und widersprach nun meiner Behauptung von vorher.
„Das können Sie aber nicht so sagen! Da und da war das doch anders, und Sie müssen sich mal mit einem Mechanikprofessor darüber unterhalten und nicht einfach so was behaupten …“
Ein großer Moralfinger zeigte auf mich, ein riesen Schlag über den Beziehungsaspekt.
´Scheiße, der hat recht, ich habe zu zehn Prozent gelogen. Das macht man nicht! Ich bin ein verdammter Arsch! Aber, habe ich das wirklich je so hart behauptet? Ich habe doch gesagt, dass es ´eher´ so sei. Und das ist definitiv der Fall. Das schließt das Andere nicht aus. Man kann die Sachen immer so oder so interpretieren. Aber das kann ich jetzt nicht als Argument verwenden, sonst hat er das Gefühl, ich will mich rausreden´, dachte ich.
Mehrere Gedankengänge nahmen mein Hirn ein, verloren sich aber sofort wieder, da ich gar nie Zeit kriegte, einen festzuhalten oder zu antworten. Zudem hatte ich Kopfweh, da ich überarbeitet war.
´Erstens schäme ich mich, als ob ich beim Stehlen ertappt worden bin. Zweitens bin ich mit ihm einverstanden, sein Fall kann in gewissen Situationen auch auftreten, dürfte aber eher die Ausnahme darstellen. Aber das kann ich auch nicht bringen, sonst greift er mich an, dass ich mir selbst widerspreche. Drittens, natürlich habe ich mich mit einem Mechaniker darüber unterhalten, glaube ich zumindest. Auf alle Fälle sitzen einige meinetwegen im Publikum, inklusive der Professorin. Aber weshalb sie hier sitzen, erinnere ich mich jetzt gerade auch nicht mehr. Viertens, jetzt bloß nichts Falsches behaupten. Wenn mich die Mechanikprofessorin in ihrem Fachgebiet korrigiert, dann bin ich endgültig geliefert, mit Totalhirnschaden. Also besser gar nichts sagen. Einfach Gras über die Frage wachsen lassen und auf die zweite Frage, oder äh, die dritte hoffen. Und verdammt, nie mehr etwas halbherzig behaupten.´
All das ging mir zusammenhangslos durchmischt durch den Kopf. Aber der Experte gab mir nie die Möglichkeit zu kontern, ein Argument festzuhalten. Er plapperte die ganze Zeit munter weiter, ohne eine Frage zu stellen. Meine Argumentationsfähigkeit erstarrte zunehmend.
´Niemals eine zehn Prozent-Lüge erzählen!´, dachte ich.
Die vier Gedankenstränge vermischten sich langsam, bildeten Knoten. Dazu mischten sich Gedankeneinwürfe wie: ´Ich weiß die Antwort nicht, ich bin eine verdammte Pfeife´, oder: ´Alle im Publikum sehen, wie ich jämmerlich versage.´
Ich konnte keinen Gedanken festhalten. Mein spärliches Selbstvertrauen brach in sich zusammen. Ich schämte mich, eine Behauptung aufgestellt zu haben. Ich bekam Selbstmitleid, ich Arsch! Ich zog mich in mich zurück. Ging in eine defensive Haltung, wollte mich nur noch schützen, gegen die auf mich einprasselnden verbalen Schläge.
Der externe Experte erklärte es nochmals, formulierte und codierte seine Kommunikation neu und schickte Schallwellen in meine Richtung. Mein Gedankenbrei schwirrte im Kopf rum, verursachte immer mehr Kopfweh. Ich hörte überhaupt keinen Sachinhalt mehr.
´Schuldig, ich Arsch, sperrt mich ins Gefängnis, meine vorhergehende Behauptung ist moralisch nicht vertretbar´, dachte ich.
Der externe Experte redete immer noch, vermutlich über fünf Minuten, ohne wirklich eine Frage zu stellen und mir Gelegenheit zur Verteidigung zu geben.
Der Prüfungsleiter erkannte, dass ich etwas konfus war, und wollte mir unter die Arme greifen.
„Ja, wann kann das denn vorkommen, was er sagt?“
Ich antwortete irgendetwas Dämliches. Später, einige Zeit nach der Prüfung realisierte ich: Wieso musste ich eigentlich seine Behauptung begründen, die hat doch der externe Experte aufgestellt? Aber in diesem Augenblick hörte ich endlich eine Frage. Und auf eine Frage gibt man eine Antwort, das gehört sich so!
Der externe Experte fing wieder an zu plappern. Dann fiel ihm mein Leiter ins Wort mit der Bemerkung, dass immerhin die