Willkommen bei unserer neuesten Idee, einem kostenlosen Buch, dessen Teile ihr zu einem Ganzen zusammenfügen könnt.
Wahrscheinlich bist du ganz zufällig hier gelandet, oder doch nicht? Oder du bist an der falschen Stelle oder was auch immer.
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Für alle die nicht mehr suchen möchten
Überdruss wird noch Dopamin ausgeschüttet, besser bekannt unter der Bezeichnung Glückshormon. Wir werden ja so glücklich und öffnen uns gegenüber unseren Mitmenschen, die wir normalerweise knallhart ignorieren. Tja, wie können wir die Menschen noch weiter benebeln, überlegte sich die Evolution. Na klar, wir senken den Serotoninspiegel auf einen Wert, wie ihn die Zwangsneurotiker bestens kennen. Wir befinden uns also noch zusätzlich im Zustand eines Neurotikers. Damit aber immer noch nicht genug, wie wäre es noch mit ein paar körpereigen produzierten Drogen, um das Beisammensein noch etwas zu verschönern? Opiate werden im Körper produziert. Sie werden beispielsweise nach dem Sex ausgestoßen und erzeugen Glück, Freude oder sogar Euphorie, wie astrein gerauchtes Opium halt. Zum Glück gibt es neben dem Selbstmord einen weiteren Ausweg aus dem Dilemma, einfach nur abwarten. Denn nach spätestens zwei, drei Jahren gewöhnt sich unser Gehirn an das sogenannte Verliebtheitshormon Phenylethylamin, das für die Gefühle wie Schmetterlinge im Bauch, feuchte Hände und den Kloß im Hals verantwortlich ist. Somit ist die Phase des Verliebtseins vorüber und langsam holt uns die Realität ein, die bekanntlich lautet: Überflüssiges, nerviges Objekt in meiner Nähe!
´Da habt ihr es. Wollt ihr einen guten Rat, fragt an der Rezeption nach Einzelzimmern. In spätestens zwei Jahren ist es eh vorbei. Dann geht ihr nicht nur mir, sondern auch euch selbst auf den Sack!´ denkt er.
Er hat jetzt doch sein ganzes Morgenessen runter gewürgt. Er steht auf und wendet sich vor dem Gehen noch zu ihnen hin.
„Maybe they offer two single rooms?“
Sie geben keine Antwort, die fühlen sich nicht betroffen.
´Also, mindestens ein zustimmendes Augenzwinkern von ihm hätte ich schon erwartet. Wahrscheinlich hat er mich nicht verstanden. Aber warte nur, in zwei Jahren wisst ihr genau, was ich meine. Und wieder mal wird ein Versuch der Zweisamkeit gescheitert sein´, denkt er.
Heute steht die Besichtigung vom L’Arc de Triomphe und dem Louvre auf dem Programm, und was da sonst noch so dazwischen rum steht.
Zunächst arbeitet er aber auf seinem Zimmer zwei Stunden am Buch. Danach geht er vom Hotel aus zu Fuß bis zur Station Blanche, direkt neben dem Moulin Rouge. Dort steigt er in die 2 ein.
In der Métro trifft er auf die üblichen frustrierten Gesichter.
Plötzlich beginnt ein Schwarzer laut zu sprechen. Er steht am Abteilende und hat einen silbernen Kopfhörer auf. Einige schauen reflexartig zu ihm hin, die Meisten ignorieren ihn gleich von Anfang an.
´Ah, der versucht zu rappen. Irgendwas von darf nicht arbeiten und Kindern müssen hungern. Na ja, am Rhythmusgefühl und an der Stimme musst Du aber noch arbeiten. So eine Scheiße kannst Du uns hier doch nicht vorjodeln. Kein Wunder, beachtet Dich hier kein Schwanz. Geh sofort nach Hause und übe du Sau, Zeit hast Du ja offenbar´, denkt er.
Er schließt die Augen, umfasst sein Portemonnaie in der Hosentasche und entspannt sich.
Mit sechs kam ich in den Kindergarten. Der lag im rund vier Kilometer entfernten Nachbarkaff. Von unserem Dorf waren wir insgesamt sechs Kinder. Mit etwas Pressen passten wir also gerade noch in ein Auto. Unsere Alten wechselten sich mit unserer Anlieferung ab.
Die Eltern hatten sieben Jahre zuvor reichlich gevögelt, wir waren von vier Gemeinden rund 50 Kinder, ein absoluter Rekord. So mussten wir in zwei Klassen aufgeteilt werden. Der Kindergarten war im Schulhaus integriert. Das Gebäude war ein viereckiger, grauer Betonklotz mit orangen Sonnenblenden. Der Eingangsbereich bestand hauptsächlich aus Glasscheiben. Im Erdgeschoss befanden sich die Bibliothek und ein Musikzimmer. Die zwei oberen Stockwerke wurden von den Schülern benutzt. Wir sechs von unserem Dorf waren alle zusammen im Kindergarten im Keller untergebracht, der zweite Kindergarten war ein Stockwerk höher im Erdgeschoss. Das waren unsere Rivalen. Sofort formierten sich Gruppen und Banden, eine Rangordnung entstand, unterdrückte Außenseiter mussten leiden, der ganze Krimskrams wie bei den Tieren.
Ich war noch zu jung, um darüber nachzudenken, dass ich minderwertig sein könnte. Ich vergas sogar meine Verbrennungen. Später musste ich im ersten Schuljahr in die Sprachschule, weil ich das t nicht sagen konnte. Ich brachte nur ein billiges d zustande.
Komischerweise hänselten wir im Kindergarten immer einen anderen Kameraden, der irgendeinen Sprachfehler hatte. Das viel besonders auf, da einer Simon hieß, und er ihn immer Schimon nannte.
Mein eigener Sprachfehler fiel mir überhaupt nicht auf. Ich lebte fast ohne Hemmungen, das Unterbewusstsein hatte noch kein Mitspracherecht. Das Leben in der Gruppe schien mich damals noch nicht weiter zu stören. Wahrscheinlich, weil ich in der Rangordnung ganz weit oben war, wenn nicht sogar der Gruppenführer. Ich hatte mir meinen Platz unter den anderen Bullen erkämpft. In den Pausen rauften wir mit unserer Bande manchmal gegen die Anderen im oberen Kindergarten, manchmal sogar gegen die Schüler in der sechsten Klasse. Wir kletterten auf Bäume und stürzten uns auf unsere Rivalen. Oder wir schlichen auf eine große Kunststoffmatte, auf der eigentlich nur die Schüler der oberen Semester liegen durften. Ich konnte damals, so ohne Selbstzweifel, einen halben Meter größeren Angreifer abwehren, ohne mir dabei was zu denken, bekam aber trotzdem oder gerade deswegen nie auf die Birne. Ausgerechnet in einer Bande fühlte ich mich damals wohl, das was ich heute am meisten hasse: Gruppen. Welche die völlige Veränderung vom Verhalten von Individuen zur Folge haben, in denen sie Handlungen vollziehen, die sie als Individuum nie in Betracht ziehen würden. Gruppen, die ein Wir-Gefühl aufbauen und noch schlimmer, ein Dir-Gefühl gegen andere entwickeln.
Im Kindergarten lernte ich dann auch meinen ersten richtigen Freund kennen. Eine riesen Wildsau, die nie still sitzen konnte. Er war etwas größer als ich, mit einer schrillen Stimme. Wir waren zusammen die Anführer unserer Bande. Er kam auch zwei- oder dreimal bei mir zu Hause vorbei. Dann gingen wir in den Wald und bekämpften imaginäre Feinde oder stürzten uns Abhänge hinunter. Oder wir spielten bei ihm mit Modellbooten an einem kleinen Bach, wo ich natürlich rein viel. Seine Großmutter lebte auch noch in ihrem Haus, im obersten Stockwerk. Sie hatte immer eine Zigarre im Mund. Die Lippen hatten auf der rechten Seite permanent die Rundung der Zigarren übernommen. Das fand ich beeindruckend. Wir hatten damals unglaublich Spaß. Das war wirklich eine geile Zeit, so ohne Angst.
Doch das änderte sich bald.
Die Métro hält an der Station Charles de Gaulle Ètoil an, unter dem L’Arc de Triomphe.
Der Amateurrapper ist wieder verschwunden.
Nach der Billettschranke kommt er durch eine Steintreppe auf den Place Charles de Gaulle. Die Autos zwängen sich auf sechs Spuren um den Triumphbogen. Er wendet sich der Champs Elysées zu und überquert sie auf einem der weißen Fußgängerstreifen. In der Mitte der Straße bleibt er im Schatten einer kleinen Verkehrsinsel stehen. Auch die Champs Elysées besteht aus den für Paris typischen Pflastersteinen. Zur Horizontalen ist sie perfekt gerade, sie hängt jedoch etwas durch. In rund zwei Kilometer Entfernung sieht er im Smog den Obelisk vom Place de la Concorde, sein Zwischenziel. Links und rechts stehen viele Bäume, in dieser Jahreszeit noch ohne Blätter.
Er macht ein Foto, überquert den Rest der Straße und läuft auf der linken Seite der Champs Elysées entlang. Fast-Food-Stände wechseln sich hier mit noblen Parfüm-, Sonnenbrillen- oder Autogeschäften ab. Die etwas nobleren Einkaufsläden erkennt man sofort an den overdressed Sicherheitsläuten am Eingang.
´Das ist etwas, was ich nie begreifen werde. Kleider machen Leute, und alle fallen darauf rein. Es gibt Leute, die bewundern jemanden, weil er einen Anzug trägt. Sie verwechseln das mit Erfolg, Wichtigkeit oder sogar Intelligenz. Das ist ein ähnlicher Irrtum, wie der, dass ein Forscher der gut reden kann den Eindruck macht, dass er auch besonders kompetent in der Forschung selbst ist. Dabei sind das doch zwei völlig unterschiedliche Bereiche, das Kommunikations- und das Forschungstalent. Im Gegenteil, jemand der das Talent besitzt über etwas gekonnt zu plappern, bei dem ist die Wahrscheinlichkeit kleiner freie Gehirnkapazität für Dinge zu besitzen, welche die Forschung an sich benötigen würde: Selbstdisziplin, Wissensdurst, Konzentrationsfähigkeit, Orga-nisationsfähigkeit, Kreativität, Durchhaltewillen, Perfektionismus etc.. Deshalb sind die Forscher so oft introvertiert und verwirrt, weil nur sehr wenige Menschen gleichzeitig gut im Kommunizieren und Konzentrieren sind.
In einer Vorlesung während meiner Dissertation, waren rund 200 Leute anwesend. Und ein Arsch von Student kam immer mit einem Anzug angewatschelt. Gott, habe ich die Sau gehasst. Ich meine, viele müssen so was tragen, aber an einer Vorlesung als Zuhörer? Er fühlte sich wohl besonders wichtig. Um mich noch mehr zu nerven, ging er immer nach der Vorlesung zum Professor und stellte eine Frage. Den Studenten hätte ich am liebsten geschlagen, oder gleich zweimal.
Hingegen gab es im Studium auch coole Professoren mit Schlabberpullis, die waren meine Helden. Denn Leute, die es nicht nötig haben, sich mit Kleidern aufzumotzen, sind die wirklich Kompetenten. Und tatsächlich, gerade diese Professoren waren es, die es in ihrem Fachgebiet am weitesten gebracht hatten. Und das ohne sich mit falscher Schale aufzuspielen.
Leider fühle auch ich mich bei Anwesenheit von Anzugstypen minderwertig. Auch ich verwechsle das mit Wichtigkeit. Auch ich trage an einem Kongress brav einen Anzug, damit meine Forschungsergebnisse ernster genommen werden. Die Menschen sind einfach zu leicht zu beeinflussen. Sie würden mich schon rein optisch völlig unterschätzen. Dieses Vorurteil bringt man auch mit einer akribisch vorbereiteten Präsentation kaum mehr weg.
Aber ist es nicht oft so, dass man für etwas angeklagt wird, was man selber auch ablehnt? Man hat sich nur den Gesellschaftsnormen unterworfen, sich mitreißen lassen, kann aber nicht gegen sie bestehen. Und jetzt wird man dafür auch noch angeklagt. Dabei denkt man genau gleich wie der Angreifer. So ein Missverständnis ist besonders schmerzhaft.
Bin ich wirklich genügend wichtig, um in so ein Geschäft mit so einem Türsteher gehen zu dürfen? Ich kann doch nicht der Einzige sein, der so denkt. Wie viele der Leute betreten ein Geschäft nicht, weil sie zu viel Respekt vor so einem Türsteher haben? Ich denke, es sind weitaus mehr welche er vertreibt als anlockt. Man fühlt sich beim Verlassen des Shops schuldig, dass man nichts gekauft hat oder man fühlt sich gar angeklagt, etwas geklaut zu haben.
Wenigstens bin ich mir der Oberflächlichkeit der Kleider bewusst, das ist doch schon mal ein Anfang. Die Psychoanalyse heilt ja bekanntlich einen inneren Konflikt bereits, indem er ins Bewusstsein gerufen wird´, denkt er.
Mit einem großen Bogen umgeht er alle weiteren Türsteher.
Nach rund dreihundert Metern biegt er links in die Rue de Berri ab, um einen Blick auf die parallel zur Champs Elysées gelegene Rue de Ponthieu zu werfen. Die Straße kam in einem kürzlich gelesenen Roman vor. La vie devant soi von Romain Gary. Er schildert das triste Leben der Ausländer in den siebziger Jahren in Paris aus der Sicht eines kleinen Jungen. Der Autor hat natürlich Selbstmord begangen, wie es sich für gute Schriftsteller gehört.
Die Straße ist ohne Grün, mit vielen parkierten Autos, ziemlich trist, passt also perfekt zum Inhalt des Buches.
Wieder zurück auf der Rue de Berri, beobachtet er eine junge Frau auf der Gegenseite. Sie hat schwarzes langes Haar, ist