Internetbuch weshalb

 

Willkommen bei unserer neuesten Idee, einem kostenlosen Buch, dessen Teile ihr zu einem Ganzen zusammenfügen könnt.

Wahrscheinlich bist du ganz zufällig hier gelandet, oder doch nicht? Oder du bist an der falschen Stelle oder was auch immer.

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Für alle die nicht mehr suchen möchten

weshalb die Uni etwas ausgestorben wirkt. Es könnte zusätzlich auch gerade Semesterpause sein.

Er läuft links um das Gebäude herum und will sich wieder ein etwas niveauvolleres Gebäude von Jean Nouvell angucken, das Institut du Monde Arabe, welches direkt im Campus integriert ist.

Den Eingang sucht er vergebens auf der der Seine zugewandten Seite, die nebenbei nun auch nicht wirklich eine architektonische Perle ist. Am Seine-Ufer durfte wohl nicht etwas allzu futuristisches entstehen. Die der Seine abgewandte Seite ist wesentlich besser gelungen. Sie zeigt die Fassade, die das Gebäude bekannt gemacht hat: Mechanische augenförmige Sonnenschütze, die sich je nach Sonneneinstrahlung mehr oder weniger öffnen und die Belichtung im Gebäude regulieren. Quasi eine intelligente Fassade, welche die Lichtbedürfnisse im Inneren als Funktion der Umgebung reguliert.

Und nach einiger Suche findet er doch noch den Eingang. Zuerst wird er wieder Opfer einer Sicherheitskontrolle, seine Eier werden gründlich durchleuchtet, bevor er in den Hauptteil eintreten darf. Die Räume sind alle etwas niedrig geraten, die Araber bringen auf drei für uns üblichen Stockwerken locker vier unter. Das Innere des Gebäudes hat etwas Klaustrophobisches. Dazu tragen die niedrige Decke, die enge Bauweise und die Innenansicht der mechanischen Fassade bei. In den einzelnen Räumen sind Leute an Tischen verstreut, sie scheinen zu lernen. Schwierig, sich hier zurecht zu finden. Einen Buchladen auf der rechten Seite betritt er kurz, dreht eine kleine Runde und verlässt ihn wieder. Nur Bücher über orientalische Kultur, was ihn nicht interessiert.

Mit einem Lift erreicht er die Dachterrasse. Hier oben kann man arabischen Tee trinken, wurde ihm in Martinique mündlich kommuniziert.

´Vom Wahrheitsgehalt mündlicher Kommunikation halte ich nicht viel, sie ist nicht Peer-reviewed, da schleichen sich zu viele Fehler ein. Der Kommunizierende getraut sich oft nicht einzugestehen, dass er etwas nicht weiß, und versucht es, mit falscher Überzeugung oder wildem Geplapper zu vertuschen. Als Wissenschaftler weiß ich, dass man auch dem Inhalt von Büchern oft nicht trauen darf. Man kann sich immer und in jeder Situation täuschen, auch auf seinem eigenen Fachgebiet. Weil man denkt, man hat das Thema nun im Griff und man die Sachen nicht mehr genügend hinterfragt und kontrolliert. Gerade dann können sich schmerzhafte Fehler einschleichen´, denkt er.

Er will dem Wahrheitsgehalt über die Information über den Tee nicht weiter auf den Grund gehen, er trinkt nie Tee. Heiße Getränke sind nichts für ihn. Sein Kopf wird immer so heiß und er muss pissen, das ist ihm die Sache nicht wert.

Rechts auf der Dachterrasse steht ein überdimensionaler Wintergarten, in dem sich ein Restaurant befindet. Einige Leute langweilen sich an den gedeckten Tischen. Draußen auf der Terrasse stehen rund 20 ungedeckte Tische in vier Reihen. Um jeden Tisch stehen vier Stühle. Die Tisch- und Stuhlbeine bestehen aus dünnen geschwungenen Stahlprofilen. An den Tischen draußen sitzt niemand, es ist zu kalt. Große Steinplatten überdecken den Terrassenboden.

Er ist dank der Glaswand nicht direkt mit dem Restaurant in Verbindung zu bringen, fühlt sich nicht allzu sehr als Eindringling. Vielleicht darf er hier sein, ohne etwas zu konsumieren. Der zu chic gekleidete Ober hinter der Glaswand wird ihn hier draußen kaum ansprechen. Also wendet er sich dem Ausblick über die Seine auf Zentral-Paris zu, von dem Notre-Dame den zentralen Raum in Anspruch nimmt.

´Schönes Bauwerk, muss man neidlos eingestehen. Bis auf diesen schwarzen spitzen Turm im Hauptflügel. Der passt nicht wirklich zum Rest. Außerdem könnte die Fassade der Kirche wieder mal geputzt werden´, denkt er.

Ich begann ein Maschieneningenieur-Studium in Zürich. Wir waren 69 Leute in unserem Jahrgang, in einzelnen Vorlesungen zusammen mit anderen Fachrichtungen mehrere Hundert. Im Gegensatz zum Gymnasialschulbetrieb, stellten die Professoren keine blöden Fragen. Ich brauchte keine Angst zu haben, vor den Mitstudenten bloß gestellt zu werden. Ich musste mich nicht mehr verstecken und konnte mich unverkrampft auf den Lernstoff konzentrieren. So mauserte ich mich schrittweise vom Klassenschlechtesten im Gymnasium zu einem der Besten der Fachrichtung unseres Jahrgangs an der ETH.

´Wusste ich doch, dass es im Gymnasium nicht nur meine Schuld war. Die Lehrer müssten mal ihre Lernmethodik überdenken. Besonders dieses Militärarschloch´, dachte ich.

Langsam begann das Studium Spaß zu machen. Und vor allem wurde ich immer motivierter. Endlich mal eine Herausforderung, das Gymnasium schafft eh jeder Vollidiot. Hier muss man sich etwas mehr anstrengen, um nicht rauszufliegen und das Bestehen der Prüfungen ist nicht selbstverständlich. Von den anfänglich 69 Studenten schafften nur gerade 18 innerhalb der vorgegebenen viereinhalb Jahre den Abschluss. Viele brachen ab, flogen raus, mussten repetieren oder schoben ein Zwischenjahr ein.

Parallel fiel mir ein Buch in die Hände, das mein Leben nachhaltig verändern sollte: ´Die 6 Säulen des Selbstwertgefühls´ von ´Nathaniel Branden´.

Das hört sich zwar esoterisch an, ist es aber nicht, zumindest zum größten Teil.

Branden definiert das Selbstwertgefühl folgendermaßen: Das Selbstwertgefühl ist das Vertrauen auf unsere Fähigkeit zu denken, das Vertrauen auf unsere Fähigkeit, mit den grundlegenden Herausforderungen des Lebens fertig zu werden, und das Vertrauen auf unser Recht, erfolgreich und glücklich zu sein, das Vertrauen auf das Gefühl, es wert zu sein, es zu verdienen und einen Anspruch darauf zu haben, unsere Bedürfnisse und Wünsche geltend zu machen, unsere Wertvorstellungen zu verwirklichen und die Früchte unserer Bemühungen zu genießen.

Jegliche psychische Erkrankung sei auf irgendeine Weise auf ein mangelhaftes Selbstwertgefühl zurückzuführen. Das Selbstwertgefühl besteht aus sechs Bausteinen:

a) Bewusst leben

b) sich selbst annehmen

c) eigenverantwortlich leben

d) sich selbstsicher behaupten

e) zielgerichtet leben

f) persönliche Integrität

Dabei bedeutet (a) eine Bewusstheit von allem zu haben, was mit unseren Handlungen, Absichten, Werten und Zielen zu tun hat – nach besten Kräften, entsprechend unseren Fähigkeiten – und uns in unserem Verhalten von dem leiten zu lassen, was wir sehen und wissen. Bausteine (b) wie auch (c) dürften selbsterklärend sein. Baustein (d) soll ausdrücken, dass man die Verantwortung übernimmt, sein Leben selbst zu kontrollieren. Baustein (e) bedeutet, den eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Werten Rechnung zu tragen und diese in angemessener Weise praktisch zum Ausdruck zu bringen und schließlich ist unter Baustein (f) zu verstehen, dass wir im Einklang mit unseren inneren Wertvorstellungen leben und handeln.

Mehr als es die genauen Erläuterungen zu diesen Bausteinen vermögen, hat die so genannte ´Satzergänzungsübung´ tatsächlich einen Heilungseffekt. Sie dauert 31 Wochen.

Angefangene Sätze sollen gleich nach dem Aufstehen, ohne groß zu denken, also rein unterbewusst, zu Ende geschrieben werden. Dabei mischen sich die Tagesprobleme in die Satzendungen ein und man befasst sich mit ihnen. Man lernt sich dadurch besser kennen und realisiert, was man wirklich will.

Diese Übung erhöhte mein Selbstvertrauen tatsächlich und ich fing an, etwas weniger zu leiden. Denn parallel zu einem höheren Selbstwertgefühl steigert man automatisch seine Lebensqualität und somit das eigene Lebensglück.

Die Dachterrasse und das Institute de Monde Arabe hat er bereits wieder verlassen. Er betritt über den Boulevard Saint-Germain das Quartier Latin. Das frühere Areal von Ernest Hemingway, F. Scott Fitzgerald, James Joyce, Oscar Wilde und Co. Anschließend biegt er rechts in die Rue Lagrange und schließlich links in die Rue Galande ein, welche wieder eine dieser Pflastersteinstraßen mit Eisenstangen auf Eierhöhe ist.

Die Satzergänzungsübung hat ihm damals vor Augen geführt, dass er ein Einzelgänger ist, und dass das gut ist so.

´Warum schmerzt es mich immer, wenn ich wieder mal daran scheitere, mich in einer Gruppe zu integrieren? Warum habe ich es eigentlich immer wieder versucht? Wegen den verdammten Gesellschaftsnormen? Gegenfrage, was ist mit euch los, wieso könnt ihr nicht alleine sein? Ihr Pfeifen getraut euch nicht, alleine in den Ausgang zu gehen. Das ist ja mindestens so komisch. Ihr müsst euch immer in Gruppen verstecken. Wer definiert überhaupt, welches Verhalten richtig und welches falsch ist? Ein Problem in der Mathematik hat eine exakte Lösung. Alles andere hat duzende von Lösungen, die alle genau so richtig sind. Das ist alles reine Ansichtssache.

Ab sofort drehe ich den Spieß um und bedauere die Leute, die nur in Gruppen leben können. Vom Abseits, von der anderen Couch im Fernsehraum, beim Zuschauen, wie sie Karten spielen, von der gegenüberliegenden Theke im Pub oder auf den Postkarten von den Ferien, wo nur meine Unterschrift drauf ist.

Gehst Du alleine in die Ferien?“, frägt er einen Arbeitskollegen.

Nein, mit zwei Freunden.“

Oh, du bist wirklich komisch.“

Und nun? Ich fühle mich verdammt gut dabei. Ich bestehe darauf, nein ich wurde stolz darauf, ein Einzelgänger zu sein. Endlich haben diese dauernden Verletzungen in Gruppen ein Ende. Endlich realisierte ich, dass die Eigenschaft, sich nicht in eine Gruppe zu integrieren, nichts Negatives ist.

Und wenn mich jemand in einer Gruppe frägt: „Kommst du auch mit?“

Dann sagte ich: „Nein danke, ich habe schon andere Pläne.“

Was auch stimmt. Meine anderen Pläne sind, nicht mit einer Gruppe mitzugehen. Wenn ich klar kommuniziere, dass ich alleine los will, dann kommt innere Freude auf. Ein deutliches Zeichen, dass ich die Wünsche meines Unterbewusstseins akzeptiere´, denkt er.

Eine kreischende Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. Er passiert gerade eine Kirche. Ein kleiner pummliger Chinese generiert das Geschrei. Um die 40, dicke Brillenränder, klein, schwarze kurze Haare. Mehr konnte er sich von ihm mit einem kurzen Seitenblick nicht merken. Erstaunlicherweise predigt er völlig alleine an der Straßenecke vor sich hin, weit und breit keine andere Pfeife oder Zuhörer.

´Cool, ein Verrückter. Das macht ihn verdammt sympathisch!´, denkt er.

Während er weiterschlendert, nimmt er ein paar Wortfetzen auf.

„… Dieu n’est pas dans la Notre-Dame, il est mort.“

´Was soll denn der Scheiß jetzt, denkst du vielleicht, du predigst hier etwas Neues? Natürlich ist Gott nicht in der Notre-Dame, du Pisser, ist doch kalter Kaffee. Und wegen diesem alten Käse produzierst du diese Schallwellenverschmutzung, du halbe Socke? Hast wohl gedacht, das sei die Neuigkeit des Tages, he?´, denkt er.

Er ignoriert den Schreihals, wie jeder Pariser es machen würde, und geht weiter in die Rue de la Houchelle, wo links und rechts Fast Food-, Souvenirläden und Pubs das Straßenambiente aufwerten.

´Ob sich hier Hemingway auch schon einen Kebab reingezogen hat?´, fragt er sich.

Er steuert einen billigen Kebabschuppen an und ist selber von sich überrascht, wie schnell er sich für einen Ort der Nahrungsaufnahme entscheiden kann. Purer Zufall, dass hier gerade sein Traumlokal rumsteht: Viele Leute, unpersönlich, billiger Food, man kann direkt an der Theke bestellen und man fühlt sich nicht beobachtet.

Er bestellt einen billigen Kebab mit fettigen Pommes Frites und dazu eine Cola, zusammen für 5 Euro 80. Dann setzt er sich an einen Tisch und isst zufrieden in der Anonymität.

Er beobachtet alle anderen Sozialfälle drinnen und draußen vor dem Lokal. Ihm fällt ein total unauffälliger älterer Herr um die 60 auf. Er sitzt draußen, eine halbe Portion, nur etwa ein Meter sechzig groß, die Füße reichen knapp an den Boden. Er scheint vom Leben etwas enttäuscht zu sein und hat rein äußerlich beurteilt verdammt gute Gründe dazu. Er trägt eine Stoffjacke und blaue, verwaschene Jeans. Dazu eine unscheinbare Brille, seine Haare sind vorwiegend grau und unauffällig auf dem Kopf verteilt. Es verstreichen einige Minuten, dem Servierpersonal fällt er nicht auf. Er schaut etwas ängstlich in der Gegend rum und scheint nicht wirklich die Absicht zu haben, sich beim Personal bemerkbar zu machen. Völlig hilflos, traurig, zu gut für diese Welt. Er frägt sich, ob dieser Typ in seinem Leben je eine Frau gehabt hat. Wer könnte was von ihm wollen? Wer interessiert sich für den Schmalwurf überhaupt?

Nach rund zehn Minuten bekommt die halbe Portion doch noch ein Bier. Das scheint ihn nicht wirklich aufzuheitern. Er trinkt es Schluck für Schluck und schaut dazwischen etwas hilflos in der Gegend rum.

´Der kleine Abstecher in den Laden hier hätte wohl witzig werden sollen. Er wollte vermutlich etwas unter Menschen, aus seiner Einsamkeit zu Hause entfliehen. Der lebt bestimmt alleine. Vielleicht ist er ja momentan etwas weniger traurig als zu Hause. Das Leben pisst ihm etwas weniger ins Gesicht als gewöhnlich. Aber für einen neutralen Gesichtsausdruck reicht es trotzdem nicht´, denkt er.

Nach rund dreißig Minuten legt der Typ ein paar Euro auf den Tisch, steht auf und geht. Das interessiert aber niemanden hier. Selbst wenn er auf eine Miene treten würde, würde man nur komisch gucken, bis seine Beine aufhörten zu zappeln.

´Ich frage mich manchmal, wie weit man sich quält, bis man dem Leben ein Ende setzt. Wie hoch die Schmerzgrenze liegt. Der Typ von vorher hat wahrscheinlich keinen Blassen, was er hier noch soll. Da liegen hunderte von Obdachlosen in den schmutzigen Straßen von Paris rum und betrinken sich mit billigem Kochwein, und trotzdem leben sie weiter. Junkies liegen in der Gegend rum, nur noch vom nächsten Trip angetrieben. Und für den machen sie alles, lassen sich beim Betteln erniedrigen, werfen jegliche Moral von Bord und werden kriminell oder blasen Schwänze. Aber die meisten von ihnen geben sich trotzdem nicht den goldenen Schuss.

Ich bin vermutlich noch sehr weit davon entfernt, mich umzubringen. Verdammt beunruhigend, dass ich im beschissenen Istzustand noch weit entfernt von der Befreiung bin. Ich leide höchstens