Exposé
Sie kennen den Spruch, dass hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau lauert. Da aber selbst die ambitionierteste Antreiberin aus einem Ackergaul kein Rennpferd machen kann, kommt es immer wieder vor, dass Muttis Lieblinge am Hebel der Macht versagen.
Dafür möchte ich der Krönung der Schöpfung, unseren lieben Frauen, natürlich nicht die alleinige Schuld in die Schuhe schieben. Es geht hier auch nicht um Schuldige oder Unschuldige, sondern darum, das ganze Lebenstheater mit ein wenig Abstand und einem breiten Lächeln auf den Lippen zu betrachten.
Ich möchte Sie aber warnen. Lesen Sie dieses Buch nur, wenn Sie über eine gehörige Portion Humor verfügen! Und noch eins. Es ist keine Streitschrift für den unterdrückten Mann, sondern eine Liebeserklärung an unsere Antreiberinnen, das sogenannt schwache Geschlecht.
Leseprobe
Von Ebers Kinder sind längst ausgeflogen. Joseph, 45, ist der ältere und besitzt ein eigenes Anwaltsbüro. Er war einst als Nachfolger vorgesehen. Ganze zwei Jahre lang hat er es bei seinem Vater im Betrieb ausgehalten. Ihre Vorstellung, wie ein Detailhandelsunternehmen in die Zukunft zu führen sei, lief jedoch diametral auseinander. Hier der erzkonservative Patron, der nichts aus seinen Händen geben wollte, selbstherrlich alle wichtigen Entscheide alleine traf und unbedingten Gehorsam verlangte. Dort ein intelligenter, selbstsicherer junger Mann, teamfähig, mit eigenen Ideen, die er auch gegen den Widerstand seines Vaters umsetzen wollte. Beide haben einen sturen Kopf und sind selten zu Kompromissen bereit. Das musste Schiffbruch erleiden.
Der Jüngere der beiden, Georg, 39, freischaffender Künstler, ist ein sensibles Bürschchen. Er stellt sich schon gar nicht dem ungleichen Kampf. Die Welt des Patrons bricht zusammen, als sich sein Sohn eine bildhübsche Mulattin zur Frau nimmt. Eine Schwarze als Schwiegertochter passt nicht in das Weltbild des Patriarchen. Selbst die Drohung, Georg im Falle einer Heirat zu enterben, nützt nichts. Die Liebe ist stärker. Von nun gilt Georg gegenüber dem Patron als „Persona non grata“, dem Härte und Disziplin für einen Führungsjob total abgeht.
Es ist von Ebers deftigste Niederlage, dass keiner der Söhne in seine Spuren treten will. Deshalb hält er solange auf der Kommandobrücke aus, bis es nicht mehr geht. Erst ein Herzinfarkt zwingt ihn, seine Nachfolge zu regeln. Weil er die Fäden nicht aus seinen Händen geben will, wählt er eine schwache Nummer zu seinem Nachfolger aus. Die hält es beim selbstherrlichen Regenten gerade fünf Monate aus. Dem zweiten Kandidaten ergeht es nicht besser. Immerhin hält der zwei Monate länger durch. Als Anne dem verzweifelten Ehemann empfiehlt, es einmal mit einer Frau zu versuchen, gibt er trotz grossen Bedenken nach. Frauen sind zu emotionell für Aufgaben im Topmanagement, ist er überzeugt. Trotzdem sagt er zähneknirschend zu. Im Falle einer erneuten Fehlbesetzung kann er seiner Frau die Schuld in die Schuhe schieben.
Die Auserwählte hat die anspruchsvolle Aufgabe, den in die Jahre gekommenen Betrieb in eine konkurrenzfähige Detailhandelskette umzukrempeln. Das braucht Zeit. Immerhin hält sich der Patron vermehrt im Hintergrund, was einige Gesellen, die auf den Kopf ihrer neuen Chefin eine Wette abschlossen haben, zusehends verunsichert.
Die Geschäftsleitung spürt den zunehmenden Druck. Ab jetzt müssen sie liefern. Damit sind sie masslos überfordert und versuchen verzweifelt nach Lösungen. Dass sie sich mit eigenen Ideen und Vorschlägen in die längst fällige Reorganisation einbringen müssen, erachten sie nicht etwa als Vertrauensbeweis, sondern als hinterlistigen Schachzug ihrer Chefin, Frau Dr. Madeleine Hösli.
Rosskopf, der total überforderte Verkaufsleiter, rapportiert zuhause wie jeden Abend die geschäftlichen Vorfälle. Isolde steht daneben und schreibt ihre Notizen in ihr blaues Büchlein. Nicht entgeht ihr. Sie notiert ihr Aufträge, datiert diese, und lässt ihrem Manne keine Ruhe, bis sie zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit erledigt sind. Als sie heute wie gewohnt zu ihrem Lieblingstraktandum „Fehler und Schwächen der Rivalen“ kommt, sprudelt es förmlich aus Rosskopf heraus:
„Das Weib ist für nichts zu gebrauchen. Jetzt soll ich ihr auch noch den Laden reorganisieren!“
„Was musst du?“ geifert seine Alte. „Ihren Laden reorganisieren? Dies wird bald unsere Aufgabe sein. Die soll selber schauen, wie sie über die Runde kommt. Du darfst ihr auf jeden Fall keine guten Vorschläge erteilen. Sie hausiert damit nachher nur zum Patron und verkauft sie als die eigenen.“
Er habe keine andere Wahl, als ihr einen brillanten Vorschlag zu unterbreiten, obwohl er wisse, dass er sich damit selber schade, wimmert Rosskopf. Selbst von Eber habe ihn böse angeschaut, als er sich beschwert habe.
Isolde faucht. Sie hätte die lästigen Sandkasten Spiele satt. Es müssten endlich Taten folgen. Er solle den Finger rausnehmen und eine Revolution anzetteln. Sie hätte ganz im Vertrauen bereits mit zwei Filialleiterinnen über einen eventuellen Generalstreik gesprochen. Die beiden würden auf jeden Fall mitmachen. Die Leute würden nach einer starken Führung förmlich lechzen.
Dann beruhigt sie sich wieder und schwafelt etwas von einem neuen Management Bestseller, den sie gelesen hätte. „Management by“. Der Rest sei Englisch, aber das spiele ja keine Rolle. Auf jeden Fall töne der Titel des Buches verdammt gut. Auch wenn sie nicht alles verstanden habe, eines wisse sie jetzt. Ein guter Manager müsse komplexe Aufgaben mit einem Projekt Team lösen. Gute Projektleiter würden mit interessanten Aufgaben überhäuft. So könne er sich gegen oben hervorragend profilieren.
„Projektteam, Projektleiter?“ stammelt Rosskopf. „Noch nie gehört“.
Er würde gescheiter einschlägige Managementliteratur lesen als stundenlang vor dem Fernsehen hocken, schimpft Isolde. Welches Thema, neben der katastrophalen Führung, ihm denn am meisten unter den Nägeln brenne, will sie wissen.
„Die Logistik“, stöhnt Rosskopf nach kurzem Überlegen. Die sei ein hoffnungsloser Fall.
Nichts sei hoffnungslos, schimpft Isolde. Wenn es in einer Firma keine Probleme gäbe, könnten sich die Fähigen auch nicht hervortun. Er könne an dieser anspruchsvollen Aufgabe wachsen und zeigen, welches Potential in ihm stecke. Und dann spricht sie einen Satz, der der Gebeutelte nicht so schnell vergessen wird: „Ich ernenne dich hiermit zum Projektleiter Logistik“.
Rosskopf steht das Herz still. Er will etwas sagen doch er bringt kein Wort über die Lippen. Isolde benutzt die Gelegenheit und fährt im Befehlston fort:
„Du musst die Probleme mit dem Warenfluss nicht alleine lösen. Du kannst dir ein paar Leute herausfiltern, zu denen du Vertrauen hast. Die müssen die nötige Fachkompetenz mitbringen. Genau so steht es nämlich im Buch geschrieben. Besonders gefallen hat mir die Idee von einem „Brennschtorming“ (Brainstorming). Auch wenn der Ausdruck fremdländisch tönt, scheint mir die Methode sehr einfach. Man muss seine Untergebenen nur brennen lassen. Irgendwann kotzen sie dann ihre Ideen. Dann kann man sie aufschreiben und der lieben Obrigkeit als die eigenen verkaufen.
Ich weiss wirklich nicht, warum ihr Manager wegen jedem Problem einen solchen Auflauf macht. Nichts ist unlösbar. Verzichte heute auf deinen Waldlauf und das Nachtessen. Stattdessen liest du die ersten hundert Seiten in diesem Buch. Wenn du den Rhythmus beibehältst, sind die restlichen fünfhundert Seiten ein Pappenstiel. Die werden Augen machen wenn du denen ein paar gescheite Sätze zitierst.“
„Wenn du meinst“, sind die letzten Worte, bevor sich Rosskopf mit leerem Magen und einem dicken Buch unter dem Arm frustriert ins Bett legt. Anfänglich gibt er sich Mühe, sich in die komplexe Materie einzuarbeiten. Doch selbst die Anfeuerungsrufe seiner Isolde, die seine vermeintlichen Fortschritte überwacht, nützen nichts. Nach einigen Stunden fällt Rosskopf die ganze ungeliebte Literatur zum x-ten Male auf den Kopf. Nach einer unruhigen Nacht wacht er erst wieder auf, als sein Herzblatt zur Tagwache bläst.
Die ganze Übung war umsonst. Rosskopf verdammt das Buch. Er hat kaum einen Satz, und schon gar nicht die verwirrenden Formeln, verstanden. Aber dies zu zugeben, hätte man ihm als Schwäche ausgelegt. Und eines weiss er. Ein Manager kennt keine Schwäche! Mit einem seltsamen Gefühl in der Magengegend macht er sich an die Arbeit. Es gilt jetzt, sich die richtigen Leute ins Boot holen. Leute, die von der Materie mehr verstehen als er. Viel mehr!
Kegel kommt ihm als Erster in den Sinn. Es handelt sich bei ihm um einen erfahrenen, aufmüpfigen Chauffeur. Der sollte wissen, wie man einen Tourenplan für die Läden optimiert. Dann wählt er Kunze. Der ist Vorarbeiter im Logistikcenter. Kunze ist ein unmöglicher Typ, kennt sich jedoch mit den Problemen im Lagerhaus bestens aus.
Im Buch steht, dass man für diese komplexe Aufgabe unbedingt einen Logistik Spezialisten beiziehen soll. Rosskopf verwirft die Idee bald wieder. Er will sich die Sache nicht noch schwerer machen und mit bohrenden Fragen eines Technokraten auseinandersetzen. Außerdem müsste er für einen Berater einen Zusatzkredit anfordern, was bei der prekären wirtschaftlichen Lage nur zu weiteren Reibereien führen würde.
Der Projektleiter lädt sein Team zur ersten Sitzung ein. Wie immer, wenn ein Meeting weder Struktur, noch Ziel noch Führung hat, geht alles in die Hosen. Kegel freut sich ausgelassen über „den freien Tag“. Statt Logistikprobleme zu lösen erzählt der allseits bekannte Weiberheld lustvoll von seinen neusten Abenteuern. Man sei doch hoffentlich nicht so blöde, und würde die Lieferkette optimieren, ist sein nicht ganz ernst gemeinter Beitrag. Er brauche die „tote Zeit“ für seine Schäferstündchen.
Lagerchef Kunze hingegen nimmt die Sache ernst. Er meldet mit lauter Stimme, dass seine Leute keine Schuld an den hohen Kosten und den vielen Lieferengpässen träfe. Es seien die Langschläfer auf den Büros, die ihren Job zuerst erledigen müssten. Erst dann sei er bereit, auch in seinem Stall aufzuräumen.
So geht es weiter, Sitzung um Sitzung. Rosskopf, total überfordert, fleht seine beiden „Spezialisten“ an, sich doch endlich der Logistik zu widmen. Doch wie sollten sie auch? Keiner weiss, um was es eigentlich geht – am wenigsten der Projektleiter selber.
Kein Wunder, dass dabei nichts, aber auch gar nichts Zählbares raus kommt. Rosskopfs Nerven liegen blank. Selbst Isolde kann ihm nicht weiter helfen. In ihrer Verzweiflung rät sie ihm, die Chefin höchstpersönlich mit ins Boot zu holen. Damit mache man sie mitverantwortlich für das schwierigste Projekt, das die Firma je durchgezogen habe. Schliesslich habe er sie vor einiger Zeit auch mit seinem Vorschlag begeistern können, freiwillig dieses schwierige Projekt zu übernehmen. Jetzt gerät der arme Teufel aber erst recht zwischen die Fronten.
„Haben sie überhaupt eine Projektorganisation gemacht?“ schreit Dr. Hösli Rosskopf an, nachdem ihr nach vielen vergeblichen Sitzungen der Geduldsfaden gerissen ist.
„Was meinen sie damit?“ stottert der Projektleiter.
„Eine Projektorganisation!“ schreit die Chefin und schlägt mit der Faust auf den Tisch. „Sie müssen doch wissen, was sie mit dem Projekt erreichen wollen!“
Rosskopf, völlig verzweifelt:
„Wir haben uns bemüht, den Grund für die verspäteten Warenlieferungen herauszufinden. Aber niemand will schuldig sein. Kunze meint, er könnte zwar einige Lagermitarbeiter mehr brauchen und man müsse die halt auch besser bezahlen. Aber er sei völlig unschuldig am Debakel. Wir sollten zuerst in der Zentrale aufräumen als immer auf den Kleinen herum zu trampeln.
Kegel argumentiert in die gleiche Richtung. Wenn es nicht klappe mit der Warenlieferung seien immer die Chauffeure Schuld, meint er. Wenn er einen neuen Lastwagen kriege, könne er auch schneller fahren und bequemer abladen. Mehr ist aus ihm nicht rauszuholen. Ich kann auch nichts dafür, dass diese Leute von Logistik nichts verstehen.“
„Und sie, was tun sie eigentlich bei diesen Sitzungen?“ Höslis Ton wird immer schriller.
„Manchmal schreibe ich das Protokoll.“
„Protokoll!“ Hösli droht ein Nervenzusammenbruch. „Bis jetzt habe ich nicht ein einziges Stück Papier gesehen. Stattdessen haben sie mich immer vertröstet.“
Man solle gescheiter weniger schreiben, sondern handeln, versucht Rosskopf sich zu verteidigen. Aber wenn sie wolle, könne er nach jeder Sitzung ein Protokoll schreiben.
Er solle sie nicht noch mit Papier belästigen, flucht die Chefin. Dann doziert sie zum x-Mal, was sie unter dem Projekt „Logistik“ verstehe und welche Probleme angepackt werden müssten. Rosskopfs Augensäcke fallen immer tiefer. Ab und zu nickt er beistimmend und tut, als habe er von der komplexen Materie wenigstens ein klein Bisschen verstanden. Als er sich wiederholt zur Bemerkung hinreissen lässt, „ja, so könne man es auch sehen“, ist es um Hösli geschehen. Das Projekt sei beendet, keucht sie. Er müsse ihr nie mehr Reorganisationsvorschläge unterbreiten. Nie mehr! Dann steht sie wütend auf und hämmert die Sitzungstüre zu.
Rosskopf ist erleichtert. Endlich hat er das verfluchte Projekt vom Hals. Ein Mann wie er ist nicht dafür geschaffen, komplexe Probleme zu wälzen. Ein Mann mit Unternehmerpotential wie er ist für Höheres bestimmt. Echte Unternehmer packen an, bevor Probleme entstehen. Er spürt tief innen, dass er zu dieser auserwählten Kaste erkoren ist.
Trotz Ärger und Verdruss naht der nächste Seminartag mit dem emotionellen Thema „Reorganisation“. Zuerst wird Finanzchef Ochsenbein ausgequetscht. Das Controlling habe in diesem Betrieb einen viel zu kleinen Stellenwert, referiert er. Wenn man ihm mehr Leute zur Verfügung stellen würde, könnte er mehr Druck auf die ausufernden Kosten ausüben. Er schwärmt von amerikanischen Firmen, deren Manager wöchentlich zum Kadi zitieren und zum Teufel schicken, wenn die Resultate nicht mit den Zielen übereinstimmen.
Was er denn mit der Informatik zu machen gedenke, hackt die Chefin nach.
„Informatik“, höhnt Ochsenbein. „Informatik!“
Wenn Ochsenbein das Unwort nur schon hört, ist er auf zweihundert. Auch hier hat man den Anschluss längst verpasst. Der ganze Papierkrams wird immer noch händisch bearbeitet. Alle Vorschläge, in die Informatik zu investieren, wurden vom Alten abgeschmettert. Das sei teures Teufelszeug, argumentierte er jeweils. Dafür sei er nicht gewillt, sein sauer verdientes Geld zu investieren. Solle sich mit der Informatik befassen wer wolle. Er würde dafür jedenfalls keinen Finger mehr rühren. Dann entfährt ihm noch eine Bemerkung, die er gescheiter für sich behalten hätte. Er habe es endgültig satt, mit Morgenstern und Hellebarde gegen aufgerüstete Gegner zu kämpfen, lästert er. Dann schweigt er trotzig.
„Ein Rivale wäre mundtot gemacht“, geht es Hühnerwadel durch den Kopf. Die Zeit ist reif, aufzutrumpfen:
„Ich glaube, dass die meisten immer noch nicht verstanden haben, dass der Einkauf das wichtigste Departement in einem Detailhandelsunternehmen ist. Dank einem klugen Patron, der mich immer unterstützt hat, und meinen täglichen Kämpfen um jeden Rappen gibt es unsere Firma noch. Eine Organisation wie die unsrige sollte deshalb alles der Beschaffung unterordnen. Das heisst im Klartext, dass zukünftig auch der Verkauf unter meiner Leitung zu stehen hat. Einkauf, Marketing und Verkauf würden somit aus einem Guss den Markt bearbeiten, statt sich intern zu bekriegen. Mit der Unterstützung des Finanz- und Personalwesens als Stabstellen kann ich den Umbruch schaffen und die Firma wieder auf Erfolgskurs trimmen“.
Mit dieser Aussage hat Hühnerwadel wieder einmal gehörig ins Wespennest gestochen. Ob er eigentlich verrückt geworden sei, faucht ihn Ochsenbein an. Nie und nimmer würde er unter ihm arbeiten und ein gewöhnlicher Stäbler sei er schon gar nicht. Dafür sei seine Abteilung viel zu wichtig.
Rosskopf gibt sich moderater. Auf seine eigenen Ambitionen bezogen macht er den Vorschlag, man könne ja den Einkaufschef dem CEO unterstellen. Dann verplappert sich der Tölpel. Dann müsse er sich nur noch mit Hühnerwadel rumschlagen!?
„Schön, dass ihr meinen Job bereits wegrationalisiert habt“, bedankt sich von Hösli mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Und zu Ziege gewandt:
„Und was haben sie für kreative Vorschläge?“
„Ich bin froh, wenn es weiter läuft wie bisher“, antwortet der Angesprochene in leisem Ton. Und dann rezitiert er unter lautem Gelächter seiner Kollegen wiederum einen Bibelspruch, der Hösli zur Weissglut treibt:
„Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel, und wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem Herrn, der der Geist ist.“
„Ziege, noch einmal ein solcher Bibelspruch, und ich werde ihnen eigenhändig die Gurgel durchschneiden“, entfährt es der sonst beherrschten Chefin. „Wir sind hier an einem Seminar, verstehen sie, an einem Seminar! Im Übrigen entdecke ich in diesem Raum weder Herrlichkeit noch Unternehmergeist. Bis jetzt habe ich noch keinen einzigen brauchbaren Vorschlag gehört, wie wir unsere Organisation erneuern können. Will noch jemand einen Beitrag leisten, sonst hören wir jetzt auf und gehen an die Arbeit? Meine Geduld ist zu Ende.“
„Ja, ich“, meldet sich Mary leise. „Wenn ihr noch Zeit und Lust habt. Auch eine Direktionsassistentin macht sich ab und zu Gedanken über die Organisation, in der sie täglich arbeitet.“
Hösli bittet Mary freundlich nach vorne.
„Sehr geehrter Herr von Eber, liebe Kollegin und Kollegen. Es ist das Privileg der Jugend, bestehende Grenzen zu sprengen und neue Ansätze für eine bessere Zukunft zu entwickeln. Erlauben sie mir deshalb zuerst eine Bemerkung aus meiner Froschperspektive. Bitte nehmen sie diese nicht persönlich. Sie betrifft nicht nur unser Unternehmen, sondern ist Allgemeingut. Wenn die Energie, die für interne und externe Machtkämpfe positiv eingesetzt würde, gäbe es viel mehr erfolgreiche Unternehmen und vor allem gesündere, glücklichere Menschen. In den gängigen Organisationsstrukturen ist dies jedoch nur schwer möglich. Solange wir uns in den Häuschen von Organigrammen festbeissen und krampfhaft versuchen, darin nach oben zu klettern, verlieren wir das Wesentliche, nämlich das Wohl unserer Firma, unserer Kunden und Mitarbeiter und nicht zuletzt auch unser eigenes Wohlbefinden aus den Augen. Solange wir glauben, wir könnten durch Handbücher und Weisungen die Komplexität eines Betriebes managen, sind wir auf dem Holzweg“.
„Aufhören!“ schreit Hühnerwadel. „Tun sie weiter ihre Pflicht und schreiben sie Protokolle, Mary. Aber von Unternehmensführung verstehen sie wirklich nichts. Sie sind hier mit Leuten aus dem obersten Kader zusammen und nicht auf einer Veranstaltung des faulen Sozialistenpacks.“
Hühnerwadel hätte weiter losgewettert, wenn sich nicht der alte Patron über die Äusserungen dieses Frechlings tödlich aufgeregt hätte. Jetzt donnert er in seiner bekannten Art los:
„Hühnerwadel, noch so eine dumme Bemerkung und sie fliegen raus! Ich habe von unserer Direktionsassistentin in den Seminaren gescheitere Dinge gehört als von einigen Herren, die dahocken und sich wahnsinnig wichtig vorkommen. Bitte, Mary, fahren sie fort:
„Danke, Herr Präsident“, antwortet Mary mit zittriger Stimme, und kommt zu ihrer Kernaussage, dass man Hierarchien eigentlich abschaffen solle. Jedermann müsse dann einen Teil der Verantwortung fürs Ganze übernehmen. Ihr Ansatz sei, zu verbinden, zu vereinen, statt wie es heute üblich sei, alles in noch kleinere, letztendlich unkontrollierbare Einheiten aufzulösen. Eine solche Organisation würde sich selber managen und müsste nicht mehr von machthungrigen Menschen regiert werden.
Damit ist das Thema für weitere Diskussionen gefunden. Mary erkennt die Komplexität ihres Vorschlages, beharrt jedoch auf ihren Grundsätzen, während sich einige Exponenten fragen, wie man überhaupt auf solche Ideen kommen könne.
Hühnerwadels feiern am selben Abend ihre bereits sechs Monate dauernde Partnerschaft. Die beiden amüsieren sich in einem heissen Etablissement. Auf dem runden Tischchen vor ihnen thront ein Champagner Kübel. Genussvoll schnuppern sie am vollen Glas und geniessen den ersten Schluck.
„Schmeckt wie Holundersirup“, witzelt Hühnerwadel. Dann geht der schwere, dunkelrote Vorhang auf. Hunderte farbige Lichter blinken. Joe Cocker dröhnt aus den riesigen Boxen. Auf der Bühne tanzen ein Duzend Drag Queens. Es dauert nicht lange, dann klatschen die Zuschauer im Rhythmus der heissen Musik mit. Die Stimmung steigt von Minute zu Minute. Alle stehen auf und wippen hin und her.
„Ihr solltet in euren furztrockenen Filialen diese Burschen einstellen“, ruft Ludmilla ihrem Partner zu. „Dann geht auch bei euch die Post ab!“
Hühnerwadel erwidert lachend, er würde seiner stinklangweiligen Chefin den Vorschlag machen. Aber die sei nicht interessiert an guten Ideen. Sie kopiere lieber die Konkurrenz und verschenke die Ware zu Sonderpreisen. Das koste Marge und gehe letztendlich am Gewinn ab. Auf ihn höre ja niemand. Man jammere lieber über ungenügende Ergebnisse und stemple ihn zum Sündenbock.
Das werde sich schnell ändern, wenn er der Boss sei, beschwichtigt Ludmilla. Aber jetzt wolle man fröhlich sein und nicht übers Geschäft reden.
Madeleine Hösli nimmt noch am gleichen Abend den Telefonhörer zur Hand und gratuliert Mary zu ihrer mutigen Präsentation. Es sei in dieser schwierigen Phase wichtig, dass sie sich auf Menschen wie sie verlassen könne. Es gäbe in nächster Zeit noch einige Veränderungen. Sie solle tapfer weitermachen. Die Assistentin, erfreut über den unerwarteten Anruf, bedankt sich für den erneuten Motivationsschub.
Ziege bestätigt seiner Frau freudenstrahlend, dass er auch zukünftig keine Verantwortung übernehmen müsse. Sie flüstert ihm liebevoll ins Ohr, dass sie daran ebenfalls ihren Anteil hätte. Sie hätte für ihn nicht weniger als sieben Rosenkränze gebetet. Sie hoffe, dass das Thema des nächsten Seminars weniger anspruchsvoll sein werde. Sieben Rosenkränze an einem Band seien selbst für eine Frau wie sie eine echte Herausforderung.
Am Verrücktesten geht es einmal mehr bei Rosskopfs zu und her. Als Isolde erfährt, dass ihr Herr Gemahl trotz diversen anstrengenden Literaturabenden keinen einzigen Vorschlag zur Neuorganisation vorbringen durfte, verfällt sie in einen Weinkrampf, verdammt ihn als Schlappschwanz und Schlimmeres. Dann brüllt sie, sie würde erst wieder mit ihm schlafen, wenn er den Vertrag für den CEO Posten im Sack habe.
Das ist selbst für einen Masochisten wie Rosskopf zu viel. Er kann nicht mehr und dreht durch. Mit einem Besenstil drischt er wild auf seine Tyrannin ein und weicht geschmeidig ihren mächtigen Tatzen aus. Als er sie mit einem präzisen Schlag am Hinterkopf erwischt und sie benommen zu Boden geht, würgt er sie solange, bis ihre Augen hervor treten. Glücklicherweise kommt er wieder zu sich und lässt von seinem Opfer.
Isolde schnappt gierig nach Luft. Dann gurgelt sie einen Satz, den Rosskopf nie vergessen wird:
„Fast hättest du mich umgebracht, du Scheusal. Aber du hast gehandelt wie ein Mann, ein richtiger Mann. Komm, Schatzi, nimm mich!“