Fundstück / Exposé und Leseprobe

Exposé

 

„Fundstück“ spielt an zwei Orten: in Island und in der Studentenstadt Regensburg.

Protagonist ist der 22-jährige Student Daniel. Daniel ist Hobbymusiker, introvertiert und das, was man als einen typischen Hipster bezeichnen würde. Er komponiert melancholische Lieder auf seiner Gitarre, übt wilde Stunts mit seinem Skateboard und feiert auf so manchen Raves schon auch mal bis in die frühen Morgenstunden. Der erste Teil dreht sich primär ums Studentenleben. Daniel zieht mit seinem Mitbewohner Felix durch das Regensburger Nachtleben und philosophiert mit ihm über Sehnsüchte im Leben, Fernweh, Pläne, Liebe, etc.

Nach dem Abitur war Daniel für einige Monate im Rahmen eines Work und Travel Programms in Skandinavien, wobei es ihn über einige Umwege nach Island verschlagen hat. Dort hat er auf der abgelegenen Schaffarm von Svandìs-Ros und Teitur gearbeitet und die hübsche Isländerin Randalín kennengelernt und sich in sie verliebt. Obwohl die Geschichte der beiden kein gutes Ende hatte und sie seit über zwei Jahren keinen Kontakt mehr hatten, konnte Daniel sie nie vergessen und sich seitdem auch nicht ernsthaft auf ein anderes Mädchen einlassen.

Doch dann kreuzt Mila seinen Weg. „Fundstück“ entwickelt sich in zwei parallelen Handlungssträngen, die jedoch erst im letzten Drittel zusammenfinden. Durch einen Zufall findet Daniel zu Beginn der Handlung Milas Tagebuch im Regensburger Uni-Shuttle und ist von Seite zu Seite faszinierter von dem unbekannten Mädchen, das ihn – was ihm selbst nicht mal bewusst ist – an Randalín erinnert.

Neben diesen beiden Parallelsträngen springt die Handlung daher immer wieder nach Island zurück, als Randalín und Daniel noch ein Paar waren; eine Geschichte, die Daniel aus Selbstschutz eigentlich aus seinem Bewusstsein verdrängt hatte.

Für den Leser offensichtlich kreuzen sich die Wege von Mila und Daniel im weiteren Verlauf der Handlung immer häufiger, ohne dass die beiden davon jedoch Kenntnis nehmen. Bis sie dann eines Abends endlich zufällig zusammentreffen und unter dem enthemmenden Einfluss von Alkohol im Bett landen.

Während für Daniel das Ganze nur ein One-Night-Stand war, verliebt sich Mila in ihn. Als sie dann am nächsten Morgen auch noch durch einen Zufall ihr verlorengeglaubtes Tagebuch unter Daniels Bett findet, deutet sie das als ein klares Zeichen, einen Schicksalswink.

Doch Daniel hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seinem Fernweh nachgegeben und ein One- Way-Ticket nach Island in der Tasche. Als Mila davon Wind bekommt, reist sie ihm, um dem Schicksal auf die Sprünge zu helfen, kurzerhand hinterher. Daniel kriegt davon jedoch nichts mit und fühlt sich in Island, auf seiner abgelegenen Schaffarm, in der rauen Natur Island endlich wieder so richtig bei sich angekommen. Natürlich trifft er dort auch wieder auf Randalín, die ihm den unschönen Ausgang ihrer Beziehung damals noch keineswegs verziehen hatte. Und als dann auch noch Mila dazukommt, scheint die komplizierte Dreierkonstellation zu eskalieren.

Im zweiten Teil von Island rückt die Geschichte von Daniel und Randalín wieder in den Fokus. Unterstrichen wird dies von der unendlichen Weite und wunderschönen Natur Island.

Das Ende von „Fundstück“ ist offen und es bleibt dem Leser überlassen, ob Daniel wieder mit Randalín zusammen ist, oder nicht.

Leseprobe

1. Kapitel

Do dreams come true or do they reign over you?
I had you in my mind when I gave her my love,
and she realized that place number two was never enough.
A winner and a loser, an easy rule for an aching game,
Oh as I went out walking it wasn’t me, you were the reason for her pain.

Der Marienkäfer balancierte auf der abstehenden Haarsträhne wie auf einem feinen Grashalm. Langsam, beinahe in Zeitlupentempo drückte er sie durch sein Gewicht nach unten und landete in den vom Wind zerzausten dunkelbraunen Locken des Mädchens, wo er aufgeregt hin und her brummte, um sich wieder zu orientieren. Wahrscheinlich war er von ihrem bunten Blumenkleid angelockt worden. Jetzt hatte das Mädchen den ungebetenen Gast auf ihrem Kopf auch bemerkt und fuhr sich mit einer schnellen Bewegung durch die Haare. Der Marienkäfer plumpste heraus und flog dann summend in den vorderen Teil des Busses. Wahrscheinlich an eines der großen Fenster, in der Hoffnung hinauszukommen. Egal. Daniel hatte den Blick längst wieder abgewandt.
Das Mädchen, das direkt vor ihm saß, schüttelte noch einmal kräftig den Kopf, um sicher zu gehen, dass das Insekt nicht mehr in ihren Haaren herum surrte. Dabei stieg Daniel irgendwie ein vertrauter angenehmer Geruch in die Nase. Irgendwas mit Zimt, aber er kam gerade nicht drauf, woher er ihn kannte. Wird wohl ihre Haarspülung sein, oder irgendwas anderes. War ja im Grunde egal. Trotzdem hätte Daniel gerne gewusst, an was ihn dieser Hauch von Zimt erinnerte und er schnupperte noch einmal unauffällig in die Luft, aber der Geistesblitz blieb aus.
Bitte Türbereiche freigeben, tönte die entnervte Stimme des Fahrers durch den heillos überfüllten Bus. Die Menschenmassen schubsten und drängelten nach draußen.
War echt eine blöde Idee gewesen, mit dem Bus zu fahren. Sobald die neuen Rollen geliefert waren, würde er definitiv wieder mit dem Skateboard den Universitätsberg hinunterrollen.
Auch das Mädchen stand auf und steuerte eilig den Ausgang an, denn die Busfahrer in Regensburg waren nicht gerade für ihre langen Wartezeiten bekannt. In ihrer Hektiv verhedderte sich dabei ihre Tasche in der Armlehne des Sitzes. Mit einem heftigen Ruck zerrte sie an ihrer Handtasche und sprang dann gerade noch rechtzeitig aus dem Bus, der so ruckartig anfuhr , dass Daniel in seinem Sitz nach hinten fiel, doch das störte ihn nicht und er lehnte sich entspannt zurück. Der Großteil der Fahrgäste war hier nämlich ausgestiegen und nun war es nicht mehr so überfüllt und vor allem nicht mehr so heiß.
Wieso ist dieser Verkehrsverein nicht in der Lage einfach mehr Busse zu organisieren?
Er bückte sich zu seinem Rucksack hinunter, um seine Kopfhörer herauszuholen. Erst gestern hatte er sich am Mergandize-Stand eines kleinen alternativen Konzerts eine neue CD gekauft. Die war jetzt genau das Richtige.
Dabei entdeckte er das Buch.
Ein abgegriffenes, geblümtes Heftchen, das am Boden unter dem vorderen Sitzplatz lag.
Neugierig streckte sich Daniel und hob es auf. Gerade, als er es aufschlagen wollte, ertönte erneut die Stimme des Busfahrers. Dieses Mal klang er deutlich entspannter.
“Nächster Halt: Lilienplatz”

Daniel lies das Büchlein in seinem Rucksack verschwinden, setze seine Kopfhörer auf und stieg aus.
Endlich Feierabend. Jetzt erst mal nach Hause und chillen.

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For places I’ve been, People I’ve met, things I’d like and ideas to be kept.“
Mit goldenem Edding hatte sie die Worte auf das feine handgeschöpfte Papier gemalt und dabei die Querstriche über den t’s energievoll nach oben geschwungen. Vorsichtig strich Daniel die Seite glatt und ließ seinen Blick über das Gedicht schweifen. Dass es sich bei diesem kleinen Leinenbüchlein um ein Tagebuch handelte, war eindeutig. Er konnte sich noch an früher erinnern, als seine Schwester eine Zeit lang ihr Zimmer zugesperrt hatte, da sie befürchtete, er könnte ihr geheimes Tagebuch lesen. Als ob ihn das interessiert hätte. Unwillkürlich schmunzelte Daniel und schaufelte sich eine große Ladung seiner gebratenen Gemüsenudeln in den Mund. Glücklicherweise zeigte sein angelehntes Fenster in den schattigen Innenhof und eine angenehm kühle Brise wehte in sein Zimmer.
Eigentlich eine coole Idee, so ein Tagebuch, ging es Daniel durch den Kopf, als er neugierig eine Seite umblätterte. Bis auf ein paar Notizen, die er sich auf seinen Reisen durch Schweden und Island vor drei Jahren gemacht, hatte er noch nicht einmal ansatzweise so was wie ein Tagebuch geführt. Er hatte den Teller bequem auf seinem Schoss platziert und das Büchlein direkt darüber zwischen Teller und Knie geklemmt. Und wie sollte es auch anders sein, natürlich funktionierte diese Konsttruktion nicht und das Buch rutschte in seinen Teller, wo sich die Seitenränder sofort gierig mit der Chili-Thai-Soße vollsogen.
Hoppla.
Er stellte den Teller, der eh schon fast leer war zu Seite und schlug kauend das Buch wieder auf, als ihn das Knarzen seiner Zimmertüre hochfahren ließ.
Er wusste im Nachhinein selbst nicht mehr warum, aber er sprang reflexartig sprang er auf. Doch noch bevor er das Heftchen zur Seite schmeißen konnte, hatte sein Mitbewohner Felix schon die Tür geöffnet und zur Begrüßung lässig den Arm gehoben.
„Heyhey Dan, sorry, hab total die Zeit vergessen und bin eingepennt. Noch Bock auf n‘ Bier?“
„Alter, du hast mich grad voll erschreckt“, fuhr er seinen besten Freund an, der es sich soeben auf Daniels Bett niederließ.
„Kannst du nicht mal anklopfen?“
Unauffällig versuchte Daniel, ein Kissen über das geblümte Buch zu schieben.
Felix zündete sich eine Zigarette an, reichte seinem Mitbewohner ebenfalls das Feuer und sah ihn dabei irritiert an.
„Was geht denn mit dir auf einmal, seit wann klopfen wir denn, echt?“
Er sprach das Verb übertrieben deutlich aus und nahm einen tiefen Zug von seiner Malboro Gold.
„Was hast’n da?“
Felix blickte auf das geblümte Heftchen mit Leineneinband, das nur halb von einem der unzähligen Kissen auf Daniels Bett verborgen wurde.
„Ein Tagebuch?“, meinte er und ein süffisantes Grinsen umspielte seinen Mund. Er äscherte in ein leeres Glas ab und streckte sich weiter im Bett aus ,um an das Heftchen mit dem Leineneinband zu kommen.
„Hab ich dich dabei gestört, wie du deine Gefüühle aufgeschrieben hast?“
Kommentarlos nahm ihm Daniel das Tagebuch ab und warf es achtlos auf den Schreibtisch, wo es in einem unübersichtlichen Durcheinander aus Stiften, losen Blättern und einer Menge Bücher, die sich mit verschiedensten Methoden der Maschinenbaulehre auseinandersetzten, unterging.
„Jaah geenau, sollte ich besser mal machen, mhm?”
Er angelte nach seinem Tabak und begann sich ebenfalls eine Zigarette zu drehen.
“Das ist so n’ Buch für dieses Hippie-Pflicht-Seminar für den freien Wahlbereich. Bin drüber eingepennt. Nicht so spannend“, fügte er dann beiläufig hinzu und drückte die Enden des dünnen Zigarettenpapiers aufeinander.
“Jo, Bier klingt gut. Ich wollt grad n’ bisschen Gitarre spielen, hast Bock?”
“Ja, da bin ich dabei. Haben wir überhaupt noch Bier daheim?”
Daniel drückte seine Zigarette aus und kratzte die letzten Reste aus seinem Teller zusammen.
“Wenn du’s nicht leergesoffen hast, dann schon”, sagte Daniel kauend und grinste seinen Mitbewohner an.
“Das kann schon passieren”, meinte Felix verschmitzt und schlurfte aus dem Zimmer. Er klapperte kurz suchend in der Küche herum und kehrte dann mit zwei eisgekühlten
Tegernseer, dem Stammgetränk der beiden Jungs, in Daniels Zimmer zurück.
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„Es muss hier irgendwo sein. Ich hab es doch eingesteckt. Ich bin doch nicht blöd.“
Aufgeregt wühlte Mila in ihrer Handtasche, deren Inhalt bereits auf dem gesamten Bodens ihres WG-Zimmers verteilt war.
Isabella, ihre Mitbewohnerin, beobachtete sie mit gerunzelter Stirn.
„Mila. Erstens, bist du dir wirklich sicher, dass du es in dieser Tasche hattest? Und zweitens, wieso in Gottes Namen nimmst du dein T-A-G-E-B-U-C-H mit zur Uni?“
„Ach was weiß ich. Ich hatte ein paar Gedanken im Kopf und die wollte ich im Bus noch schnell aufschreiben. Da muss es mir irgendwie aus der Tasche gerutscht sein.“
Isabella zog nur eine Augenbraue hoch. Das war wieder mal typisch Mila.
Resigniert drehte das Mädchen die Tasche um und schüttelte sie energisch. Bis auf einen Kugelschreiber, bei dem mal wieder das Hinterklemmteil abgebrochen war, fiel nichts heraus.
Verzweifelt ließ sie sich an der Wand bis zum Boden gleiten, stütze dann den Kopf auf die Knie und fuhr sich durch ihre langen dunklen Haare.
„Isi. Da steht mein Leben drin. Mein komplettes Leben des ganzen letzten Jahres. Dinge, die niemand weiß, nicht mal du.
Das DARF nicht weg sein.“
„Ruf doch mal in der Zentrale des Verkehrsvereins oder im Fundamt an. Vielleicht wurde da was abgegeben“, schlug Isabella vor, drehte sich dann um und schnappte sich ein Kleid aus Milas Schrank. „Leihst du mir das für heute Abend?“
„Klar, nimm ruhig“, seufzte Mila ohne aufzublicken und war in Gedanken bereits weit weit weg.

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Dan! Jetzt pass doch mal auf. Du brauchst hier ein A.“ Felix hielt die Gitarre demonstrativ vor Daniel und schlug das A übertrieben laut an. „Haben wir doch letztes Mal schon gesagt, Mann.“
„Oh, jah.“ Daniel schnappte sich das Instrument zurück und wechselte den Griff. Felix saß neben ihm im Schneidersitz auf dem Bett und schlug mit seiner rechten Hand im Takt der Musik auf seinen Oberschenkel. Daniel, dieses Mal traf er von Anfang an den richtigen Ton, sang mit tiefer Stimme.

A street in the dust made him find a thought that she lost,
He knew he’d better take that plane, than dreaming in vain,
Oh, as I went out walking –
„Mann.”

An dieser Stelle ließ Daniel die Gitarre sinken und trommelte ungeduldig mit den Fingerkuppen auf dem Instrument herum.
„Hier komm ich nicht weiter.“
Felix jedoch gab ihm einen freundschaftlichen Stoß.
„Alter, das war gut! Los, sing nochmal!“
Daniel nahm die Gitarre wieder auf und rückte seine Strickmütze zurecht, unter der ein paar dunkelbraune Locken hervorschauten. «Wuschelhaare», wie ihn seine Schwester immer liebevoll aufzog.
Dann räusperte er sich und spielte seinem besten Freund erneut sein neu komponiertes Lied vor.

As I went out walking, walking walking …
I heard the trade winds talking;
leave the harbor, cut the line. But that time did not teach me to understand that sign
.” improvisierte Felix. “Was meinst du?”
“Gutgut. Wirklich gut.“, meinte Daniel nach kurzem Überlegen. Er biss auf seiner Unterlippe herum. „Aber da fehlt noch was. Ich wollt auf was andres raus. Es fällt mir nur grad nicht ein.“
Dieses Mal legte Daniel die Gitarre endgültig weg, zog aus seiner Hosentasche eine Packung Longpaper und begann mit ein paar geübten Handgriffen, einen Joint zu drehen.
„Hast du dein Feuerzeug noch da?“, wandte er sich an Felix.
“Yo.”
Die Flamme fraß sich in das dünne Papier und Daniel nahm einen tiefen Zug.
Entspannen. Chillen. Abschalten. Er ließ sich aufs Bett fallen und hielt Felix den Joint hin.
“Merci.”
Felix lehnte sich entspannt zurück.
“Alter, wir chillen echt n’ bisschen zu viel zur Zeit”, merkte er dann an und zog noch einmal am Joint an.
“Ach was”, meinte Daniel und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. “Sag lieber, was wir jetzt noch machen. Schauen wir noch n’ bisschen in die Stadt?”
„Yo, wir könnten mal wieder tanzen gehen.“
Daniel streckte den Arm aus, um an sein Bier zu gelangen.
Im Mood ist heut Indietronic. Könnte sich lohnen.“
Felix nickte und atmete den Rauch durch den Mund aus. In diesem Moment störte ein schrilles Klingeln die ruhige Runde der beiden Jungs. Daniel tastete nach seinem Handy und angelte es irgendwo aus den Untiefen seiner unzähligen Kissen hervor. Ein Blick auf das Display und Daniel warf das Smartphone mit einem genervten „Oh nee“ zurück aufs Bett. Felix hob fragend die Augenbrauen.
„Ginger“, antwortete Daniel einsilbig und das genügte als Antwort. Felix nahm noch einen Zug von dem Joint und meinte dann kopfschüttelnd:
„Die checkt’s aber auch mal gar nicht, dass du keinen Bock auf sie hast.“
Daniel verzog nur ratlos sein Gesicht.
“Mehr als sagen kann ich’s ihr doch auch nicht.“
Felix zuckte die Schulter und gab den Joint an Daniel weiter.
„Das wird sie dann schon merken. Hier, rauch mal auf, Dan. Sonst wird’s zu spät.“
Felix hatte Recht. Diese dämliche Sperrstunde. Er schaltete sein Handy auf lautlos, nahm seinem Freund den Joint aus der Hand und inhalierte noch zweimal tief ein.
„Einer ist noch drin“, murmelte er und reichte ihn an Felix weiter. Dieser drückte ihn schließlich nach einem letzten Zug in einem Blumentopf aus. Dass da einmal eine Pflanze drinnen war, konnte man nur noch anhand der dürren Stängel erahnen. Ein verzweifelter Versuch von Daniels Schwester, sein Zimmer doch endlich mal „ein bisschen wohnlicher zu machen“, wie sie es ausdrückte.
Die beiden standen auf und Daniel folgte Felix aus dem Zimmer. Im Hinausgehen fiel sein Blick noch kurzen Blick auf den Schreibtisch und blieb eine Weile auf dem geblümten Leinenbuch heften. Vielleicht hatte er aber auch nur die Uhr geschaut.

 

Nächstes Kapitel
ca. im ersten Drittel des Buches
Anmerkung: Svandís-Rós ist die Besitzerin der Schaffarm in Island, auf der Daniel nach dem Abitur gearbeitet und Randalín kennengelernt hat

 

Morgen“, gähnte Felix und schlurfte in die Küche.
„Heyhey“, grüßte Daniel seinen Mitbewohner, angelte sich eine Scheibe Toast aus der Packung und bestrich ihn dann dick mit Nutella.
„Ist kein Kaffee mehr da?“
Felix stand suchend vor dem hölzernen Küchenregal.
„Nee und Milch ist auch alle.“
„Dann nehm ich auch sowas.“ Felix schmiss eine Zeitung und diverse Werbeprospekte von einem der vier Küchenstühle und nahm dann gegenüber von Daniel am Tisch Platz.
„Sollten mal wieder einkaufen gehen, was!?“
„Allerdings“, antwortete Daniel kauend und drehte dabei das Radio lauter. Es lief gerade der neue Remix von Asaf Avidan
Maybe you are.
„Ey, was’n Scheiß-Wetter“, kommentierte Felix den nach wie vor anhaltenden Dauerregen.
„Wieder nichts mit Skaten heute.“
Daniel schob sich einen halben Toast auf einmal in den Mund, nahm dann sein Handy das neben ihm am Küchentisch lag und fuchtelte damit vor Felix‘ Nase herum.
„Mhmmmhmh.“
„Was? Schluck erst mal runter, Alter.“
„Skaten ist zwar nicht, aber heut‘ Abend steigt ne fette Raver-Party“, meinte Daniel, nachdem er in Ruhe fertig gegessen hatte.
„Raver-Party?“, wiederholte Felix verdutzt. „Hier in Regensburg? Hab ich ja gar nicht mitgekriegt…“
„Nee, in Freising. In so nem alten Fabrikgebäude. Cedric legt dort auf. Er hat mir gestern ne facebook-mail geschrieben. Am Start?“
Cedric war ein alter Bekannter von Daniel, den er noch aus Schulzeiten kannte. Nach dem Abitur war er für zwei Jahre in die USA gegangen und hatte dort die verrücktesten Sachen erlebt. Seit er wieder in Deutschland war, ging er eher Pro-Forma in die Uni, organisierte Partys und verdiente sein Geld als mittlerweile zumindest regional sehr bekannter DJ.
„Geil. Was für ne Frage. Sowas von am Start“, begeisterte sich Felix.
„Ich hab ehrlich gesagt nichts anderes von dir erwartet.“
Daniel griff wieder in die Toast-Packung. Bis auf ein paar kümmerliche Krümel war die Tüte leer.
Na toll. Dann leg ich mich halt noch mal ne Runde hin. Bin eh noch total fertig vom Wochenende mit Ally.“
„Yo. Ärgert mich ja immer noch, dass ich sie nicht gesehen habe. Aber als Suzanne gegangen ist, habe ich ohne Pause 24 Stunden durchgeschlafen, gib dir das mal.“
Daniel lachte und schlug ihm im Vorbeigehen kumpelhaft auf die Schulter.
„Das werde ich jetzt auch mal machen.“
„Und ich soll allein einkaufen, oder was?“
Felix stocherte mit einem stumpfen Messer im Nutella-Glas herum, um an die letzten Reste zu gelangen.
„Du schaffst das schon“, meinte Daniel grinsend und verschwand Felix’ grummelndes “Du Penner, echt” ignorierend in sein Zimmer.
Sein Bett war noch warm, als er wieder unter die Decke kroch. Gerade als er sich gemütlich umdrehen wollte, bemerkte er, dass das E-Mail Symbol auf seinem iphone aufleuchtete.
Eine Nachricht von Svandís-Rós war eingegangen. Daniel schürzte die Lippen und kratze sich unruhig am Kinn, während er wartete. Es dauerte ewig, bis sein Handy die Mail geladen hatte.

Von: Svandís-Rós Einarsdottir
Gesendet: Freitag, 26. August 2012 20:59
An: Daniel Helfrich <daniel.helfrich@gmx.de>
Betreff: RE:

Dear Daniel,

How beautiful to hear from you.
Everything is great here and we are all doing fine, thanks.
Honestly said I am not surprised to receive this mail from you, Daniel. Actually I thought you’d write me much earlier, but it seems that you are more patient than I expected you to be.
Here in Hvanneyri work never ends, you know. The fences are getting old and someone should really change them before winter starts. And next week we have to pick up the horses from the highland…
I am expecting a short note with your arrival dates. Teitur will pick you up at the airport then. He got very excited when I told him about your message and he is really looking forward to seeing you.
Bless bless

Rósa

Ein Lächeln huschte über Daniels Gesicht. Die Tage in Deutschland waren gezählt.

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Yo und hier wohn ich diese Woche.“
Cedrics Stimme hallte an den kahlen Betonwänden wieder.
„Wow.“
Daniel ließ seinen Blick durch das Dachgeschoss der riesigen Fabrikhalle schweifen und auch Felix war sichtlich begeistert. Der Boden unter den Füßen der Jungs vibrierte. Die Party war schon voll im Gange.
Kein Wunder, war ja auch schon fast 12.
„Gut, dann geht’s wieder ab nach unten. Schmeißt eure Sachen einfach irgendwo hin. Mann mann mann, wer legt denn da jetzt auf? Nicht mal fünf Minuten kann man hier weg.“ Cedric sprintete die scheppernden Eisenstufen ins Erdgeschoss nach unten und riss die Verbindungstür zur ehemaligen Lagerhalle auf. Der Lärm der Party schlug den Jungs wie Wasserbomben entgegen. Mit einer lässigen Handbewegung und einem „Also, wir sehen uns“ verschwand Cedric eilig im Getümmel und kämpfte sich seinen Weg zum DJ-Pult durch, wo er sofort das Zepter wieder an sich riss und an den Lautstärke-Reglern herumdrehte.
„Geiler Typ“, meinte Felix anerkennend zu Daniel.
„Jaah, voll abgefahren, was der macht.“
Cedric schraubte die Lautstärke immer höher und die Halle bebte förmlich. Dass hier vor mehr als 20 Jahren Motorgehäuse für Traktoren wie am Fließband hergestellt wurden, konnte man noch immer durch einige unvergängliche Zeitzeugen deutlich erkennen. In einem Eck standen sogar noch alte Maschinen. Natürlich funktionierten sie längst nicht mehr. Das DJ-Pult nahm den Platz der ehemaligen Maschinen-Steuerungsanlage ein und die Bar befand sich eine Etage tiefer, in einem riesigen Betonbecken, in dem früher die glühend heißen Aluminium-Fabrikate abgekühlt wurden. Daniel schätzte die gesamte Party-Area auf mindestens 200m² und die Halle war wirklich gut gefüllt. Immer mehr Menschen strömten durch das riesige Eingangstor.
Dicke Aluminium-Rohre verliefen an der Decke und an den Wänden quer durch den gesamten Raum. Der Bass, der aus professionellen Lautsprechern dröhnte brachte Bewegung in die alten Eisenrohre und ließ sie blechern Schwingen.
Daniel und Felix hatten sich mittlerweile bis zur Bar hindurch geschlagen und zwei Bier bestellt.
„Wahnsinn, ich glaub es ist mindestens vier Jahre her, dass ich auf so einer Party war.“
Daniel stieß mit seiner Flasche gegen Felix‘ und betrachtete die hohe Decke, an der noch immer alte Flaschenzüge und massive Eisenketten befestigt waren. Die alte Fabrik erschien noch so präsent, dass man meinen konnte, ein einziger Zug an einer der Ketten würde die alten Maschinen wieder in Gang bringen und es hätte Daniel nicht gewundert, wenn eines dieser rostigen Gebilde auf einmal knatternd zum Leben erweckt werden würde.
„Ist einfach eine Nummer zu groß für Regensburg.“
Felix knallte seine leere Bierflasche auf den Tresen und orderte eine Runde Schnaps.
„Irgendwelche heißen Mädels unterwegs?“ Felix lehnte sich an die Bar und sah sich suchend um. Daniel kippte den Inhalt seines Glases hinunter und schob es dann von sich weg.
„Die schauen doch eh alle gleich aus.“
„WAS?“ schrie Felix, denn Cedric drehte immer lauter auf.
„Die schauen alle gleich aus“, rief Daniel.
„Achso. Aber die da nicht.“ Felix deutete mit dem Kopf ans andere Ende der Bar, wo ein braungebranntes Mädchen mit krausen schwarzen Locken gerade einen Drink bestellte.
Er stieß seinen Freund an, der gerade die nächste Schnaps-Runde einleitete.
„Wär die nichts? Schaut schon die ganze Zeit zu dir rüber.“
Daniel reagierte nicht gleich und trank erst seinen Tequila aus, bevor er antwortete.
„Nee, wirklich nicht.“
„Alter, was geht denn ab mit dir? Wann hattest du bitte das letzte Mal was am Laufen?“
Daniel kratzte sich am Kinn und rückte dann seine Mütze auf seinem Kopf zurecht.
„Ey, so ist das auch nicht. Ginger, zum Beispiel.“
Er nahm zwei weitere Tequila entgegen, reichte einen davon seinem Freund und stieß mit ihm an.
„Das war in den letzten Semesterferien“, kommentierte Felix, nachdem die brennende Flüssigkeit seine Kehle passiert und er sich die Lippen geleckt hatte.
„Und Spaß kann man das auch nicht nennen, weil die nicht ansatzweise gecheckt hat, was eine Affäre ist. Ich weiß schon noch, wie ich dich aus der Nummer mit diesem Semester-Opening-Ball rausgeholt hab.“
Daniel lachte auf. „Und dafür bin ich dir nach wie vor sehr dankbar. Lass die mal ihren Cosmopolitan oder was auch immer trinken. Wir gehen jetzt raven, Alter.“
Scheint so, als hätte Cedric von den amerikanischen DJs eine Menge gelernt. Damit war das Thema vom Tisch. Daniel schlug Felix auf die Schulter und die beiden drängten sich auf die Tanzfläche.
In diesem Moment schoss Daniel der Alkohol in den Kopf und der Beat in die Knochen. Er begann zu tanzen und hob ab.

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Die Luft war klar. Von der kleinen Anhöhe aus, auf der sich Svandís-Rós Farm befand konnte man bis zu der Bucht von Reykjavík sehen. Der kühle Wind, der in Island nie eine Pause einlegte, brachte die mächtigen Atlantik-Wellen zum Rollen und trug deren salzigen Geruch bis zu dem steilen Felsen- Hügel hinauf, wo Daniel vorm Stall auf einem geöffneten Heuballen lag. Er hatte die Augen geschlossen und ließ sich die warmen Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen.
In der rechten Hand hielt er eine selbst gedrehte Zigarette, von der er ab und zu einen Zug nahm. Neben ihm stand eine große Schubkarre, die halb mit losem Heu gefüllt war und aus dem Stall konnte man das malmende Geräusch der zufrieden fressenden Pferde hören. Hinter Daniel, in einem kleinen Pferch, balgten sich zwei junge Schafböcke. Obwohl sie gerade mal ein paar Monate alt waren, machten sie dabei einen Höllen-Radau und stießen immer wieder mit ihren winzigen Hörnern gegen die hölzerne Umzäunung. Wahrscheinlich hörte Daniel deshalb die Hufgeräusche des dunkelbraunen Wallachs nicht, der über den knirschenden dunklen Schotterkies die Einfahrt hinauf getöltet kam. Seine Reiterin, eine junge Isländerin, parierte ihn erst direkt vor der Türe des Gutshauses durch. Behände sprang sie von seinem Rücken und strich ihm mit der linken Hand zärtlich über den Mähnenkamm. Mit ihrem Pferd am Zügel überquerte sie einmal den Hof und sah sich suchend um. Da erst bemerkte sie die sanften Rauchschwaden, die hinter dem Heuballen direkt vor der Stalltüre aufstiegen. Sie dirigierte ihr Pferd an dem altmodischen Wellblechgebäude vorbei, umrundete den Heu-Bündel und kam dann direkt vor Daniel zum Stehen.
Sie betrachtete den Jungen einige Augenblicke. Er hielt die Augen noch immer geschlossen, schien sie nicht zu bemerken. Völlig zufrieden lag er da und genoss die Spät-Nachmittagssonne. Einige der Heu-Halme hatten sich in seinen Haaren verfangen. Geräuschlos machte sie einen Schritt zur Seite, sodass ihr Schatten direkt auf sein Gesicht fiel.
„I think I will have to talk to Rósa. It seems like she lets you work too hard”, stellte sie schließlich nüchtern fest. In ihrer ruhigen Stimme war keine Spur von Ironie zu erkennen. Daniel sah überrascht auf und schirmte sein Gesicht mit der Hand vor den blendenden Sonnenstrahlen ab. Ohne sich aufzurichten, atmete er den gräulichen Rauch seiner Zigarette über den Mund aus. Die wabernden Schwaden blieben einige Sekunden in der Luft hängen, bis sie vom nächsten salzigen Windstoß fortgetragen wurden. Er genehmigte sich einen weiteren Zug von seiner Zigarette und sah das unbekannte Mädchen aus halb zusammengekniffenen Augen an.
„Yeah. Maybe you should do that“, antwortete er dann genauso ruhig. Er beugte sich nach vorne und drückte die Kippe, die mittlerweile bis auf den Filter abgebrannt war, am sandigen Boden aus.
Sie folgte seiner Bewegung mit ihrem Blick und beobachtete ausdruckslos, wie die rote Glut im schwarzen Sand erstickte. Vor dem Stall war ein wunderschöner schwarzer Hengst an einer hölzernen Stange angebunden und scharrte nervös mit dem Vorderhuf. Das schmirgelnde Geräusch seines Hufeisens auf dem Sand lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Hengst.
„Ofeigur.“
Bewunderung schwang in ihrer Stimme mit. Trotzdem klang sie noch immer kühl. Sie ging einen Schritt auf ihn zu. Ihr Reitpferd folgte ihr zögernd. Daniel sah ihr nach und räusperte sich dann: „Rósa and Teitur are not there today.
They told me Einar would come and pick him up.”
Sie sah ihn nicht an, als sie antwortete: “My father is not at home.”
Daniel änderte die Position in seinem Heuballen so, dass er die junge Isländerin, die dem edlen Hengst gerade vorsichtig über die Flanke strich, genauer betrachten konnte. Sie hatte eine schlanke, sportliche Figur, war aber nicht sonderlich groß. Ihre langen blonden Haare reichten ihr bis zur Taille und betonten ihre zierliche Statur. Daniel fielen zwei kleine Zöpfchen auf, die sie sich in ihr Haar geflochten hatte. Sie verliehen ihr etwas Mädchenhaftes. Um sich ein bisschen vor dem Wind zu schützen, hatte sie die Kapuze ihrer dunkelbraunen Woll-Strickjacke über den Kopf gezogen. Dazu trug sie eine verblichene schwarze Reithose mit Volllederbesatz. Im Großen und Ganzen war ihr Erscheinungsbild nicht besonders auffallend. Wäre Daniel ihr in der Stadt begegnet, hätte er sich wahrscheinlich nicht einmal umgedreht.
Anstatt den Strick des Hengstes zu lösen, wandte sich die Blonde schließlich wieder ab, band ihr eigenes Pferd an das andere Ende der Stange und ließ sich langsam neben Daniel ins Heu sinken.
„Well then. I hope she won’t come too late.“
Sie hatte den Blick auf das getrocknete Graß gesenkt und spielte mit einem einzelnen Halm. Daniel, der gerade dabei war, sich eine neue Zigarette zu drehen, hob den Kopf.
Sie konnte das Pferd doch trotzdem mitnehmen. Er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als er ihr Lächeln bemerkte. Ganz versteckt hatte es sich über ihr Gesicht geschlichen, und obwohl sie den Kopf so geneigt hatte, dass ihre Haare ihre Augen verdeckten, wusste er, dass sie ihn beobachtete.
Dass sie mit ihm spielte. Er deutete ebenfalls ein Lächeln an, indem er seinen linken Mundwinkel etwas nach oben zog, verschränkte dann die Arme hinter seinem Kopf und machte es sich wieder im Heu bequem. Er ging auf ihr Spiel ein, wartete und zündete sich im Liegen die nächste Zigarette an. Mittlerweile war die Sonne soweit Richtung Horizont gesunken, dass er die Augen entspannt geöffnet lassen konnte.
“They might come late.”
Seine Stimme klang rau.
Er rauchte definitiv zu viel in letzter Zeit.
Das Mädchen hatte seine Aufmerksamkeit auf zwei lange Heu-Halme gerichtet und verknüpfte sie zu einer Hexenleiter. Mindestens zwanzig Stufen hatte sie schon ineinander verhakt. Spielerisch wickelte sie dann das Gebilde um ihr Handgelenk und versuchte es zu einem Armband zu verknoten. Dabei lösten sich einige Fasern des spröden Heu-Halmes und ihr Kunstwerk fiel auseinander. Achtlos warf sie die Halme zur Seite. Langsam hob sie den Kopf und sah ihn endlich zum ersten Mal an.
Es wäre gelogen an dieser Stelle zu behaupten, dass Daniel zu fasziniert gewesen wäre, um den Blick abzuwenden. Er hätte definitiv wegschauen können. Er hätte sogar aufstehen, seiner Arbeit weiter nachgehen und dieses provozierende fremde Mädchen einfach im Heu sitzen lassen können.
Er wollte nur einfach nicht.
Und so saß er da und sah sie einfach nur an.


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Mein Feuer ist kaputt.“
Felix angelte in seiner Hosentasche nach einer Packung Streichhölzer und reichte sie Daniel.
„Hier. Ich versteh ja echt nicht, dass sogar der Platz vor der Halle leer steht. Ist doch wie gemacht für ne Go-Card-Bahn, oder so.“
Daniel gab Felix die Streichhölzer zurück und ließ seinen Blick dann über die riesige asphaltierte Fläche vor der Fabrikhalle schweifen. Früher sind hier bestimmt die fertigen Traktoren abgestellt worden. Heute wurde man beinahe erschlagen von dem kahlen endlosweiten Betonmeer. Die beiden Jungs standen vor der Fabrikhalle und lehnten an dem mächtigen Eisentor, das Eindringlingen den Zugang zum Grundstück versperren sollte.
Das Morgengrauen hatte sich bereits durch einen zarten rosa Schimmer am Horizont angekündigt, als Daniel und Felix beschlossen hatten, eine Rauch-Pause einzulegen. Sie waren nicht die Einzigen.
An die fünfzig Jugendliche hatten sich vor der Halle auf dem Boden niedergelassen und gönnten sich eine Auszeit vom Tanzen. Der Rauch, der von ihren Zigaretten aufstieg mischte sich mit dem Morgennebel und tauchte den Vorplatz in einen gräulichen Dunst. Auch die Musik in der Halle war sanfter und ruhiger geworden, der Bass hatte an Kraft verloren.
Die Party neigte sich langsam dem Ende zu.
Das gesamte Fabrikareal war mit einem mindestens 2 Meter hohen Maschendrahtzaun eingefasst und die dicken Sträucher, die sich von außen durch die rostigen Maschen drängten, verwehrten neugierigen Außenstehenden jeden Einblick. Jedoch nicht das Gebüsch, sondern ein blecherner Gegenstand im Eck der ca. 300m gegenüberliegenden Seite, lenkte Daniels Aufmerksamkeit auf sich. Er kniff die Augen zusammen.
„Go-Card … .“ Seine Stimme klang verschwörerisch. Felix, der gerade seine Zigarette am Boden ausgetreten hatte, sah auf und folgte neugierig Daniels Blick. Es dauerte einen Moment, bis er verstand auf was sein Freund hinauswollte.
Grinsend sah er Daniel an. „Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist alt …“
„Eventuell fahrtüchtig“, fügte Daniel noch schelmischer grinsend hinzu und setzte sich in Bewegung.
Felix lachte und lief ebenfalls los. Die beiden rannten über die riesigen Beton-Platten bis ans andere Ende des Fabrik-Geländes auf einen alten Traktor zu. Im Schutz der wuchernden Sträucher war er echt kaum zu erkennen. Die Farbe war bereits von dem verrosteten Lack abgeblättert und aus dem zerfledderten Sitz quoll das Füllmaterial heraus, aber ansonsten schien der Oldtimer noch ganz gut in Schuss zu sein.
„Geile Karre. Hat echt Style“, meinte Felix und sprang auf den Traktor.
„Ist sogar noch Diesel drin.“ Daniel schraubte den rostigen Tankverschluss wieder zu und hangelte sich ebenfalls auf das Fahrzeug hinauf.
„Meinst, wir kriegen den zum Laufen?“
„Mal sehen.“
Daniel kniff die Lippen zusammen und bückte sich zum Zündschloss hinunter. Ein Schlüssel steckte nicht, aber egal. Vorsichtig zog er zwei dünne Drähte hinter dem Schalter hervor.
„Ist hier irgendwo ne Zange, oder so?“, wandte er sich an Felix, der sich neben dem Fahrersitz niedergelassen hatte.
„Ich hab ein Taschenmesser…“
„Das tut’s auch.“
Gekonnt trennte Daniel die Kabel durch und verbog sie dann so, dass sie sich berührten. In dem Moment, als sich der Stromkreis schloss, kam auf einmal Leben in den betagten Traktor.
„Fuck!“ Fluchend ließ Daniel das Werkzeug fallen, als sich der Stromkreis schloss und ein Funke schnalzend auf ihn übersprang. Heftig knatternd und ächzend setzte sich das Getriebe in Bewegung und pumpte Treibstoff durch die alten Leitungen, die jetzt wer weiß wie lange geruht hatten.
„Alter, der Wahnsinn“, lachte Felix und löste auf dem Boden sitzend die Handbremse. Daniel ließ sich auf der anderen Seite des Sitzes nieder, denn das modrige Schaumstoffteil war vollgesaugt mit Regenwasser und betätigte mit der Hand das Gaspedal. Mit einem Ruck schoss der Traktor nach vorne und das Knattern erstickte gurgelnd.
„Schon mal was von Kupplung gehört?“ feixte Felix und drückte das Pedal tief durch, während Daniel das Gefährt erneut durch einen Kurzschluss anspringen ließ.
„Und jetzt Gas!“
Daniel hielt das Pedal gedrückt, während Felix in den höchsten Gang kuppelte.
„Whuhuu, ganz schön schnell der Alte.“ Daniel musste richtig laut schreien, um den Fahrtwind und das ohrenbetäubende Motorengeräusch zu übertönen. Der Traktor gewann immer mehr an Geschwindigkeit, soweit man bei einem Traktor davon sprechen konnte. Mit der Maximalgeschwindigkeit, die den beiden Jungs in dem Moment unglaublich schnell vorkam, in Wahrheit aber nicht mehr als 15 km/h betrug, lenkten sie ihr neues Fundstück auf die Hinterseite der Halle.
„Hey, drück mal auf den Schalter da hinten“, rief Daniel und zeigte auf einen roten Knopf auf Felix‘ Seite.
„Was’n das?“ Felix musste den Kopf drehen, denn sonst trug der Wind seine Worte fort.
„Bin mir nicht sicher, aber ich glaub, dann geht’s schneller.“
„Oh, okay.“
Felix betätigte den Schalter und – tatsächlich – , der Oldie legte noch einmal mindestens 5km/h zu. Daniel lehnte sich zurück, stützte seine Füße auf dem Lenkrad ab, während sich Felix neben ihm lässig eine Zigarette anzündete. Daniel legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die rosaroten und lila Wolken, die über ihnen dahinzogen. Der frische Fahrtwind, der Felix‘ Zigarette gleich zweimal ausblies, weckte in Daniel ein Gefühl von Freiheit und Schwerelosigkeit. Vielleicht war es aber auch nur der Alkohol. Egal, so musste das Leben sein. Und so würde es auch wieder werden, wenn er -.
„Dan.“
Mit einem Boxer in die Seite riss ihn Felix aus seinen Gedanken und deutete auf den Zaun, der immer näher kam. „Lenken!“ Ohne sich aufzurichten hob Daniel das rechte Bein ein wenig an und der Traktor schrammte haarscharf an der alten Abgrenzung vorbei.
„Meine Fresse.“ Felix schnippte seine Kippe weg und steckte sich lachend eine neue an. In diesem Moment gab der Traktor einen lauten Knall, stieß eine schwarze Kohlenmonoxid-Wolke aus und kam dann langsam dahin ruckelnd zum Stehen.
„Tja, Endstation“, meinte Felix trocken und machte es sich ein bisschen bequemer.
„Sieht ganz so aus.“ Daniel drehte noch ein wenig an den Kabeln herum, aber das Fahrzeug machte keinen Mucks mehr. „War wohl ein bisschen zu viel Action für den Alten“, murmelte Daniel schließlich und kletterte über das Lenkrad hinweg auf die Motorhaube. Im Schneidersitz ließ er sich auf dem Gehäuse nieder. „Hast du was zum Rauchen dabei?“, wandte er sich dann an Felix, ohne sich umzudrehen.
„Ich denke schon.“ Felix durchsuchte im Sitzen seine Hosentaschen. „Yo, hier, fang.“
Felix zielte mit dem kleinen Plastikpäckchen zu Daniel. Er fing es auf, schüttete dann den Inhalt auf einen Longpaper, zog aus seiner Hosentasche eine Packung Tabak hervor und begann geübt, einen Joint zu drehen. „Ha ha geil, hier steht sogar ein alter Bierkasten.“ Felix Blick war auf den Fußraum des Beifahrers gewandert. Scheppernd überprüfte er jede einzelne Flasche. „Sind aber alle leer“, kommentierte er. „Alte Säufer, diese Treckerfahrer.“
Daniel schmunzelte, musterte seinen fertigen Joint und ließ sich dann damit auf den Rücken sinken, um entspannt den ersten Zug zu nehmen.
Geil. Er schloss die Augen.
Wortlos reichte er die qualmende Kippe nach hinten zu Felix.
„Felix, das war mal ne geile Party.“
„Oh ja, allerdings“, antwortete Felix rauchend. Mittlerweile spitzte die Sonne über den Horizont und die ersten Sonnenstrahlen kündigten einen richtig schönen Altweiber-Sommertag an. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das irgendwann nicht mehr geht. Dass wir jeden Tag arbeiten gehen müssen. Keine durchfeierten Nächte mehr und die Wochenenden in langweiligen Golfclubs verbringen,“ durchbrach Felix schließlich die Stille.
Daniel lachte auf. „Da würden die dich doch sowieso nicht reinlassen.“ Er streckte im Liegen den Arm nach hinten und Felix gab ihm den Joint zurück.
„Ha, ha“, machte Felix und die beiden Jungs schwiegen wieder. Langsam und genüsslich atmete Daniel den Rauch aus und beobachtete, wie sich die Schwaden über ihm in der Morgenluft auflösten. Die Sonne hatte sich bereits über den Horizont gekämpft und war trotz der frühen Stunde schon relativ stark. Und obwohl die Luft noch morgendlich kühl war und Daniel nur ein T-Shirt trug, war ihm angenehm warm.
„Nee aber mal im Ernst.“ Anscheinend ging Felix das Thema nicht aus dem Kopf. „Wir müssen jetzt leben, Dan, später ist das alles nicht mehr so easy.“
Daniel nickte, obwohl Felix es nicht sehen konnte. „Ich denke, wir machen das ganz gut“, sagte er schließlich. Ruhig nahm er einen weiteren Zug bevor er hinzufügte.
„Ich geh nächste Woche zurück nach Island.“ Er äscherte ab. „Am Donnerstag. Nen Flug hab ich schon.“
„Was, echt jetzt? Wie das und wie lange gehst du?“
„War irgendwie ne Bauchentscheidung. Ich muss einfach mal wieder ein bisschen raus in die Welt.“ Daniel sprach noch immer zum Himmel gewandt. Sein Blick folgte einem Flugzeug, das eine weiße Spur auf dem mittlerweile strahlend blauen Himmel hinterließ.
„Ich denke, ich bleibe so lange, wie Rósa mich brauchen kann“, fügte er hinzu, richtete sich auf und wandte sich Felix zu. „Hey, kannst den Mund wieder zu machen, fliegst halt einfach mal hoch zu mir“, Grinsend drückte er ihm den Joint in die Hand.
„Hey, du machst echt das einzig Richtige“, meinte Felix nach ein paar Sekunden, die er brauchte, um die Nachricht zu verdauen, rauchte den Joint zu Ende und grinste seinen Freund dann unternehmenslustig an.
„Alter, lass die Sau raus da oben.“


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Die letzten drei Stufen auslassend sprang Daniel die kleine Treppe vor seinem Hauseingang hinunter und wechselte im Laufschritt die Straßenseite. Es war Sonntagnachmittag und durch die Herbstsonne leuchtete die Stadt in den schönsten Farben, fast als wollte sie sich gegen die grauen, nassen Nebeltage wehren, die den Regensburgern bald bevorstehen sollten.
Das Licht ist optimal, um ein paar richtig gute Bilder zu schießen, fand Daniel, als er um die Mittagszeit sein Rollo hochgelassen hatte. Und außerdem war frische Luft eh besser, als den ganzen Nachmittag in der WG herumzuhängen und somit hatte er kurzerhand seine Spiegelreflexkamera, ein Geschenk seiner Großeltern, gepackt und sich auf den Weg in die Altstadt gemacht.
Trotz der wärmenden Sonnenstrahlen war die Luft herbstlich kühl und Daniel war froh, dass er seinen Windbreaker über den Pulli gezogen hatte. Sobald er sich dem Stadtzentrum näherte, musste er sein Lauftempo jedoch deutlich drosseln, denn die Straßen waren überfüllt mit Sonntagsspaziergängern. Pärchen, Rentner und Familien, die die wohl letzten Sonnenstrahlen in diesem Jahr genießen wollten. Außerdem waren massenweise Touristen unterwegs. In richtigen Pulks zogen sie durch die Stadt und lauschten den Erklärungen der Gästeführer, die sich teils mit gequälten Mienen durch die engen Gassen drängelten.
Um den Menschenmassen zu entfliehen, bog Daniel in eine kleine Seitenstraße ein, in der hauptsächlich kleine Antiquitätenläden angesiedelt waren. Leider war er nicht der einzige, der diese Idee gehabt hatte, und so steckte er jetzt hinter einer riesigen Gruppe amerikanischer Besucher fest, die gebannt an den Lippen ihres Stadtführers hingen.
„… was built in the first half of the 11th century. In the 18th century King Ludwig I. ordered the redecoration in Gothic style …”, erklärte dieser mit lauter Stimme.
Aha, interessant. Die Amis scharten sich um ihren Guide herum, sodass an ein Durchkommen gar nicht zu denken war. Hinter Daniel stauten sich bereits mehrere Sonntagsausflügler an und so wurde Daniel unfreiwillig Zeuge eines typischen Langzeitpärchen-Streites.
Sie so: „Und außerdem hab ich dir schon vor Tagen gesagt, dass nächstes Wochenende meine Eltern kommen und wir in den Bayerischen Wald fahren wollten. Wir alle. Inklusive dir.“
Er dann: „Ja sorry, Schatz, aber dieses Fußballspiel ist wirklich wichtig. Und die Jungs haben die Karten jetzt schon gekauft. Was soll ich denn machen? Ich kann doch jetzt nicht mehr absagen.“
Sie: „Natürlich kannst du. Wenn du nur wollen würdest. Aber nie steckst du für mich zurück. Deine Jungs stehen immer an erster Stelle. Dann kommt Feiern gehen, dann erst einmal ganz lange nichts und dann irgendwann vielleicht mal ich. Und jetzt, wo du einmal was für mich tun sollst, kneifst du schon wieder.“
Ihr Redeschwall hatte am Schluss einen gefährlich keifenden Tonfall angenommen. Glücklicherweise konnte Daniel die stammelnde Antwort des fußballliebenden Mannes nicht mehr hören, denn die Reisegruppe vor ihnen setzte sich in Bewegung.
Furchtbar, wenn man sich für jeden seiner Schritte rechtfertigen musste. Um besser auf sich aufmerksam zu machen, hatte der Gästeführer eine hölzerne Tafel in der Hand, mit der er jetzt wild herumwinkte.
„ Come on, guys, follow me, follow me.” Let’s go on and see the most impressive building in Regensburg. The Old Stone Bridge.“
Na endlich. Genau dahin wollte Daniel auch. Die Sonneneinstrahlung war um diese Zeit perfekt, um den Kontrast zwischen den grauen Steinen und dem reflektierenden Wasser zu betonen. Da sprangen bestimmt einige gute Aufnahmen heraus. Daniel folgte der Gruppe, bog aber kurz vor der Steinernen Brücke nach links ab, weg von den Menschenmassen. Die bunten Häuser am Anfang dieser Straße bildeten einen richtigen Schutzwall und die Geräusche des hektischen Stadttreibens waren dahinter nur noch gedämpft zu hören. Dieser Teil der Stadt gehörte noch den Regensburgern selbst und nur selten verirrte sich ein Tourist in das gemütliche Wohnviertel. Daniel atmete erleichtert auf und folgte der verschlungenen Straße, die ihn schließlich nach einigen Schlenkern zur Donau zurückführte. Die Uferpromenade bestand aus massiven, ungleichmäßig verlegten Steinen, auf denen sich einige Regensburger, hauptsächlich Studenten, sonnten. Auf der rechten Seite, in circa 150 Metern Entfernung hatte man einen wunderbaren Blick auf die Steinerne Brücke. Sogar von hier aus konnte Daniel das Gedränge der Menschen förmlich spüren. Er packte seine Kamera aus seiner Fototasche aus und ging auf einen großen, leicht erhöhten Stein zu, auf dem bereits ein Mädchen saß, das total vertieft in ein Taschenbuch war. Er lehnte sich an den rauen Fels an, stützte sich mit einem Fuß daran ab und stellte dann die Belichtungsdauer ein. Der kühle Herbstwind blies raschelnd Laub von der riesigen Weide, die direkt am Ufer wuchs. Daniels erstes Foto an diesem Nachmittag zeigte, wie sich eines der Blätter spiralenförmig durch die Luft schlängelte, bevor es schließlich im Wasser landete.
Mittlerweile war die Sonne soweit gesunken, dass sie die Steinerne Brücke von der Seite anleuchtete und Daniel kam es so vor, dass sich auch auf einmal weniger Menschen darauf befanden. Er schraubte ein anderes Objektiv auf seine Kamera und zoomte das mächtige Bauwerk heran. Eigentlich war er ganz zufrieden mit dem Ergebnis. Das Wasser wirkte aufgrund seiner verlängerten Belichtungsdauer blauer als in Wirklichkeit und der Kontrast zur Brücke war somit stärker. Daniel nickte ohne es zu merken und klickte weiter, um sich auch die restlichen Fotos anzusehen, als ihn plötzlich eine Stimme aus den Gedanken riss.
„Darf ich das Bild mal sehen?“
Das Mädchen neben ihm hatte das Buch zur Seite gelegt und blickte neugierig zu ihm herüber.
Daniel sah kurz auf.
„Klar“, antwortete er dann und hielt ihr die Kamera hin. „Sind jetzt halt nur normale Fotos, keine Makroaufnahmen oder so.“
„Da bräuchtest du ja ein eigenes Objektiv dafür, nicht wahr!?“, meinte das Mädchen ohne ihren Blick von der Spiegelreflex abzuwenden.
„Yo“, entgegnete Daniel langgezogen und setzte sich ebenfalls auf den Stein.
„Die sind wirklich schön geworden.“ Das Mädchen gab ihm die Kamera zurück und lächelte dabei leicht.
„Danke, danke“, entgegnete Daniel. „Kennst du dich etwa aus mit Fotografie?“
„Oh, nein. Meine Schwester macht da manchmal was und so hab ich halt ein bisschen etwas mitgekriegt.“ Sie wandte den Blick ab und schaute nun auf das Wasser. Aufgrund des Regenwetters in den letzten Tagen war die Strömung ganz schön stark. „Mir gefallen einfach nur die Fotos.“ Sie sah ihn etwas schüchtern an und fügte dann hinzu: „Wenn sie gut gemacht sind.“
Daniel hob den Kopf und lächelte ebenfalls.
„Dann fass ich das mal als Kompliment auf“, sagte er dann mit seiner ruhigen Stimme. Die Sonne tauchte die Stadt nun in eine herbstliche Abendstimmung. Das orange, fast schon rote Licht schien nun seitlich so auf das Mädchen, dass es den Anschein hatte, als tanzten kleine Flammen auf ihren kastanienbraunen Locken.
„Bleib mal so.“ Er richtete sich auf und kniete sich auf den Felsen. Das Mädchen drehte sich in seine Richtung und grinste dann in die Kamera.
„Nein, nein, tu einfach so, als würdest du mich gar nicht bemerken“, wehrte Daniel ab.
Es gab nichts Schlimmeres, als diese ganzen Instagramm-Smartphone-App-Künstler, deren Bilder massenweise in facebook hochgeladen wurden. Das hatte nichts mit schön zu tun, sondern lediglich mit Einheitsbrei.
Erstaunt gehorchte ihm das Mädchen, wandte ihren Blick ab und betrachtete die vorbeifließenden Wassermassen.
Wunderbar. Daniel drückte ab.
„Das war’s schon. Danke.“
„Gerne, keine Ursache.“
Er schraubte den Schutzdeckel auf das Objektiv, steckte die Kamera in die Tasche zurück und wollte sich gerade mit einem „Also, ciao dann“ abwenden, als ihn das Mädchen erneut ansprach.
„Ich glaube, wir hatten letztes Semester einen Kurs in der Uni zusammen.“
„Ach ja?“ Daniel zog die Stirn kraus.
„Ja, du bist in der Prüfung von Methoden der Maschinenlehre eingeschlafen. Ich hab dich am Ende geweckt“, lachte sie.
„Oh.“ Daniel zog seine dunkelgrüne Strickmütze zurecht. „Jaah, das kann gut sein. Ich war an dem Tag nicht so fit.“
Das Mädchen sah ihn belustigt an. „Kann ja mal passieren. Ich bin nur froh, dass der ganze Lernstress jetzt rum ist.“
„Mhm.“ Daniel nickte, obwohl bei ihm von Lernstress eigentlich nie die Rede gewesen ist. „Endlich wieder mehr Zeit zum Chillen“, sagte er trotzdem und grinste dabei so, als hätte er einen Insider gebracht, den nur er verstand.
„Bist du denn die ganze Zeit in Regensburg?“, wollte das Mädchen wissen.
„Die nächste Woche auf jeden Fall und dann muss ich mal schauen“, antwortete Daniel, kramte in seiner Hosentasche und holte zog eine Zigarette aus der vollen Packung.
„Ja jetzt sind ja die ganzen Semester-End Partys. In der Alten Filmbühne soll’s heute abgehen, hab ich gehört.“ Mila schlug die Beine übereinander.
„Ah ja?“Daniel atmete den bläulichen Dampf seiner Zigarette aus. „Das ist echt n guter Laden“, meinte er dann mehr auf den Steinboden, als zu dem Mädchen gewandt.
„Ja allerdings. Wir gehen heute Abend dahin. Vielleicht sehen uns ja dort“, sagte sie.
„Gut möglich. Ciao dann.“ Daniel hob zum Abschied die Hand. „Und danke fürs Aufwecken“, fügte er dann noch hinzu, bevor er sich umdrehte und ging.

Langsam schlenderte er die Promenade zurück und bog dann schließlich in die kleine Wohnstraße ein, die ihn zurück in den Trubel der Stadt führte.
Dass die Sonne genau in diesem Moment unterging und wie ein glutroter Ball in der Donau zu versinken schien, bemerkte er genauso wenig, wie Milas nachdenkliches Lächeln, die ihm solange hinterherschaute, bis er hinter einem der vielen bunten Häuser verschwunden war und dann ein kleines Notizbüchlein aus ihrer Tasche holte, einen Stift zückte und anfing zu schreiben

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