Internetbuch als Kind

 

Willkommen bei unserer neuesten Idee, einem kostenlosen Buch, dessen Teile ihr zu einem Ganzen zusammenfügen könnt.

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Für alle die nicht mehr suchen möchten

Als Kind dachte ich: ´Da muss doch etwas Wahres dran sein, wenn alle Erwachsenen daran glauben.´

Dass sie nur feige sind und das ganze Konstrukt aus Angst vor der Sinnlosigkeit erfunden haben, um sich an einem Scheinglauben festhalten zu können, das habe ich damals nicht realisiert. Ich habe zudem auch noch nicht verstanden, dass die meisten Erwachsenen viel kränker sind als wir Kinder. Dass sie sich selbst belügen, um der Realität nicht ins Auge sehen zu müssen. Dass sie genauso Angst haben wie wir Kinder, aber die Angst hinter einer Fassade von Lügen und Normverhalten verstecken, bis die Angst schließlich ganz ins Unterbewusstsein verdrängt wird.

Ich war nie in meinem Leben auch nur eine Sekunde gläubig. Ich habe den ganzen Trott nur mitgespielt, weil ich sonst ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle gehabt hätte. Das haben die Erwachsenen geschickt eingefädelt.

So schrieb ich zu Beginn meines Doktorates zwei nette Austrittsschreiben. Eines war an den Musikverein und ein zweites an die Kirchengemeinde adressiert. Beide wurden ohne Kommentar akzeptiert. Meine Befürchtungen vor persönlichen Gesprächen waren unbegründet.

Meinen Eltern teilte ich es in einer nebensächlichen Bemerkung beim Mittagessen mit. Wir waren mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt, dazu schwiegen wir, wie meistens. Da formulierte ich den kurzen Satz: „Ich bin übrigens noch aus der Brass Band und der Kirche ausgetreten.“

Es folgten ein paar verletzende Sätze meines Vaters, wie, dass er solange für den Musikunterricht bezahlt habe und nun alles für die Katz sei und so weiter.

Vermutlich war er verletzt, dass ich seine vermittelten Werte ablehnte.

Ich entgegnete, dass das in der Musik Gelernte ja nicht verloren sei, sondern dass es für andere Sachen genauso brauchbar ist, beispielsweise das Auftreten vor Publikum. Das kam natürlich nicht so fließend über meine Lippen, da ich nicht der Meister der mündlichen Kommunikation bin.

Etwas mehr hat mich seine Enttäuschung über meinen Kirchenaustritt erstaunt. Ich würde sowieso früher oder später wieder beitreten, meinte er.

Ich war über seine Reaktion recht erstaunt: ´Was, die glauben wirklich daran? Die sitzen nicht nur in der Kirche rum, um Sozialnormen gerecht zu werden?´

Wir haben nie wieder über die zwei Austritte geredet. Und ich denke, mein Vater hat mir in der Zwischenzeit verziehen.

Seit dem Austritt aus der Musik und der Kirche habe ich nie mehr auf einer Posaune gespielt und war nie mehr freiwillig in einer Kirche. Nichts davon habe ich je bereut, im Gegenteil, beide Entscheidungen waren im Nachhinein goldrichtig und ermöglichten mir viele positive Entdeckungen wie neue Hobbys oder längere Auslandaufenthalte.

Er schlendert weiter im Le Marais herum und versucht Kurs auf das Centre Pompidou zu halten.

Metakommunikation ist das Kommunizieren über die Kommunikation an sich. Dies beinhaltet ebenfalls, wie sich die Kommunikation zwischen zwei Menschen abspielt. Dabei wird der Kommunizierende als Sender, der Angesprochene als Empfänger bezeichnet. Eine Kommunikation kann nicht nur mit Worten stattfinden, sondern auch mit Lauten, Körpersprache, Gestik etc..

So lautet ein bekanntes Zitat von Watzlawick: Man kann nicht nicht kommunizieren.

Jede Kommunikation setzt sich aus vier Aspekten zusammen:

  1. Sachaspekt: Reiner Sachinhalt der Nachricht.

  2. Beziehungsaspekt: Er zeigt auf, wie der Sender zum Empfänger steht.

  3. Selbstoffenbarungsaspekt: Der Sender gibt etwas von sich preis.

  4. Appellaspekt: Der Sender will etwas mit seiner Nachricht bewirken.

Jeder dieser vier Aspekte hat das gleiche Gewicht. Um eine Nachricht klar zu verstehen, müssen alle vier Aspekte der Nachricht vom Empfänger verstanden werden.

Das folgende Beispiel soll das verdeutlichen: Eine Frau sitzt am Autosteuer, ihr Mann sitzt auf dem Beifahrersitz und sagt: „Du, da vorne ist grün!“

Unter (a) dem Sachaspekt ist die reine Information der Kommunikation zu verstehen, also das die Ampel auf Grün steht. Unter (b) den Beziehungsaspekt, zeigt der Sender auf, wie er zum Empfänger steht. Dieser Aspekt lässt sich beispielsweise aus dem Tonfall, der Formulierung oder anderen nicht sprachlichen Begleitsignalen erkennen. Im Beispiel könnte der Mann nicht völlig auf die Fähigkeiten der Frau vertrauen. Unter (c) dem Selbstoffenbarungsaspekt hören wir, dass es der Sender offenbar eilig hat. Unter (d) dem Appellaspekt will der Mann Einfluss auf die Frau nehmen mit seiner Nachricht, beispielsweise soll sie schneller fahren. In diesem Beispiel wurde für jeden der vier Aspekte nur eine mögliche Interpretation gewählt, es gibt aber verdammt viele Interpretationsmöglichkeiten. Das macht es für den Empfänger unglaublich schwierig, die Nachricht richtig zu decodieren. Denn der Sender kann nur die Zeichen seiner Nachricht codieren und zum Empfänger schicken, nicht aber ihre Bedeutung.

Der arme Empfänger muss die vier Aspekte der Nachricht decodieren und interpretieren. Meist nimmt er nicht alle vier Aspekte mit gleichem Gewicht auf. Er hört beispielsweise fast nur den Sachaspekt, oder er räumt dem Beziehungsaspekt eine zu große Bedeutung ein und nimmt die Nachricht zu persönlich. Als ob das alleine noch nicht kompliziert genug wäre, kann der Sender eine Nachricht auch noch ironisch ausdrücken. Oder in sich widersprüchlich, beispielsweise lachen, während er etwas trauriges erzählt. Oder er sagt das, was er eigentlich übermitteln möchte, nur implizit, nicht explizit.

Dieser ganze Wirrwarr führt zwangsläufig zu Missverständnissen.

Wichtig ist, dass sich der Empfänger bewusst ist, dass seine eigene Auffassung der Nachricht nur eine Interpretation ist, die natürlich völlig falsch sein kann.

Das kann, wie wir alle wissen, zu witzigen Situationen führen:

Ein Mann möchte seiner Frau etwas Nettes sagen, worauf sie ihm mit der Handtasche eins in die Fresse haut. Sie fasst die Nachricht sarkastisch auf.

Die Lösung dieses Übels kann ein Feedback des Empfängers sein, wie er die Nachricht aufgefasst hat, oder die Metakommunikation.

Wendet er dieses Modell auf sich an, so legt er definitiv zu viel Gewicht auf die Beziehungsseite der Nachricht. Er wittert in jeder Botschaft immer etwas, was gegen ihn gerichtet sein könnte. Besonders, falls er überarbeitet ist und seine Sinne vernebelt und nicht mehr hundert Prozent wahrnehmungsfähig sind.

Nach ein paar weiteren Abstechern ist er wieder auf der Rue des Francs Bourgeois in nordwestlicher Richtung unterwegs, deren Name nach einer kurzen Strecke in Rue Rambuteau wechselt. Er realisiert, dass er Le Marais zu weit nördlich durchquert hat, vermutlich wäre er mit seiner Suche ein paar Straßen südlicher erfolgreicher gewesen. Aber für eine erneute Kursänderung fehlt ihm nun die Motivation.

Den Sachaspekt einer Botschaft vernachlässigt er bei mündlicher Kommunikation mit einem überlegenen Säugetier oft völlig. Deshalb ist es zwecklos, einem Vorgesetzten eine komplexe Sachfrage zu stellen, er begreift den Sachinhalt der Antwort ohnehin nicht. Er ist zu fest auf die Situation an sich konzentriert. Darauf, dass er der Dumme ist, der keine Ahnung hat und genau jetzt die Erklärungen des Gegenübers verstehen muss. Erst wenn er zur Türe raus läuft, konzentriert sich sein Verstand auf den Sachinhalt, den er erst jetzt begreift. Die Worte kommen jetzt erst bei ihm an, vorher war er zu sehr auf die Situation fixiert. Er wirkt auf den Vorgesetzten deshalb total bescheuert und ist es im Moment auch.

Er wurde im Laufe der Jahre ein Meister darin, bei einer Kommunikation direkt den Appellaspekt heraus zu interpretieren. Wenn ihn der Dirigent gelobt hat, dachte er: ´Ich habe schlecht gespielt, sonst müsste er mich nicht vor allen loben. Er will mein Selbstvertrauen fördern, damit ich weniger schlecht spiele.´

Oder wenn ihn in einer Gruppe jemand ins Gespräch einbeziehen will, dann wird ihm natürlich sofort klar, dass er zu wenig kommuniziert und der Andere ihn dazu ermutigen will. Dadurch wird die Aufmerksamkeit der ganzen Gruppe auf sein Kommunizieren bzw. Nichtkommunizieren gelenkt und er wird noch blockierter.

´Denen ist aufgefallen, dass ich mich nicht am Gespräch beteilige und sie versuchen es aus Mitleid zu vertuschen´, denkt er.

Das Ganze lässt sich auch auf Handlungen erweitern. Spendet jemand Geld, so ist sein Appell, dass er sich selber gut fühlt, rein egoistisch begründet.

Es geht noch komplizierter: Er fing an zu denken, dass der Empfänger genauso auf den Appell seiner Kommunikation pirscht, wie er selbst.

´Willst Du noch auf einen Tee mit hochkommen?´, zu einer Frau zu sagen, ist völlig verlogen.

Es muss für sie offensichtlich sein, dass er nur Penetrationen in verschiedenen Stellungen im Schilde führt. Etwas was für ihn infolge seiner konservativen Erziehung beschämend ist.

Wenn man Alkohol trinkt, denkt die Allgemeinheit, man wird besoffen und locker, also machte er genau das Gegenteil und wurde mit jedem Schluck noch gehemmter. Alkohol half also auch nicht mehr weiter. Mit einer schönen Frau zu sprechen, undenkbar. Es wäre zu offensichtlich, was er im Schilde führt.

Er bildete sich folglich ein, jegliche Kommunikation zu durchschauen. Er wurde verdammt kompliziert, verlagerte alles auf die Metakommunikationsebene. Er verstand nun auch die Frauen, die das Gegenteil von dem Sagen, was sie eigentlich denken.

Es gibt einen Ausweg aus dieser Situation. Er muss die Kommunikation dermaßen überziehen, dass er die Metakommunikation selbst ironisiert. So extrem, dass dem Gegenüber, wenn er denn wirklich auf der Metakommunikationsebene denkt, die Verlogenheit seiner Nachricht offensichtlich sein müsste. Er selber muss somit nicht schwindeln. Wie der folgende Satz, an dieselbe Frau von zuvor gerichtet, verdeutlichen soll: ´Trinkst Du noch zwei, drei Liter Tee bei mir, mit Zucker und Sahne?´

Aber die Metakommunikation zu ironisieren, dazu war er nur sehr selten in der Lage. In den Situationen, in denen er es konnte, kam das in der Regel sehr gut an. Scheinbar sind sich die meisten Menschen unterbewusst über die Verlogenheit ihres Kommunizierens und Handelns voll im Klaren.

Auf der linken Seite von der Rue Rambuteau springt einem, ohne große Vorwarnung, das Centre Pompidou ins Auge. Ein riesiger, industrieähnlicher Baukomplex im krassen Gegensatz zum historischen Stadtteil Le Marais. Diese ´Ölraffinerie´ wurde von Renzo Piano und Richard Rogers entworfen und stellt moderne Kunst dar. Das architektonische Konzept für das Gebäude ist es, etwas Offenes, Zugängliches zu gestalten. Daher wurde die Infrastruktur des Gebäudes nach außen verlagert, beziehungsweise die Fassade weggelassen. Das Tragwerk und die Belüftungsrohre sind weiß, die Treppen und Rolltreppen rot, die Stromversorgung gelb, Wasserleitungen grün und die Rohre der Klimaanlage blau eingefärbt. Der zuständige Bauingenieur muss sich stundenweise an den Kopf geschlagen haben. Ein völliger Blödsinn, die Versorgungsleitungen der Witterung und den Temperaturschwankungen auszusetzen. Aber so was interessiert die Architekten meistens weniger. Zum Glück ist mit genügend Geld fast alles möglich.

Momentan könnte man im Gebäude im Musée National d’Art Moderne eine Ausstellung von Louise Bourgeois anschauen, wer immer das sein mag. Oder man kann sich in der Bibliothèque Publique d’Information rumtummeln, am Institut de Recherche et Coordination Acustique/Musique umschauen, sich im Kino einen Film reinziehen, in den Theatersälen rumsitzen oder im Café pissen gehen. Fast interessanter sind die Straßenkünstler auf dem großen Vorplatz und in der Umgebung. Porträtmaler, Ramschverkäufer und natürlich die Straßennutten etwas weiter westlich, die er bereits vorgestern beehrt hatte.

Es dämmert bereits. Er hat heute keine Lust mehr, irgendwas zu unternehmen. Seine sozialen Verhaltensweisen sind nach einer Woche ohne Kommunikation völlig verarmt. Er fühlt sich nicht mehr fähig, mit jemanden zu reden. Jedes Gespräch wäre harzig und würde sofort versanden. Er könnte seinen Schwanz ohnehin nirgends platzieren.

In dieser Beziehung haben es die Schwulen doch einiges einfacher. Sie wissen genau, wie der potenzielle Fickpartner denkt und kleine Satzfragmente wie: ´Ficken?´, können sie bereits zum Ziel führen. Das Homosexuellenzentrum befindet sich ebenfalls im Quartier Le Marais, am westlichen Ende.

Er fährt von der Station Châtelet-les-Halles mit der Linie 4 und anschließend mit der 2 zum Hotel zurück.

Den Abend verbringt er hauptsächlich mit Rotwein trinken. Sein Charly macht in der Zwischenzeit auch wieder auf sich aufmerksam, trotz dem Zwischenfall mit der Nutte. Anschließend arbeitet er am Buch und geht früh schlafen.