Internetbuch müssen

 

Willkommen bei unserer neuesten Idee, einem kostenlosen Buch, dessen Teile ihr zu einem Ganzen zusammenfügen könnt.

Wahrscheinlich bist du ganz zufällig hier gelandet, oder doch nicht? Oder du bist an der falschen Stelle oder was auch immer.

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Für alle die nicht mehr suchen möchten

müssen alle diese Touristen da drin doch anstellen. Was denn sonst, außer Pinkeln?

´Mal schauen. Ein WC muss mindestens 0,8 Meter breit und 1,2 Meter lang sein. Mit 0,8 Meter breiten Gängen dazwischen in Querrichtung und einer Wanddicke von 13 Zentimetern benötigt ein WC also rund 1,06 Meter × 2,26 Meter Platz. Der Grundriss der Notre-Dame ist rund 130 Meter lang und 48 Meter breit. Es haben somit 57 × 45 = 2.565 WCs Platz, und das nur schon auf einer Etage. Das wäre ein richtig effizientes Scheißhaus´, denkt er.

Sein Weg geht links am Scheißhaus vorbei Richtung Brücke zur zweiten kleinen Seine-Insel, die Ile Saint-Louis. Die Brücke wird vereinzelt von Leuten benutzt, kaum von Autos. In der Mitte bläst ein Straßenmusiker auf einer goldenen Trompete. Könnte ein Profi sein, mit seinem Musikgehör, dem künstlichen Vibrato und der professionellen Atemstütze. Die Melodie ist von Ennio Morricone, eine seiner sehnsüchtigen Melodien aus einem Italowestern. Das Hauptthema Für eine Handvoll Dollar von Sergio Leone mit Clint Eastwood. Da möchte man sich vor Sehnsucht gleich von der Brücke stürzen, man wird die Sehnsucht sowieso nie stillen können.

Er hört sich das Stück nicht ganz bis zum Ende an, er möchte nicht zu viel Aufmerksamkeit beim Straßenmusiker erregen. Bevor er sich abwendet, wirft er ihm eine Münze in den Instrumentenkoffer.

Die Insel Saint-Louis scheint in einer ganz anderen Welt als die erste Insel zu liegen. Es hat kaum fahrende Autos, hohe Häuser stehen auf beiden Straßenseiten und es ist viel ruhiger in den engen Straßen. Die Häuser in der Rue Saint en l’Ile haben auf beiden Seiten drei oder sogar vier Stockwerke, womit kein Sonnenstrahl in die enge Straße gelangt. Man hat den Eindruck, die Leute weiter vorne fühlen sich von einem verfolgt; sie könnten in der engen Straße nirgends entkommen.

Nach dem Schulunterricht musste ich regelmäßig zu Hause arbeiten. Am Mittwoch- und Samstagnachmittag war schulfrei. Die Zeit war ebenfalls von meinem Vater reserviert, um auf dem Hof mitzuarbeiten. Irgendein Scheiß kam ihm immer in den Sinn, auch wenn es eigentlich gar nichts zu tun gab. Wahrscheinlich sollte das eine Beschäftigungstherapie für uns sein, seine Art uns zu erziehen. Ihm habe diese Erziehungsmethode auch nicht geschadet, wobei ich mir da nicht so sicher bin.

Ich musste die Felder mit Jauche besprühen, Bäume mit Schädlingsbekämpfer behandeln, Heu- und Strohvorräte in der Scheune deponieren, mit der Sense das Gras zwischen den Bäumen mähen, Kühe putzen, irgendwas halt. Und wenn es mal wirklich keine Arbeit gab, da kam er mit Beschäftigungen wie; die vom Nachbarn verschmutzte Straße putzen, es könnte vermutet werden, wir hätten sie verschmutzt; im Wald aufräumen oder Steine im Acker einsammeln. Einmal schmetterte er zwei kleine kranke Kätzchen vor meinen Augen zu Tode und ich musste anschließend das Blut aufwaschen.

Mein Vater war ein Perfektionist. So war es auch beim Kirschenpflücken: Besser wir schissen uns in die Hosen, was tatsächlich vorkam, als dass ein paar Kirschen am Baum hängen blieben.

In der Baumkrone hängen noch ein paar Kirschen. Geh du hoch, du bist nicht schwer, die Leiter fällt wegen dir nicht um“, sagte er.

Die besagte Leiter war auf zwei Meter Höhe an einem dicken Ast angelehnt, auf acht Meter Höhe kam nochmals ein zwei Zentimeter dickes Ästchen, und die Kirschen hingen weitere drei Meter weiter oben an einem Zweig, wo die Leiter völlig ungestützt war. Natürlich kam in dieser Höhe noch eine hübsche Brise dazu. Tja, dann musste ich wohl oder übel hoch, um die zehn Kirschen zu pflücken, die einen Verkaufswert von sage und schreibe drei Rappen aufwiesen. Durchschnittlich alle paar Jahre viel jemand von uns die Leiter runter. Ich brach mir aber nie etwas.

Besonders hasste ich, wenn jemand zu Besuch kam. Oder noch viel schlimmer, wenn wir irgendwohin zu Besuch gingen, und ich mich nach dem Essen nicht verdrücken konnte. Dann musste ich am Tisch sitzen und mit irgendwelchen Verwandten reden. Das heißt, eigentlich habe ich ja kein Wort gesagt, außer: „Guten Tag“, und „Danke und auf Wiedersehen.“

Mitreden konnte ich nie, dazu war ich viel zu schüchtern. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass das, was ich sagen möchte, auch nur im Entferntesten für die Anderen von Interesse sein könnte. Damals dachte ich, das sei relevant, was die Erwachsenen vor sich hinplappern. Tja, und wenn der Stoff für den Small Talk ausging, kamen blöde Bemerkungen über mich: „Er redet aber nicht viel.“

Schnell versuchte mich mein Vater rauszureden.

Ah, es können ja nicht alle reden, es muss ja auch noch jemand zuhören.“

Er machte wohl ähnliche Erfahrungen als Kind.

In der Primarschule fand der Religionsunterricht in dem Dorf statt, wo wir bereits im Kindergarten waren. Die Leute von den zwei Kindergartenklassen von damals waren nun in verschiedenen Klassen durchmischt. Meine alte Bande war schon längst aufgelöst. Der Kontakt zu meinem früheren Freund war inzwischen abgebrochen und ich getraute mich nicht, erneut Kontakt zu suchen. Wir von unserem Dorf waren Außenseiter, die einmal die Woche vorbei kamen. Ich hatte Angst und hoffte, dass der Pfarrer mich nicht vor all den Anderen etwas fragen würde und mich bloß stellt.

Eine Schülerin stach mir besonders ins Auge. Sie war mir damals im Kindergarten nie aufgefallen, vermutlich ist sie erst nachher zugezogen. Ich wundere mich heute noch darüber, wo sie herkam, getraute mich aber nie, sie zu fragen. Sie hatte blonde lange Haare und ich fand sie sehr hübsch. Ich war nicht der Einzige in der Klasse, der das so sah. Mehrere Jungs hätten gerne mit ihr Händchen gehalten, ihren ersten Kuss mit ihr gehabt und sie gründlich durchgefickt.

Es war Frühling, als ich mich in sie verliebte. Ich träumte oft von ihr. Ich fand das ein unglaublich schamhaftes Gefühl, mir das Recht raus zu nehmen und jemanden zu lieben, für den ich völlig minderwertig sein musste. Das war geradezu anmaßend von mir.

Wenn ich als Kind jemanden hübsch fand, so war das ein absoluter Wert für mich. Jemand ist entweder hübsch oder nicht, und alle haben diesbezüglich die selbe Meinung über eine Person. Ich fand mich minderwertig. Daher war mir absolut klar, dass ich bei ihr nie im Leben eine Chance haben würde. Wer will schon einen Bauernsohn mit verbrannten Beinen? Es wäre mir nicht mal im Traum in den Sinn gekommen, ihr oder irgendjemanden etwas über meine Gefühle zu erzählen oder es nur schon anzudeuten. Das zog sich circa sechs Jahre so hin, ohne dass ich je ein Wort mit ihr darüber geredet hätte. Eigentlich habe ich überhaupt nie mit ihr geredet. Bis meine Gefühle endlich abflachten. Von diesem Zeitpunkt an versuchte ich es zu vermeiden, dieses schamvolle und nutzlose Gefühl der Liebe je wieder zuzulassen.

Am Ende der Rue Saint en l’Ile steht man plötzlich auf dem hektischen Boulevard Henri IV. Auf einen Schlag umgibt einen der Verkehrslärm wieder und man kehrt ins typische Paris zurück.

PARC DE BUTTES CHAUMONT

Via Boulevard Henri IV schlendert er Richtung Bastille. Bei einem heruntergekommenen Kiosk kauft er ein Sandwich, eine Cola und einige Schokoriegel. Wie oft in den Ferien hat er seit dem Morgenessen den ganzen Tag nichts gegessen. Hungern findet er weitaus weniger schlimm, als einen Fehlgriff beim Ort der Nahrungsaufnahme. Zwar checkt er jeden Tag unzählige Restaurants aus sicherer Distanz, doch findet er immer irgendeinen Grund, um nicht hineinzugehen: Zu teuer, Verdacht auf eine Bedienung, die einem nicht in Ruhe lässt und unnötige Scheiße labert wie: „Ist es gut gewesen?“, zu exponierte Sitzplätze, wo man nicht beobachten kann, ohne beobachtet zu werden, oder er hat einfach nur Angst vor Kommunikation. Bis das Hungergefühl unausstehlich wird.

Meist geht er dann zu einem Shop oder Kiosk, oder einfach zu McDonalds, da hat man seine Ruhe und wird nicht ständig von irgendwelchem Personal angequatscht. Am Ende der Ferien hängt ihm der Burger Food zum Halse raus.

Bei der Bastille steigt er in die Métro 5, um vier Stationen später bei République für zwei Stationen auf die 11 zu wechseln.

Bei der Station Belleville müsste er ein weiteres Mal umsteigen, will sich aber kurz die Gegend anschauen. Das ist das Quartier, wo besonders viele Ausländer wohnen, denen es besonders scheiße geht. Armut, kein Job, Kriminalität, Prostitution, Bierbäuche, Hängetitten, zumindest ist das in dem kürzlich gelesenen Roman La vie devant soi so ähnlich beschrieben worden. Das gibt ihm selber etwas Auftrieb, wenn es Anderen mies geht.

Die Straßen enttäuschen seine Erwartungen, da muss sich wohl einiges geändert haben in den letzten 30 Jahren. Hätte sich der Schriftsteller Romain Gary nicht umgebracht, könnte er sich selber davon überzeugen. Die Straßen sind nicht kahl, wie er es beschrieben hat, sondern viele Bäume stehen blöde in der Gegend rum. Shops und McDonalds stehen an jeder zweiten Straßenecke. Den Leuten scheint es hier gar nicht so mies zu gehen. Schade, er hätte gerne etwas Mitleid verspürt.

Etwas enttäuscht verdrückt er sich wieder in den Untergrund und fährt mit der Métrolinie 2 Richtung Port Dauphine. Nach der Haltestelle Colonel Fabien fährt die Linie für vier Stationen oberirdisch, ein paar Meter über den Straßen. Voyeure nutzen diesen Umstand, um den Fußgängerinnen auf den Straßen unten in den Ausschnitt zu schauen. Mit einem Kran in der Hose eilen sie nach Hause für einen Do-it-yourself-Job. Deshalb, und weil die Linie 4 zum Sexviertel Boulevard de Clichy und zur Sacré Coeur führt, ist die Linie 4 häufig mit Touristen vollgepackt.

Er verlässt die Métro jedoch bereits bei der ersten oberirdischen Station Jaurès.

In den Arrondissements 19 und 20 leben weniger betuchte Leute. Um die Station Belleville bringen viele Asiaten und Araber ihr Leben über die Runden. Trotzdem befinden sich hier zwei Highlights von Paris: Der Cimetière du Père Lachaise mit delikatem Wurmfutter wie Jim Morrison, Oscar Wilde oder Edith Piaf und